Zurück zu Schmitt!. Johannes Hucke

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Zurück zu Schmitt! - Johannes Hucke


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zu verhindern. Das müssen Sie mit sich selbst ausmachen. Sie wissen offensichtlich nicht, was Sie mir angetan haben. Ob sich hinter der geheuchelten Lobpreisung meiner Fähigkeiten (die ja für die Firma allesamt entbehrlich waren) auch noch Hohn verbirgt, kann ich nicht sagen. Dass ausgerechnet ich, der wie ein tollwütiger Hund vom Hof gejagt wurde, jetzt den Karren aus dem Dreck ziehen soll, entspricht jedoch ohne Zweifel dem Tatbestand der Verscheißerung.

      Dass Sie und Ihre ach so dynamischen jungen Mitarbeiter aus einem kerngesunden Unternehmen einen verrotteten Scheißladen machen würden, war mir von Anfang an klar. Aber Sie wollten nicht auf mich hören. Keiner hörte mehr auf mich. Diese Drecksfirma kann mir gestohlen bleiben, verzeihen Sie die harten Ausdrücke – ich hätte härtere in petto. Eins muss ich allerdings einräumen: dass ausgerechnet Ballenberger uns schlucken soll, ist die größtmögliche Katastrophe. Auch das haben Sie zu verantworten. Ihr Vater hätte sich erschossen, was ich mir an Ihrer Stelle ebenfalls überlegen würde.“

      (An dieser Stelle zuckte Eisenwein ernstlich zusammen.)

      „Ihre jämmerlichen Weihnachtsfeiern können Sie sich in den Hintern schieben, ich brauche keine Senioren-Kindereien, ich hasse so etwas. Zu guter Letzt: Was maßen Sie sich an, mich „lieber Kurt“ zu nennen? Das hat nicht einmal meine Frau getan. Denken Sie, ich bin senil und lasse mich nasführen? Das soll mal einer versuchen.

      Leben Sie wohl, lassen Sie mich in Ruhe – und zwar für immer.

      Hochachtungsvoll,

      Schmitt“

      Hastig, atemlos ging er die anderthalb Seiten noch einmal durch. Zweimal hatte er sich vertippt – ganz ordentlich nach so langer Pause. Das Tipp Ex im Schränkchen war eingetrocknet. So musste er die Korrekturen mit Kuli vornehmen. Sicherlich war das nicht der beste Brief, den er zeitlebens geschrieben hatte; aber er war immerhin ehrlich, stellte in gewisser Hinsicht die Ehre des Ehemaligen wieder her.

      Schmitt starrte vor sich hin. Tastete nach den Zigaretten. Fand sie aber nicht. Unversehens geriet er in eine weichere Stimmung. Und setzte schließlich, weniger heftig hämmernd, ein Postscriptum unter das Schreiben.

      „Ps. Bitte richten Sie Frau Schlesinger Grüße aus. Für Sie, Herr Direktor, gute Besserung.“

       Überfall plus Kuss von Emma Peal

      Kurt war unterwegs, wahrscheinlich auf dem Fahrrad. Mochte sein, es handelte sich um die Frühjahrstour mit den Pfadfindern. Mit dem Lenker stimmte etwas nicht; die geringste Bewegung, und er bog von der Straße ab. Manchmal rief ihm einer der Kameraden etwas zu, aber Kurt verstand nie den Inhalt. Es schien sich um eine Gebirgsstrecke zu handeln. Unter keinen Umständen durften die anderen etwas merken von Kurts Höhenangst. Kaum traute er sich, nach den Seiten zu blicken. Vermutlich ging es dort mehrere hundert Meter steil hinab. Ganz weit weg eine Art Sonnenaufgang in Technicolor. Musik war zu vernehmen, Streicher und Pauken. Dem Radler kam es vor, als befinde er sich in zwei oder drei Realitäten gleichzeitig. Vielleicht würde er gar nicht abstürzen, wenn er jetzt scharf nach links lenkte.

      Vielleicht.

      Das Sträßchen wurde schmaler. Bald war es nur noch ein Pfad, dann eine Plane aus undefinierbarem Material, schließlich ein Seil. Sie mussten die Schlucht überqueren. Kurt erinnerte sich dunkel: Ja, das gehörte zum Programm. Wer da nicht mitmachte, war draußen. Den anderen bereitete es offenbar kein Problem, die Balance zu halten; sie witzelten sogar, schaukelten mit den Armen. Kurt strampelte verbissen, immer geradeaus; er schwitzte so stark, dass die Hände abglitschten. Als er ängstlich hoffte, es würde jetzt bitte nicht auch noch regnen, fing es an zu regnen. Als er brabbelnd betete, es möge wenigstens nicht auch noch hageln, begann es zu hageln.

