STRANGERS IN THE NIGHT. Jon Pan
Читать онлайн книгу.als Konzertmeister beim Radiosender wichtig. Das allein genügte ihm aber nicht. Schubert weiß dazu Folgendes: »Auf Grund der guten Beziehungen, die Herbert zu den Musikern und anderen Leuten hatte, kam er eines Tages zu mir und sagte: ›Pass mal auf, wir wollen jetzt eine kleine Besetzung aufmachen, vielleicht mit vier, fünf Mann.‹ Rehbein hatte die Absicht, auf diese Weise in Tanzlokalen oder an sonstigen Veranstaltungen aufzutreten, natürlich um dabei auch zusätzlich etwas zu verdienen. Gesagt und getan. Wir fanden einige Musiker, die mitmachen wollten. Es waren alles Deutsche, darunter Otto Ludwig mit der Posaune, Herbert spielte Geige und ab und zu Klarinette, am Flügel saß ein ehemaliger Kapellmeister, unser Freund Teschendorf, den wir schon vom Lager kannten und der mitunter auch bei Radio Belgrad als Arrangeur tätig war. Ergänzt wurde die Besetzung durch einen Bandoneonspieler, einen Gitarristen und einen Trompeter. Für mich selber wurde ein Schlagzeug besorgt, und somit waren wir komplett.« Mit dieser Besetzung spielten die Musiker um Rehbein nun zu Veranstaltungen beim »Klub deutscher Schaffender«.
Durch eine weitere Verbindung bot sich die Möglichkeit an, im früheren »Ruski Zar«, einer bekannten Bar im Zentrum von Belgrad, die halb in einem Keller lag, aufzutreten. Es war ein vornehmes Lokal. Dort spielte Rehbein und seine Leute jeweils an den Wochenenden, wobei die Gage nach Mitternacht verdoppelt wurde. Diese Auftritte dauerten meistens bis morgens um vier Uhr.
Schubert dazu: »Die flotte Musik, die wir unter der Leitung von Herbert machten, zog viele Menschen an. Schon bevor das Lokal öffnete, standen viele davor. Einmal wurde sogar eine Schaufensterscheibe eingedrückt und die Polizei musste eingreifen.«
Es kam öfter vor, dass die Musiker von Samstagabend bis am Sonntagmorgen um vier Uhr im ehemaligen Ruski Zar auftraten und wenige Stunden später im anderen Stadtteil zum Frühstück spielen mussten. Manchmal gab es auch am Sonntagnachmittag noch ein Engagement, und am Abend war Rehbeins Besetzung wieder im Ruski Zar anzutreffen. Die Instrumente wurden nicht selten zu Fuß transportiert, was für Schubert als Schlagzeuger nicht immer unproblematisch war. Für weitere Strecken mieteten sie eine Pferdekutsche.
Die Zeit der Gefangenschaft in Jugoslawien hatte einige schillernde Figuren hervorgebracht. Im Kampf ums Überleben zeigte sich bei einigen Menschen ein besonders ausgeprägter Charakterzug, der auf viele wie ein Magnet wirkte. Rehbein gehörte sicher nicht zu der Sorte, die sich mit plakativem Glanz umgaben. Er war nicht laut, nicht schrill, kein Händler, keine Krämerseele, nichts dergleichen. Sein Verhältnis zur Musik bestimmte sein Leben. Und alles, was er in den Jahren seiner Kriegsgefangenschaft erreicht hatte, wurde daraus genährt.
Für Rehbein hätten in Jugoslawien viele Wege offen gestanden. Doch er wollte nach Deutschland zurück. Seiner Mutter, mit der er brieflichen Kontakt hatte, ging es schlecht. Sie wäre froh gewesen, ihren einzigen noch lebenden Sohn bei sich zu haben. Rehbein war aber noch immer jugoslawischer Kriegsgefangener. Auch Schubert, in derselben Situation, hatte den Wunsch, endlich wieder in seine Heimat zurückkehren zu können. Er erinnert sich:
»Im Sommer 1949 – ich glaube, es war Ende Juni – erfuhren wir, dass Ende Juli durch das Rote Kreuz ein letzter Transport mit entlassenen Gefangenen nach Deutschland gehen sollte. Herbert und ich beschlossen, da mitzufahren. Wir wollten etwas unternehmen, damit man uns gehen ließ. Herbert sprach mit Herrn Gutescha von Radio Belgrad. Der war sehr zugänglich, hielt große Stücke auf ihn und schrieb eine entsprechende Bescheinigung. Damit ging Herbert zum Roten Kreuz und wurde für diesen Transport gebucht.«
Bei Schubert selbst war es nicht so einfach, denn sein Vertrag lief für zwei Jahre. Er hatte auch nicht die Möglichkeit, mit seinem Vorgesetzten zu reden. Also besorgte er sich – gegen gute Bezahlung mit Geld, das er durch die Aufritte mit der Musik verdient hatte – entsprechende Papiere. Mit dieser falschen Bescheinigung ging auch er zum Roten Kreuz und erhielt ebenfalls einen Platz für den Transport.
