STRANGERS IN THE NIGHT. Jon Pan

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STRANGERS IN THE NIGHT - Jon Pan


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der Lage gewesen, eine gesanglich große Nummer zu schreiben?

      Sicher, eine gewagte Frage, nicht zuletzt, wenn man folgendes Zitat aus der vor 3 Jahren erschienenen Kaempfert-Biographie von Marc Boettcher bedenkt: »Betrachtet man den deutschen Anteil im Bereich der Unterhaltung auf internationaler Ebene, so findet man unter den bedeutenden Namen des 20. Jahrhunderts eine Reihe großer Regisseure wie Ernst Lubitsch und Fritz Lang und Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich und Romy Schneider – aber nur einen einzigen Komponisten des großen Formats, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg neben seinen ausländischen Kollegen durchsetzen konnte: Bert Kaempfert.«

      Nur, wer sich die Mühe macht, Kaempferts frühe Hits wie zum Beispiel Afrikaan Beat oder A Swingin Safari mit späteren Songs wie Strangers In The Night oder The World We Knew zu vergleichen, wird eine auffällige Wandlung feststellen. Gut, ein Musiker, Komponist, Arrangeur entwickelt sich, wird besser, lernt dazu und schöpft sein kreatives Potenzial mehr und mehr aus. Dazu kommt der in dieser Branche schnelle Wandel des Zeitgeistes, verbesserte Aufnahmetechniken, die Motivation des Erfolgs usw. All das könnte Kaempfert dazu gebracht haben, die wirklich großen Nummern geschrieben zu haben. Doch hat er es wirklich getan?

      »Ich kann mich gut daran erinnern«, sagt die Sängerin Anita Kerr in Runzes Film, »als ich das erste Mal eine Platte von Bert Kaempfert hörte. Wir waren alle begeistert von diesem neuen Sound. Es war neu, Stimmen zu verwenden zu den Geigen und Posaunen, Stimmen, die rhythmische Akzente setzten, ohne Worte. Es war wie eine frische Brise, nach Elvis und nach den Beatles. Es war grandios, endlich wieder gute Arrangements, Violine, Violas, Cellis, Posaunen, Trompeten – endlich wieder großes Orchester!«

      Sie spricht von einer Musik, die zwar den Namen Kaempfert trägt, die jedoch nicht von ihm stammt, sieht man von seinem typischen Rhythmus einmal ab.

      Kaempfert schaffte es, mit seinen Produktionen an die Spitze der Hitparaden in der ganzen Welt zu gelangen, einschließlich seiner großen Erfolge in den USA. Sein Name wird noch heute mit vielen Evergreens verbunden, und er hat zu seinen Lebzeiten nicht weniger als 150 Millionen Schallplatten verkauft! Er war ein Mann, der wusste, was er wollte. Ohne Bert Kaempfert gäbe es kein Wunderland By Night, kein Spanish Eyes, kein Dankeschön und einige andere weltberühmte Hits. Und ohne Bert Kaempfert gäbe es vermutlich auch keine Songs wie Strangers In The Night, The World We Knew, Lonely Is The Name, Welcome To My Heart, I Cant Help Remembering You und einige mehr, eben all diese großen, gesanglich großen Nummern, von denen René Kollo spricht und die von Weltstars wie Frank Sinatra, Sammy Davis jr., Dean Martin, Jonny Mathis, Wayne Newton, Nat King Cole gesungen wurden. Nur hat er diese orchestralen Nummern nicht geschrieben.

      Strangers In The Night, einer der berühmtesten Songs in der Geschichte der Unterhaltungsmusik, war der innere Bruch und gleichzeitig der äußere Wendepunkt in der Beziehung Kaempfert–Rehbein. Doch genau betrachtet, veränderte sich nichts. Rehbein hatte, wie all die anderen berühmten Songs danach, Strangers In The Night allein komponiert. Nach dem Bruch gab es, gleichgültig wer komponierte, nur noch Kaempfert–Rehbein. Das ist auf allen veröffentlichten Schallplatten nachzulesen.

      Das Musikgeschäft kennt keine Gnade, wenn einer weiß, wie es geht. Und Kaempfert wusste, wie es geht. Rehbein wusste es nicht. Oder er wollte es nicht wissen. Schließlich waren sie Freunde!

      »Und dann Hollywood«, fährt der Sprecher in dem Film über Kaempfert fort. »Er schrieb die Musik für einige große amerikanische Filme. So entstand zum Beispiel Strangers In The Night. Aber Hollywood lag ihm nicht. Der Leistungsdruck entsprach nicht seinem Arbeitsrhythmus.«

      Nichts dergleichen! Kaempfert war einfach nicht in der Lage, Filmmusik à la Hollywood zu schreiben. Er verstand etwas vom Timing zur Synchronisation. Komponiert und arrangiert hat Rehbein.

      Die amerikanische Musikbusiness-Maschine, in die sich Kaempfert von Deutschland aus mit geradezu famoser Treffsicherheit katapultiert hatte, funktionierte für ihn ab einem gewissen Punkt reibungslos. Kompositionen und Arrangements, die Kaempfert brachte, hatten bei der Schallplattenfirma Decca absolute Priorität. Es war die Aufgabe von Milt Gabler, dem damaligen Artist & Repertoire-Direktor des Unternehmens, Songs mit dem Etikett Kaempfert an die Spitze der Hitlisten zu bringen. Was auch gelang.