      Da befanden sie sich an irgendeinem Etappenziel, eine Hütte, schräg in den Bergen. Die anderen – sie waren nur undeutlich zu erkennen – lachten sich kaputt: Wie der Kurt so ulkig ausgesehen habe beim Radfahren. Wie er so starr geradeaus geschaut habe vor lauter Angst. Kurt musste Kartoffelsalat machen. Mit beiden Armen griff er in eine Wanne voller Kartoffelsalat. Er mischte. Es waren blanke Knabenarme, die in der lauwarmen Masse herum fuhrwerkten. Kurt sagte etwas, in der Art: Niemand kann das so gut wie ich! Es ließ sich nicht bestimmen, ob sonst noch jemand dieser Ansicht war. Als er sich wünschte, dass seine Arme so blieben und nicht auf einmal zu haarigen Männerarmen würden, begannen die Haare auf seinen Armen rasch zu wachsen, meterlang.

      Schmitt schreckte hoch.

      Wieder einmal war er eingenickt auf der Couch. Aber halt, da gab es ein Geräusch, das sonst nicht da war. Wie konnte das sein: die Klingel! Heidelindes weiche, schleimige Türklingel, die man erst hörte, lange nachdem sie gedrückt worden war. Weshalb die Gäste früher wie verrückt mehrmals geläutet hatten, bis endlich geöffnet wurde. Wer sollte das sein? Es kam doch niemand mehr.

      Wackelig, einen üblen Geschmack im Mund, den sonst so streng gezurrten Scheitel schräg nach oben abstehend wie bei einem kranken Punker, bewegte sich Schmitt durch den Flur. Noch einmal klingelte es, noch zweimal. Als er durch den Spion blickte, fühlte er sich zurückversetzt in einen dieser idiotischen Mittagsträume.

      Die Schlesinger.

      Deutlich älter geworden, aber auf alle Fälle die Schlesinger. Ihre Frisur saß fest wie eh und je. Schmitts Stimme war gleichzeitig rau und piepsig.

      „Was?“

      „Kurt?“

      „Wer da?“

      „Hallo, Kurt, mach doch auf. Ich bin´s, die Gisela.“

      Sie standen einander gegenüber. Schmitt gefror sein Lächeln, das sich aus der Erinnerung heraufgetastet hatte.

      „Wo ist der Essenwein?“

      „Unten. Im Auto.“ Gisela Schlesinger, früher von allen „Emma Peal“ genannt, vor allem der Frisur wegen, wollte die Erklärung gleich hinterherschieben. Aber Kurt schnitt ihr das Wort ab.

      „Du lässt dich von dem vor den Karren spannen. Das ist nicht wahr!“

      „Kurt, lass mich doch rein.“

      Er grunzte. Häkelte die Sicherungskette aus, öffnete die Tür einen größeren Spalt, verharrte aber. Gisela hatte erwartet, er würde sie nun hereinlassen, war zwei Schritte vorgerückt ... und stand nun ihrem langjährigen Kollegen nahe gegenüber. Sie wusste sich nicht anders zu helfen als ihm einen Begrüßungskuss auf die Wange zu drücken.

      „Hallo, mein Lieber. Wie lange ist das her ...“

      Der Mann im Türrahmen rang um Fassung. Wann war er zum letzten Mal geküsst worden? Es hätte keinen Sinn gehabt, darüber nachzudenken. Heidelinde hatte nicht geküsst, vermutlich aus hygienischen Gründen.

      „Darf ich denn jetzt rein?“

      „Was? Ach so. Dann komm halt.“

      Schmitt schwenkte zur Seite. Wo sollte er die Schlesinger platzieren? Es war nirgendwo richtig sauber. In die Küche? Nein, da roch es nach Mittagessen. Suppe, wie jeden Samstag. Linsen-, Erbsen-, Kartoffelsuppe im Wechsel.

      Gisela ging in Deckung, als sie das Wohnzimmer betrat. Es war schlecht gelüftet und staubig. Man hatte den Eindruck, hier wohne schon lange niemand mehr. Da sah sie die Couch. Zwei Kissen waren zusammengeknautscht.

      „Hast du gerade ein Mittagsschläfchen gemacht, ja?“, versuchte sie einen scherzhaften Kommentar. Damit kam sie Schmitt gerade recht.

      „Was? Ich? Mittagsschlaf? Seh` ich so aus?“

      „Eigentlich ja.“ Gisela lächelte so sanft sie konnte.

      „Ich hab“, verteidigte sich der Hausherr, „ich hab nur da gesessen.“

      „Ach so. Darf ich auch da sitzen?“

      „Ja. Natürlich. Setz dich. Ich kann dir leider nichts anbieten.“ Die letzten Worte hatte er fast höflich prononciert. Umständlich kippte er ein Fenster.

      „Gar nicht nötig.“

      Schmitt


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