Die Geschichte von der 1002. Nacht. Йозеф Рот

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Die Geschichte von der 1002. Nacht - Йозеф Рот


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Nie in seinem Leben hatte er sich in solch einer peniblen Situation befunden. Übrigens begann in ihm schon der stille Vorwurf zu nagen, daß er sich ja selbst in diese penible Situation gebracht hatte! Er spürte auf einmal die zudringliche Hitze der Kerzen, einen leuchtenden Wüstensturm, und die eigene Torheit, die ihm außerdem eine innere Hitze verursachte. Schon fing er zu schwitzen an, aus Angst hauptsächlich. Es mußte heraus, er konnte es nicht länger zurückhalten. Und in einem wahren Anfall von Attackengeist sprudelte er den Satz heraus: »Ich meine, man muß die Gräfin für eine Weile aus dem Saal retten!«

      Der Graf, der eben noch so stumpf und fade dagesessen war, wurde rot im Gesicht. Ein böser Zorn verdunkelte seine hellen, blassen Äuglein. »Was erlauben Sie sich?«, rief er.

      Taittinger blieb sitzen. »Bitte, mich ruhig anzuhören«, sagte er. Er nahm seine letzten Kräfte zusammen und fuhr fort: »Es handelt sich darum, die Ehre Ihrer Frau, Ihre, die Ehre all dieser Damen hier im Saal zu behüten. Der Herr aus Teheran darf heute der Gräfin keinesfalls mehr begegnen. Sehen Sie hin, wie er beutegierig durch den Saal wandelt. Er ist der Gast Seiner Majestät. Er ist ein gekröntes Haupt. Er ist auch ein politischer Gast. Seine Schamlosigkeiten können wir nur durch eine List abwenden. In einer halben, einer Viertelstunde«, der Rittmeister sah auf die Uhr, »ist alles geregelt. Ich beschwöre Sie, Graf, bleiben Sie ruhig, erlauben Sie mir, mit der Gräfin fünf Minuten zu sprechen.«

      Der Graf setzte sich, kalt und wieder blaß, wie er von Natur war. »Ich werde sie holen!«, sagte der Rittmeister.

      Er erhob sich sofort, erleichtert und trotzdem Bangnis im Herzen.

      10

      Lange noch war das Schwerste nicht überwunden. Es war nicht leicht, einer Frau in passenden Worten die Tatsache mitzuteilen, daß sie der Schah sozusagen als Gastgeschenk begehrte. Der Frau konnte man die ganze Geschichte keineswegs erzählen. Der Polizeipräsident, der sich mit dem Minister des Innern unterhielt, wandte sich dem Rittmeister freundlich zu, und so, als hätte er ihn seit Tagen nicht mehr gesehn. Der Minister bat um Entschuldigung und entfernte sich sofort. Der Rittmeister fragte: »Ist der Sedlacek schon zurück?« Das Angesicht des Polizeipräsidenten verriet höchstes Erstaunen.

      Eine Sekunde später begriff Taittinger schon, worum es sich handelte. Der Polizeipräsident wollte von nichts wissen, bis ans Ende seines Lebens würde er von nichts wissen wollen. Der Rittmeister sagte nur: »Ich komme sofort!«, und entfernte sich, so schnell es die Umstände erlaubten. Er begriff zwar, daß der Polizeipräsident partout leugnen würde, aber er ahnte noch lange nicht, was für Folgen der ganze Plan haben sollte. Er ging geradewegs auf die Gräfin zu. »Ihr Mann schickt mich«, sagte er.

      Nun, es ging vorläufig alles gut. Der Wagen fuhr vor. Die Gräfin W. und ihr Mann stiegen ein. Bevor der Graf noch dem Kutscher etwas sagen konnte, rief Taittinger mit einer verzweifelten Geistesgegenwärtigkeit zum Bock empor: »Nach dem Prater! Die Herrschaften wollen Luft!«

      Gleich darauf, als die lautlosen Räder schon im Rollen waren und man lediglich das elegante, sachte Trappeln der beiden Braunen hörte, schämte sich der Rittmeister seines erbärmlichen Zurufs. Ich habe wirklich zuviel getrunken, dachte er, oder ich bin von Sinnen.

      Aber er war nicht von Sinnen: er hatte richtig vorausgesehen. Denn es war keineswegs notwendig, dem Geheimen Franz Sedlacek ausführliche Anweisungen zu geben und Einzelheiten zu beschreiben. Er besaß Phantasie genug.

      Weder er noch seine Untergebenen hatten im Laufe einer kurzen Stunde ein Frauenzimmer – oder, wie sich Sedlacek ausdrückte: »eine Person« – ausfindig machen können, die man der Majestät statt der von ihr auserkorenen Dame hätte darreichen können. Es blieb Sedlacek nur übrig: die Mizzi Schinagl aus dem bekannten Hause der Josephine Matzner.

      Eilig hatte er sie den Armen eines alten Försters entrissen und so, wie sie war, im knallroten Kleidchen, das bis zu den Strumpfbändern reichte, im Fiaker mitgenommen. Unterwegs hatte er Zeit genug, sie zu instruieren. »Du darfst den Mund nicht aufmachen«, sagte er. »Wenn er dich fragt, wie du heißt, so sag: Helene. Stell dich patschert an. Du weißt von nix, eine Dame bist du, verstanden? Kannst dich überhaupt noch erinnern, wie's mit dem ersten war? Streng deinen dummen Schädel an und denk nach! – Mach's jetzt gleich vor, aber natürlich! Nur das Benehmen, mein' ich. Ich bin im Dienst. Also?«

      Sedlacek ließ die Kleine im Fiaker, unter aufgeschlagenem Dach. Vor dem einsamen Wagen, der abseitsstand, zehn Meter entfernt von den andern Fiakern, patrouillierte ein Wachmann. Mizzi Schinagl fror.

