Unsere Gleichgültigkeit ist das Todesurteil anderer. Anton Jaru
Читать онлайн книгу.indem man seine Grenzen im Denken aufspürt und überwindet.
Überlegenheitsglaube, Feindbilder und Intoleranz
Es gibt zwei Arten des Überlegenheitsglaubens - das der persönlichen Überlegenheit und das der Überlegenheit der eigenen Gemeinschaft. Im Wesen unterscheidet sich beides kaum. „Ich habe Recht, du nicht“, „wir sind besser“ usw. Der ich-bezogene Überlegenheitsglaube bezieht sich auf das eigene Wissen, die eigene Meinung, Weltanschauung, die Ideale, den Lebensstil etc. Das führt oft zu dem Glauben, man hätte Ahnung von etwas, ohne die geringste Ahnung zu haben. Zwei oder drei Berichte im Fernsehen und schon hält sich der „Überlegene“ für einen Experten und ist nicht mehr zu belehren. Der gruppenbezogene Überlegenheitsglaube, der Chauvinismus, wird fast nur im nationalistischen Kontext verwendet, faktisch gibt es ihn in verschiedenen Bereichen. Es gibt beispielsweise den politischen, kulturellen, religiösen und den sozialen Chauvinismus. Teilweise nimmt der Chauvinismus völlig absurde Züge an, wie beim Sportchauvinismus.
Der Glaube an die eigene Überlegenheit geht oft einher mit Feindbildern. Sei es eine Regierung, bestimmte Personen, Anhänger bzw. Feinde von etwas oder eine ganze Nation. Es ist aber wichtig zwischen „Feind“ und „Feindbild“ zu unterscheiden. Während es echte Feinde gibt, erschaffen Feindbilder nur den Anschein eines Feindes. Alles Mögliche wird zum „Feind“, nur der wahre Feind nicht, was nur der Ablenkung dient. Aktuell das wohl größte Beispiel: Westen gut, Russland böse.
Ein weiteres typisches Merkmal unmündiger Menschen, nicht nur im Zusammenhang mit Feindbildern oder Ideologien, ist die Intoleranz. Dabei lassen sie alles, was nicht zu den eigenen Vorstellungen von richtig und falsch passt, nicht gelten. Diese Geisteshaltung führt früher oder später immer zu Konflikten. Sogar die, die sich als liberal und tolerant präsentieren, unterscheiden sich darin oft nicht von ihren rechten Widersachern: Was außerhalb des eigenen Weltbilds liegt, wird ebenfalls nicht toleriert. Die Wurzeln dafür liegen im Schwarz-Weiß-Denken - es gibt nur richtig (eigene Meinung) und falsch (andere Meinungen). Also: Einfach mal Gleichheit und Toleranz für alle walten lassen, sogar für Andersdenkende. Tipp: Auf dem Boden der Tatsachen bleiben.
Gleichschrittkultur
Die unmündigen Menschen haben weder ein echtes Interesse, ihren Verstand zu nutzen noch gegen den Strom zu schwimmen. Lieber bleibt man in der grauen Masse, passt sich an, um bloß nicht aus dem Rahmen zu fallen. Nach dem Motto: „Sag mir, was in Mode ist, und ich sage dir, was mir gefällt.“ Das ist der Weg des geringsten Widerstands. Konformismus, Denkverweigerung, Gleichgültigkeit, Ignorantentum, Prinzipienlosigkeit, Mitläufer- und Duckmäusertum - das alles bezeichne ich als Gleichschrittkultur. Es muss nicht einmal der Mainstream sein, es können ebenso alle möglichen politischen, religiösen und sonstigen Strömungen und Gemeinschaften sein (es kann sogar die eigene Familie sein). Die Angepassten hören auf - überspitzt gesagt - als Individuen zu existieren und werden zum Kollektiv, gehen in ihm auf. Sie denken nicht selbstständig - ganz zu schweigen vom Hinterfragen - und Auffassungen und Urteile entnehmen sie blind ihrer, nennen wir es Wertegemeinschaft. Ja sogar ihr Geschmack für Mode, Film, Musik, Literatur usw. ist fremdbestimmt. Kurz gesagt: Sie leben das, was man ihnen vorgibt. Der Mensch ist ein soziales Wesen, braucht also ein Zugehörigkeitsgefühl und Anerkennung, insofern ist dieses Verhalten auf psychologischer Ebene nachvollziehbar. Man möchte kein Ausgestoßener oder Außenseiter werden und das erreicht man durch Nachahmung garantiert. Für eine Diktatur genau das Richtige, doch eine Demokratie kann mit einer solchen Mehrheit nicht so existieren, wie es sich für eine Demokratie gehört. Leider sind heute die Menschen, die sich empört fragen, wie man damals Hitler unterstützen konnte, gleichzeitig meist die Menschen, die an vorderster Front für die Interessen der aktuellen Machthaber kämpfen, aber verbal und unbewusst. Tipp: Selbstbestimmte Individualität statt fremdbestimmter Einheitsbrei.