Überlebenspraktiken
Herbert Rehbein war 27 Jahre alt, als er aus der Kriegsgefangenschaft in Deutschland ankam. Nach einigen Tagen Aufenthalt im Flüchtlings-Durchgangslager »Friedland-Leine« wurde er nach Hause entlassen. In Hamburg angekommen, suchte er sofort seine Eltern an ihrem neuen Wohnort auf. Das Haus, in dem sie früher gelebt hatten, stand nicht mehr.
Rehbein war in Jugoslawien Kriegsgefangener, aber auch Konzertmeister bei Radio Belgrad gewesen. In Deutschland war er nichts. Das störte ihn aber nicht. Schließlich hätte er einen anderen Weg gehen können. Dass er das nicht tat, hing nicht nur mit der Krankheit seiner Mutter zusammen. Er dachte daran, das Studium der klassischen Musik wieder aufzunehmen. Das setzte er in die Tat um und suchte seinen alten Lehrer, Professor Gerstekamp, auf.
Es fehlte an Geld. Um weiterstudieren zu können, musste Rehbein bei Gerstekamp Privatstunden nehmen. Die konnte er sich aber kaum leisten. Es mangelte dazu an vielem. Rehbein hatte in Belgrad kein schlechtes Leben gehabt. Er kannte aber auch schlimme Zeiten, die ihm fast das Leben gekostet hätten. So schnell warf ihn daher nichts um. Rehbein hatte in Jugoslawien gelernt, wie mit Musik Geld zu verdienen war. In Deutschland sah die Situation allerdings anders aus.
Was sollte er machen? Das Studium bei Gerstekamp war ihm wichtig. Ein Studium, das Geld kostete! Oder eben Geldverdienen? Diese Frage entschied sich schnell. Für Rehbein war klar, dass er seine praktischen Fähigkeiten einsetzen musste. Rasch lernte Rehbein andere Musiker kennen, die wie er auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit waren. Mit diesen Leuten fing er an, aufs Land zu fahren, um dort aufzutreten. Sie nannten das »Mucke machen«. Meistens waren noch einige Artisten dabei, die ihre Kunststücke vorführten.
Viel Geld brachte das natürlich nicht. Doch Rehbein lernte so weitere Musiker kennen. In Deutschland war er als Musiker ja völlig unbekannt. Täglich übte er Geige. Die Leidenschaft zu diesem Instrument hatte ihn erneut voll im Griff. Wenn es ihm möglich war, besuchte er ein bis zweimal in der Woche Gerstekamp. Zu einem richtigen Studium kam er aber immer weniger. Dabei wünschte er sich so sehr, den Anschluss an die klassische Musik zu finden.
Zum Geld sparen, legte er die Wege, soweit möglich, zu Fuß zurück. Oft war er mit seinem Geigenkasten Stunden unterwegs, um bei irgendeinem Engagement ein paar Mark zu verdienen.
Was Rehbein damals beschäftigte, lässt sich aus einer Unterhaltung ableiten, die er 1950 in Hamburg mit Schubert geführt hat.
»Ihm schwebte wohl vor, mit der Geige eine ähnliche Sache wie Helmut Zacharias aufzuziehen. Vielleicht nicht ganz so wie Zacharias, sondern mehr auf Konzert ausgerichtet. Er studierte noch bei diesem Professor. Und der meinte, Herbert sei für die Ausbildung und spätere Ausübung als klassischer Solist schon ein bisschen alt. Da lagen eben die ganzen Kriegsjahre dazwischen, die das verhindert hatten. Deshalb schwenkte Herbert immer mehr auf Unterhaltungsmusik um. Er sah sich dabei aber schon als Solist. Das mit dem professionellen Arrangieren hat sich erst später durch Kaempfert ergeben.«
Schubert, der zu dieser Zeit öfters von Berlin nach Hamburg reiste und dort auch Rehbein besuchte, staunte über die Beziehungen, die dieser dort so schnell aufgebaut hatte. »Er hatte bereits mit Verlegern zu tun. Wir waren – zusammen mit Koetscher – bei Sikorski. Herbert kannte die wichtigen Leute. In den Fachkreisen im Raum Hamburg wusste man offensichtlich, wer Rehbein war – zumindest vermittelte er mir diesen Eindruck.«
Während dieser ganzen Zeit wohnte Rehbein bei seinen Eltern. Das war sicher einmal aus wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft. Aber er hatte auch eine gute Beziehung zu seiner Mutter, der es nach wie vor gesundheitlich schlecht ging. Sie hing sehr an ihrem Sohn.
Wie konkret sich Rehbein damals für eine bestimmte musikalische Laufbahn einsetzte, ist schwer zu beurteilen. Sicher beeinflusste ihn die wirtschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland. Der konnte sich niemand entziehen. Die Präsenz der Amerikaner und Engländer gab aber gerade der Musikbranche so etwas wie Entwicklungshilfe und dadurch manch neue Chance.
Dass Rehbein sein Geld als Musiker zu verdienen hatte, war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er hatte nichts anderes gelernt. Irgendwann in dieser Zeit wird er vermutlich den Wunsch, klassischer Geiger zu werden, ganz aufgegeben haben. Die Ausbildung, die er trotzdem gemacht hat, diente ihm ein ganzes Leben lang. Sie war und blieb der handwerkliche Grundstein