      Man mußte ihr eine Ballrobe beschaffen, blaßblau, Seide, tief ausgeschnitten, ein Korsett, Perlen und ein Diadem. An alles dachte Sedlacek. Seit einer Viertelstunde schon stöberten seine Leute, vier begabte Männer, im Garderoberaum des Burgtheaters herum. Der Nachtwächter leuchtete ihnen mit der Laterne. Vier nobel gekleidete Gespenster in Fräcken, Stöcke in der Hand, Zylinder auf den Köpfen, rumorten sie mitten zwischen dem nächtlichen, verschlafenen Wirrwarr der theatralischen Requisiten. Alles, was seiden zu sein schien und blaßblauer Farbe war, rafften sie zusammen. Sie hatten die Hosentaschen voll falscher Perlen, funkelnder, feuriger Diademe, künstlicher Blumen, vergißmeinnichtblauer Strumpfbänder, glitzernder Agraffen. Es ging alles sehr schnell, wie sonst nur sehr wenige Angelegenheiten im Staat und in den Ländern zu gehn pflegten. Nur noch eine kurze Weile – und das gefällige Mädchen Schinagl sah für fremde und orientalische Augen beinahe so aus wie eine Dame. Sie wartete in der Garderobe des Hofbeamten zweiter Klasse, Anton Wessely, dessen Tochter Taittinger vor kurzem erst so brüsk hatte verlassen müssen.

      Alles weitere vollzog sich unter Sedlaceks geradezu nobler Leitung und mit Hilfe des wendigen Adjutanten Kirilida Pajidzani. In einem geschlossenen Wagen, dem Sedlacek im Fiaker folgte, brachte man die persische Majestät in das Haus der Frau Matzner. Wenn einer der Stammgäste in jener Stunde zufällig vorbeigekommen wäre, hätte er denken müssen, das Haus, ja die ganze Gasse seien verzaubert. Es schlief das Haus, und es schlief die Gasse, und ausgelöscht waren die Laternen, und ausgelöscht schien die Welt. Nur der teilnahmslose, schmale Ausschnitt des Himmels über den Dächern war wach, und seine silbernen Sterne glitzerten.

      Auch das Innere des Hauses Matzner war nicht wiederzuerkennen. Alle Pensionärinnen saßen eingesperrt in ihren Zimmern. Frau Matzner bewahrte die Schlüssel. In ihrem aschgrauen, hoch- und festverschlossenen Kleid, mitten in dem Zwielicht, das sie selbst so mühsam hergestellt hatte, dank allerhand Schleiern und Tüchern, damit das allzu gewöhnliche Dekor nicht deutlich zum Vorschein komme, erinnerte sie an ein nach langen Jahren, Jahrhunderten des Todes wieder aufgescheuchtes Gespenst einer verschwiegenen Kammerzofe. Mit einer tiefen Verbeugung empfing sie das ankommende Paar, die Mizzi und die Majestät. Kein Laut war hörbar, und nichts war deutlich sichtbar. Seine Majestät, der Schah, mußte glauben, daß er in eines jener verzauberten okzidentalen Schlösser geraten sei, von denen ihm seine wunschselige Phantasie seit Jahren schon in Teheran so viel versprochen hatte. Der Schah glaubte es in der Tat. Weitaus kindischer noch als etwa ein beliebiger europäischer Christ, der in jenen Jahren nach Persien kam und der die Geheimnisse des sogenannten Orients entdeckt zu haben glaubte, wenn es ihm nur gelungen war, eine der aller Welt offenstehenden Freudenstätten zu sehn, war Seine Majestät in dieser Nacht begeistert von den Geheimnissen des Abendlandes, die er endgültig entschleiert zu haben glaubte. – Es ist also nicht so – sagte er sich in seiner bezauberten Einfalt –, daß hierzulande diese großartigen Frauen lediglich ihren Männern gehören! Zwar gibt es – so sagte er sich weiter – hierzulande keine Harems; aber um wieviel schöner, zauberischer, reizvoller ist die Liebe ohne Harem! ... Man kauft die Frau nicht – man bekommt sie sogar geschenkt! Während sie, diese Abendländer, die Tugend predigen, die Monogamie, entschleiern sie ihre Weiber nicht nur – nein, sie verleihen sie auch!!

      In dieser Nacht war Seine Majestät, der Schah von Persien, überzeugt, daß die Liebeskunst des Abendlandes weitaus raffinierter war als die seiner Heimat. In dieser Nacht genoß er alle jene Wonnen, die einem begierigen Mann die gewohnte, heimische Art der Liebe niemals gewähren kann, sondern die ungewohnte, ungewöhnliche, fremdartige. Die Methoden, die Sedlacek, der Geheime, der Mizzi Schinagl angeraten hatte, kamen dem Herrscher von Persien exotisch vor. Er war eben kein Europäer, er hatte einen Harem, gefüllt


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