Nesthäkchen und ihre Puppen. Else Ury

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Nesthäkchen und ihre Puppen - Else Ury


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kleinen Mama auf.

      Eins – zwei – drei – war die aus den Federn, Fräulein sollte sie nicht umsonst gemahnt haben. Gerda wurde in die Bettecke gegen das Stickereikissen gesetzt und durfte bei Annemies Toilette zugucken.

      Und das war gut, denn Annemie nahm sich vor ihrem neuen Kinde zusammen. Das sollte doch nicht wissen, daß seine Mama noch ab und an beim Waschen schrie, wenn das Wasser mal besonders naß war. Fest biß die Kleine die Zähnchen zusammen, daß ihnen kein Laut entschlüpfte, während Fräulein den großen Schwamm in Bewegung setzte und eklig rubbelte. Aber als Nesthäkchen selbst beim Kämmen nur ein einziges kleines »Au!« hören ließ, trotzdem der alte Kamm gerade heute tüchtig ziepte, schloß auch Fräulein Puppe Gerda in ihr Herz. Denn die ganz allein hatte das Wunder zuwege gebracht.

      Gerda mochte sich von ihrer kleinen Mama nun auch nicht beschämen lassen. Als Annemarie endlich Zeit fand, sie anzukleiden, biß auch sie ihre niedlichen Porzellanzähnchen fest zusammen. Denn Annemie rubbelte noch viel ekliger als Fräulein und riß noch viel toller an den goldblonden Flachshärchen. Aber nein – nur nicht schreien, was hätten denn auch die anderen Puppen bloß von ihr gedacht!

      Die waren dem neuen Ankömmling sowieso nicht sehr freundlich gesinnt.

      »Ich will angezogen werden, ich muß in die Schule, sonst kriege ich einen Tadel!« rief Irenchen schon zum dritten mal hinter der weißen Mullgardine ihres Himmelbettes hervor. Aber die Kleine hatte heute nur Auge und Ohr für ihre Gerda.

      »Annemie hat mir heute noch gar keinen Umschlag auf meine schlimmen Augen gemacht, trotzdem Doktor Puck es verordnet hat«, jammerte auch Mariannchen.

      »Ja, sie hat sich heute überhaupt noch nicht um uns gekümmert, aber den Zieraff mit dem blonden Flachskopf, der erst gestern gekommen ist, küsst sie in einem fort«, berichtete Irenchen, durch die weiße Mullgardine lugend, eifersüchtig. »Dabei habe ich doch viel schönere und vor allem ganz echte Zöpfe.«

      »Wie sieht denn die Neue aus, ist sie denn wenigstens hübsch?« erkundigte sich Mariannchen angelegentlich. Gar zu gern hätte sie ihre verklebten Augen aufgemacht, um Puppe Gerda zu betrachten.

      »Ich finde, sie sieht recht gewöhnlich aus«, meinte Irenchen geringschätzig.« Rote Backen hat sie wie ein Bauermädel; wenn man vornehm sein will, muß man so blaß sein wie ich!«

      Auch in dem weißen Puppenwagen murrte es.

      Lolo, das Negerkind, hatte mit der steifen Porzellanhand die Wagengardine ein wenig zur Seite geschoben, um besser sehen zu können.

      Unerhört war das doch, da wusch und kämmte die kleine Puppenmama das Neugeborene, und sie selbst, die doch tausendmal schmutziger aussah und einen Struwwelkopf aus schwarzer Wolle hatte, sie mußte so liegen.

      Aber plötzlich schrie Lolo, die ein kleines Wutteufelchen war, erbost los und trampelte sogar mit den Füßen gegen die Wagenwand.

      »Meine Spitzenschürze – mein hübsches Sonntagsschürzchen bindet sie dem fremden Balg um – wirst du mir wohl meine Schürze nicht mausen!« rief sie so laut, daß auch Baby neben ihr im Steckkissen die Äuglein aufmachte und das Mündchen weinerlich verzog.

      »Mama – Mama,« rief Baby, »ich will mein Fläschchen mit süßer Zuckermilch.«

      Aber Klein-Annemarie hörte nicht das Weinen und Rufen ihrer Kinder. Die fütterte gerade Puppe Gerda mit der süßen Zuckermilch, die eigentlich Baby sonst bekam.

      »Schmeckt es dir, mein Gerdachen?« fragte sie liebevoll und tat noch einen Löffel Zucker aus der Puppenküche zu.

      Die Puppe schüttelte den Kopf.

      Nein, es schmeckte ihr gar nicht, trotzdem sie Zuckermilch so gern trank, und trotzdem Annemie ihr schönstes rosa Tässchen mit Goldrand dazu genommen hatte. Wie sollte es der Gerda auch munden, da Baby unausgesetzt nach ihrer Zuckermilch schrie? Da Lolo immer noch über ihre gemauste Sonntagsschürze schimpfte, die Annemie noch dazu mit Milch bekleckert hatte. Auch Irenchen gab keine Ruhe und rief in einem fort, daß sie heute bestimmt in der Schule nachbleiben müsse. Am liebsten hätte sich Gerda die Ohren zugehalten, um all die häßlichen Worte, die ihr galten, nicht zu hören. Aber das konnte sie nicht, obgleich sie eine Gelenkpuppe war.

