Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten - Christian Springer


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des Ernani auf März 1844 verschoben.

      Inzwischen erlebt Pacinis La fidanzata corsa einen tumultuösen Durchfall: Die Vorstellung muß unter Johlen und Pfeifen des Publikums abgebrochen werden. Präsident Mocenigo bietet seinen Rücktritt an, kann aber zum Verbleib überredet werden, Verdi ist besorgt über den Empfang, den man seinem Ernani möglicherweise bereiten wird und versucht, aus dem Vertrag freizukommen, freilich vergeblich.

      Mitte Februar 1844 beginnen die Ernani-Proben. Guasco ist – es spricht sich schnell herum – in miserabler stimmlicher Verfassung, da er in Turin allein in der Karnevals-Saison mehr als dreißig Lombardi-Vorstellungen gesungen hat. Er will von seinem Vertrag zurücktreten und muß unter Androhung von Schadenersatzklagen und Gewaltanwendung an der Abreise gehindert werden.

      Kaum sind diese Aufregungen überwunden, macht der Bassist Vincenzo Meini Schwierigkeiten: Drei Tage nach Probenbeginn gibt er der Theaterdirektion bekannt, daß er „die Rolle des Rui di Silva in der neuen Oper des Maestro Verdi, Hernani“ nicht singen wolle, sie liegt wohl zu tief für seinen Baßbariton.[175] In der Not schlägt Verdi den erst zwanzigjährigen Baß Antonio Selva[176] vor, den er in Il diavolo innamorato von Luigi Ricci in Venedig gehört hat. Nun ist es am Sopran, unliebsam aufzufallen: Sofia Loewe läßt wissen, daß das Finale der Oper nicht nach ihrem Geschmack ausgefallen sei; sie wünsche ein Schlußrondo, um ihre Virtuosität unter Beweis stellen zu können. Piave schließt sich unvorsichtigerweise ihrer Meinung an, meint, den Ernani wie Rossinis Cenerentola enden lassen zu können, und verfaßt – seiner Meinung nach – passende Verse: „Voci di gioia / Voci di giubilo“, die ihm aber nichts als einen scharfen Verweis Verdis eintragen.

      W

      er ist Sofia Loewe, vor deren Kapricen Verdi gewarnt wurde? Sophie Johanna Christine Loewe wurde 1812 als Tochter des Schauspielers Ferdinand Loewe (auch: Löwe) in Oldenburg geboren. Ihr Onkel ist der Komponist Carl Loewe. Sie erhielt den Grundstock ihrer Gesangsausbildung in Frankfurt a.M., wo ihr Vater am Theater engagiert war, studierte dann in Wien bei Giuseppe Ciccimarra, in Mailand bei dem berühmten Francesco Lamperti[177] und debutierte 1832 am Wiener Kärntnertortheater in Donizettis Otto mesi in due ore[178]. 1837 trat sie in Berlin auf, wo sie in Meyerbeers Robert le Diable und Bellinis La sonnambula Aufsehen erregte. 1838 sang sie in Frankfurt die Norma. Es entwickelte sich eine große Karriere an den führenden Opernhäusern des deutschen Sprachraums, in italienischen und französischen Rollen (u.a. in Opern von Meyerbeer, Rossini, Bellini und Donizetti). 1841 debutierte sie in London in Bellinis La straniera und in Paris. Dort rühmte kein geringerer als Heinrich Heine ihr Talent. Im selben Jahr wurde sie an die Mailänder Scala engagiert, wo sie zur Saisoneröffnung in der Uraufführung von Donizettis Maria Padilla an der Seite von Domenico Donzelli und Giorgio Ronconi ihr erfolgreiches Debut gab.[179] Bellinis La straniera mit der Loewe hatte wenig Erfolg.

      Abb. 11 – Die Sopranistin Sofia Loewe (1812-1866)

      Verdi wird auf die Sängerin aufmerksam und denkt bei der Komposition des Nabucco möglicherweise an ihre Stimme für die Rolle der Abigaille. In der Saison 1843-44 ist sie in Venedig engagiert, wo sie u.a. die Elvira in der Ernani-Uraufführung singt. Genau zwei Jahre später wird Verdi sie als Odabella in Attila einsetzen. Verdis Äußerung wird kolportiert, er sei erstaunt darüber gewesen, daß eine Deutsche beim Publikum ein derartiges patriotisches Feuer habe entfachen können. 1846 versetzt sie das Publikum in Parma als Abigaille im Nabucco und Giselda in I lombardi in Begeisterungstaumel.

      1847 machen sich erste stimmliche Ermüdungserscheinigungen bemerkbar, 1848 heiratet sie den Fürsten Ferdinand von Liechtenstein und beendet ihre Karriere. Sie lebt sodann auf den Liechtensteinschen Gütern, abwechselnd auch in Wien und Budapest, wo sie 1866 stirbt.