      Wie viel zählte im Angesicht solcher Erfolge der Mann hinter Kaempfert, der die meisten dieser Songs komponiert und arrangiert hatte! Er machte sich auch nicht bemerkbar. Und Verträge, die existierten, wurden nicht eingehalten. Die Vernetzung breitete sich aus. Denn Rehbein und Kaempfert hingen in einer fast schon symbiotischen Art aneinander. Das prägte unaufhaltsam das Schicksal der Beteiligten. Der Welterfolg war eine Sache. Es gab aber auch eine menschliche Seite, eine Herausforderung, die schließlich nicht angenommen wurde.

      Ist es die alte Geschichte der Diskrepanz zwischen Künstlertum und Kommerz?

      Damit ließe sich zwar einiges erklären, doch wenn man ernsthaft in die Lebensgeschichte eines Menschen eintaucht, die wie bei Rehbein so eng mit dem Leben eines anderen Menschen verknüpft ist, kann vieles nicht mehr auseinander gehalten werden.

      »Warum hat Rehbein das alles mit sich machen lassen?« Diese Frage wurde mir während der Arbeit an diesem Buch immer wieder gestellt. Eine Frage, die jedem Außenstehenden dazu sofort in den Sinn kommt. Schließlich leben wir in einer Welt, in der Cleverness und Geldverdienen einen hohen Stellenwert haben. Wieso lässt sich einer hemmungslos ausbeuten, dazu noch von seinem besten Freund?

      Man kann bei vielen Künstlern eine Zwiespältigkeit entdecken: Auf der einen Seite wollen oder müssen sie sich bemerkbar machen, auf der anderen Seite wird viel dazu unternommen, um möglichst nicht aufgespürt zu werden.

      Vielleicht wollte Rehbein nicht aufgespürt werden. Musik war seine ganze Welt. Alles andere hing bloß damit zusammen. Eine schlechte Voraussetzung fürs Geschäft mit der Unterhaltungsmusik! Die Kreativitätsräume sind dort zudem viel enger gesteckt als zum Beispiel in der so genannten Ernsten Musik. Oder besser: Die Unterhaltungsmusik verfügt mehrheitlich über keinerlei geistige Inhalte. Rehbein war aber ein geistiger Mensch, geistig im Sinn einer starken, intuitiven Begabung. Seine Musik war nie Geschäft, sondern Gefühl. Gerade das haben Leute aus Kaempferts Umfeld, die Millionen mit seiner Begabung verdienten, nie wirklich begriffen.

      Jetzt haben natürlich Ausbeutung und Betrug in der Kunst eine lange Geschichte, sie sind so alt wie die Kunst selbst. Wolfgang Amadeus Mozart erhielt für die vollständige Partitur des Figaro 450 Gulden, Johann Sebastian Bachs Witwe lebte von Almosen und endete im Armenhaus, Franz Schubert nagte am Hungertuch, Carl Maria von Weber erhielt von seinem Verleger 120 Gulden für ein Klavierkonzert, eine Symphonie und sechs Sonaten, Johann Strauß verkaufte die Rechte seiner Blauen Donau für 15 Pfund. Die Liste ließe sich problemlos weiterführen. Künstler neigen eben dazu, sich mehr um Kunst als um Brot zu kümmern.

      Es gab aber auch immer Gewinner, in der Klassik waren es Künstler wie Richard Wagner, Gioacchino Rossini, Giuseppe Verdi, Christoph Willibald Gluck oder Giacomo Puccini. Um Wagner herauszugreifen, der es einfach verstand, sein Genie gewinnbringend einzusetzen, ungeniert und rücksichtslos, gewissermaßen als die perfekte Kombination von Kunst und Geschäft. Doch mit der romantischen Weltentrücktheit gekrönter Häupter, die allein durch ihre Abstammung – wie Ludwig der II. bei Wagner – Kunst im großen Stil unterstützen konnten, hat das Musikgeschäft längst nichts mehr zu tun.

      Die Giganten heißen heute anders, und das war auch schon zu den Zeiten der großen Kampfert–Rehbein-Erfolge so. Es fehlte damals zwar die totale Medienvernetzung, trotzdem hatten einige wenige zu bestimmen, was dem Publikum vorgeführt werden sollte und was nicht.

      Musik ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Wirtschaftsfaktor geworden, der sich nicht mehr wegdenken lässt. Ein Unterschied zwischen E-Musik (Klassik) und U-Musik (Unterhaltungsmusik) existiert von der Vermarktung her nicht mehr. In der Klassik sind die meisten großen Komponisten verstorben und können daher nicht mitbestimmen (viele von ihnen konnten das ja auch nicht zu ihren Lebzeiten). Die Unterhaltungsmusik schafft sich ihre Namen, die immer kurzlebiger werden, direkt im Prozess der Vermarktung. Eine Kaempfert–Rehbein-Komposition wurde allerdings von verschiedenen


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