      Sie machte sich steif und wollte nicht mehr trinken, um dem armen, durstigen Baby noch ein bißchen übrigzulassen. Aber Annemarie war eine ebenso gute wie strenge Mutter.

      »Wenn du nicht austrinkst, wirst du nicht groß und stark, mein Liebling«, sagte sie in demselben bestimmten Ton, mit dem Mutti sprach, wenn sie selbst mal nicht ihren Kakao trinken wollte.

      Da trank Puppe Gerda gehorsam ihr rosa Tässchen aus, aber es schmeckte ihr kein bißchen.

      Und als sie jetzt in den Puppenstuhl gesetzt wurde, da ward sie auch dort ihres Lebens nicht froh. Aus der umgekippten Fußbank zu ihren Füßen hob sich ein kurzlockiger Puppenjungenkopf mit einem großen Loch, und Kurt, der Nichtsnutz, bläkte ihr die Zunge heraus, soweit er nur konnte. Aber nur, weil Annemie gerade aus dem Zimmer gegangen war, um selbst ihren Kakao zu trinken.

      Da kam das kleine Mädchen zum Glück zurück, und auch Fräulein mit Annemaries blauem Matrosenmantel und weißem Hütchen. Fräulein machte Annemie zum Spazierengehen fertig, und das Puppenmütterchen setzte ihrer Gerda die Osterhasenkappe mit den rosa Ohren auf.

      »Nun bist du fein, mein Liebling, nun wollen wir in den Tiergarten fahren.« Damit warf Nesthäkchen Lolo aus ihrem Puppenwagen heraus, und Baby wanderte hinterdrein auf die harte Puppenkommode. Nicht einmal, daß Babys gestrickte Windelhöschen naß waren, sah die Annemarie!

      In den weißen Wagen wurde Gerda gesetzt. Sie wurde sorgsam mit der rosa Seidendecke zugedeckt und bekam Irenchens schönen roten Sonnenschirm in die Hand. Noch auf der Treppe hörte Gerda das empörte Irenchen hinter sich her schimpfen.

      Da war ihr auch die Freude am Spazierengehen gestört.

      Ihre kleine Mama aber schwatzte und lachte in einem fort. Die dachte mit keinem Gedanken an die armen, vernachlässigten Puppenkinder zu Hause. Sie zeigte ihrer neuen Gerda die Sehenswürdigkeiten von Berlin: Den Portier vor der Haustür, der beinah soviel war wie der Kaiser, die tutenden Autos, die Schokoladenautomaten und die goldene Puppe hoch oben auf der Siegessäule.

      »Nicht wahr, es ist fein auf der Welt?« fragte sie ihre Puppe mit strahlendem Gesicht.

      Die lächelte gezwungen.

      O ja, es konnte einem schon gefallen, wenn nur die übrigen Puppen nicht so häßlich zu ihr gewesen wären!

      »Ei, Annemie, hast du denn ganz vergessen, deine anderen Kinder heute in ihren Garten aus das Blumenbrett zu schicken?« fragte Fräulein, als sie wieder nach Haus gekommen waren.

      »Ach, die alten,« lautete die gleichgültige Antwort, »ich habe ja jetzt ein neues, süßes Nesthäkchen!«

      Das hörte Mutti, die gerade ins Kinderzimmer trat.

      »Denk' mal, Lotte,« sagte sie ernst, »wenn ich mich nicht mehr um Hans und Klaus kümmern würde, weil ich ja dich, mein Nesthäkchen, habe! Das wäre doch traurig für die beiden, nicht?«

      Die Kleine nickte und wurde rot. Dann griff sie stillschweigend nach ihren alten Puppen und spedierte eine nach der anderen in den Garten auf das Blumenbrett hinaus, sogar Kurt, den Schlingel. Aber die rechte Liebe fehlte dabei.

      Auch als nachmittags, während Annemie mit ihrer Gerda Großmama besuchte, ein Platzregen herniederprasselte, blieben die Ärmsten da draußen in dem Hundewetter, und noch dazu ohne Schirm. Erst Frida, welche die Fenster schloß, brachte die Puppen ganz durchweicht wieder in das Kinderzimmer zurück. Irenchen nieste, sie hatte sich einen tüchtigen Schnupfen geholt, Mariannchen zitterte vor Kälte, Lolo bekam Schüttelfrost, Kurt klagte über Gliederreißen, und Baby hustete.

      Aber Annemie, die sonst solche gute kleine Puppenmutter gewesen, sah sich nicht einmal nach ihren kranken Kindern um. Sie mußte ja ihrem Nesthäkchen das Abendbrot bereiten. Muttis Mahnung war wieder vergessen.

      Gerda allein vernahm


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