      Auch im Fall von Sofia Loewe ist das Bild, das sich aus ihren Erfolgsrollen ergibt, zu unscharf, um sich eine präzise Vorstellung von ihren stimmlichen Fähigkeiten zu machen. Während die meisten ihrer Bellini-, Rossini- und Donizetti-Partien auf einen lyrischen, koloraturfähigen Sopran mit guter extremer Höhe (bis es³ oder e³) schließen lassen, deuten Partien wie die Norma und die Odabella, aber auch die Giselda und die Ernani-Elvira auf eine dramatische Komponente in der Stimmanlage und im Vortrag hin. Dafür spricht auch Verdis Wunsch, die Loewe, wenn schon nicht als Abigaille, so doch 1847 als Lady Macbeth zu besetzen.

      Die Loewe zieht sich von der Bühne zurück. Sie ist in Florenz im Ernani aufgetreten und hat ein Fiasko erlitten. Sie war schwanger und hat abgetrieben, und man sagt, daß dies der Grund dafür war, daß sie fast die Stimme verloren hat. Seit sie in Livorno war, ging es ihr nicht sehr gut. Der signor Maestro[180] bedauert das sehr, weil von den heutigen Sängerinnen keine die Lady im Macbeth mit derselben Wirkung wie die Loewe darstellen kann. An ihrer Stelle wird die Barbieri singen.[181]

      So indiskret diese Äußerungen des Verdi-Vertrauten Emanuele Muzio[182] auch sein mögen, so sehr weisen sie darauf hin, daß die Stimme der Loewe durch physische Ursachen und weniger durch Forcieren oder Singen aus der Stimmsubstanz Schaden genommen hatte (die Sängerin war ja, als sie ihre Karriere beendete, erst 36 Jahre alt). Wenn Verdi nur ihr die Lady Macbeth zutraute, spricht das für ihr dramatisches Talent und die tauglichen stimmlichen Mittel für diese Rolle.

      V

      erdi beendet in den letzten Februartagen die Instrumentation des Ernani und registriert besorgt das Fiasko einer weiteren Oper: Giuditta von Samuele Levi.

      Am 28. Februar wird die Ernani-Partitur den Kopisten übergeben, am 6. März soll Premiere sein. Eine weitere Verschiebung erweist sich als notwendig, da Kostüme und Bühnenbilder nicht zeitgerecht fertig werden. Verdis Musik begeistert Sänger, Chor und Orchester schon bei den Proben, die Erwartungseuphorie bei den Venezianern und den aus Mailand, Verona und der näheren Umgebung angereisten Verdianern der ersten Stunde ist groß.

      Am 9. März 1844 ist es endlich so weit. Mit Sofia Loewe (Elvira), Carlo Guasco (Ernani), Antonio Superchi[183] (Don Carlo) und Antonio Selva (Silva) findet die Premiere statt, die von einem kleinen Schönheitsfehler getrübt ist: Auf dem Theaterzettel wird angekündigt, daß man die Bühnenbilder zweier Szenen nicht rechtzeitig habe fertigstellen können. Um die Uraufführung nicht weiter zu verzögern, behelfe man sich mit Provisorien. Trocken und distanziert berichtet Verdi am Tag darauf über die Premiere an die Gräfin Appiani:

      Der Ernani hatte bei der gestrigen Aufführung einen recht erfreulichen Erfolg. Wenn ich über Sänger verfügt hätte, die, ich will nicht sagen: sublim, aber doch wenigstens intonationssicher gewesen wären, hätte Ernani den Erfolg gehabt, den in Mailand der Nabucco und die Lombardi hatten. Guasco war stimmlos und von erschreckender Heiserkeit. Falscher singen, als es gestern abend die Loeve gemacht hat, ist unmöglich.

      Alle Stücke wurden mehr oder weniger beklatscht, mit Ausnahme der Kavatine Guascos; die Stücke, die am stärksten Aufsehen erregten, waren die Cabaletta der Loeve, die Cabaletta eines Duetts, das in ein Terzett übergeht, das ganze Finale des ersten Aktes, der ganze Verschwörungsakt und das Terzett des vierten Aktes. Es gab drei Hervorrufe nach dem ersten Akt, einen nach dem zweiten, drei nach dem dritten und drei oder vier am Ende der Oper. Das ist die wahre Geschichte.[184]

      Der Sohn von Antonio Barezzi berichtet über die Aufführung an seinen Vater. Er hat mit Verdi gesprochen, denn er verwendet dieselben Formulierungen:

      Gestern abend haben wir den Ernani mit Guasco ohne Stimme und mit erschreckender Heiserkeit gehört sowie mit der Loewe, die nie zuvor so falsch gesungen hat wie gestern abend. Der Ausgang ist jedoch überaus glücklich gewesen. Alle Stücke haben Beifall bekommen, außer der Kavatine von Guasco.

      Dies ist der Grund, warum Guasco keine Stimme hatte: Es war acht Uhr und Zeit, anzufangen, doch nichts funktionierte. Guasco hatte eine Stunde lang pausenlos gebrüllt, daher die Heiserkeit. Es fehlten zwei Bühnenbilder, es fehlten Kostüme, einige, die vorhanden waren, waren lächerlich. Zwischen


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