Das Kernproblem: kein Hinterfragen, kein selbstständiges Denken
All diese Probleme haben dieselben Wurzeln: kein Hinterfragen, kein selbstständiges Denken. Doch wer Verantwortung für seinen Verstand übernimmt, der kann ein mündiger Bürger werden. Die wichtigste Regel dabei ist, nicht nur alles, was einen umgibt, kritisch zu betrachten und zu beurteilen, sondern vor allem das eigene Denken und Tun. Der mündige Mensch ist bereit, die eigenen Auffassungen zu revidieren, um persönlich zu wachsen und der Wahrheit näher zu kommen. Der mündige Mensch steht an der Seitenlinie, beobachtet, hinterfragt und reflektiert. Wer sich von den etablierten Leitmedien verabschiedet und sich stattdessen alternativen Quellen zuwendet, ist also nicht automatisch kritisch oder mündig.
Ich glaube, Selbstkritik ist die höchste Form des Denkens. Diese erfordert allerdings, die eigene Fehlbarkeit zuzugestehen bzw. bewusst zu machen, was schon ein großer Schritt in Richtung Mündigkeit ist. Dass man manipuliert wird, möchte erst recht niemand zugestehen (passt nicht zum Selbstbild), ist aber ein weiterer großer Schritt. Das eigene Ego gilt es zu besiegen - danach sieht man gleich klarer.
Mit Kant hat dieses Kapitel begonnen, so soll es auch enden: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
4. Bildet Euch!
„Bildung ist die stärkste Waffe, um die Welt zu verändern.“
Nelson Mandela
Eine gute Bildung sollte für jeden etwas Selbstverständliches sein, jedoch ist „Bildung“ heutzutage zu einer bloßen Worthülse verkommen. Für die meisten hört der Lernprozess schon nach Erhalt des letzten Schulzeugnisses auf, weil sie die Bildung und ihren Wert nie verstanden haben. Für sie ist Bildung ein Mittel zum Zweck, doch Bildung ist Selbstzweck. Wissen per se stellt einen Wert dar. Beim Lernen gibt es deshalb kein Ende, es geht immer weiter. Und so ist für einen gebildeten Menschen Bildung nie das Ziel, sondern der Weg. Alle anderen hingegen halten nur das Wissen für erstrebenswert, das man in seiner beruflichen Laufbahn gebrauchen könnte („Das brauchen wir später nie wieder!“). Der angehende Automechaniker fragt sich, wofür er Rechtschreibung brauche, die angehende Kindergärtnerin fragt sich, wofür sie Mathe brauche usw. Wer schon in jungen Jahren einen akademischen Beruf anstrebt, der mag immerhin einen Anreiz zum Lernen haben - alle anderen sehen keinen Grund dazu. Man versucht Schülern Wissen zu vermitteln, ohne dass sie wissen, was das Ganze überhaupt soll. Wer nicht lernen will, lernt auch nichts, deswegen ist es viel wichtiger, für Bildung zu begeistern, anstatt einfach Wissen weiterzugeben. Nur so können sich aus Nichtswissenden gebildete Menschen entwickeln, die sich in ihrer Freizeit freiwillig bilden. Ansonsten bleibt der Bildungsstand nach der Schule für den Rest des Lebens praktisch auf einer Stelle stehen. Das ist die aktuelle Realität - viele opfern ihre Zeit für ihre Arme und Beine, aber etwas für den Kopf zu tun, das kommt wohl nicht in Frage. Klar, die Resultate, also den Nutzen, kann man mit bloßem Auge erkennen, Bildung aber ist abstrakt und unsichtbar.
Bildung brauchen wir, um uns und die Welt besser zu verstehen, Zusammenhänge und Ursachen zu erkennen und um uns in einer immer komplexer werdenden Welt besser zu orientieren. Kurz: Wer viel weiß, sieht mehr. Abgesehen davon ist Bildung, speziell die politische Bildung, auch eine Art Schutz. Denn wer nichts weiß, muss glauben. Ein Volk, das nichts weiß, lässt sich entsprechend leicht regieren und belügen. Gebildete Menschen dagegen lassen sich nicht so leicht kontrollieren - Wissen verringert nämlich den Einfluss, den die Umwelt auf uns hat. Naheliegend, dass das Establishment auch daran nicht interessiert ist. Das Volk soll gefälligst arbeiten und keine Fragen stellen - Unbildung ist systemrelevant. Deshalb wird genug Wissen vermittelt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, aber zu wenig für ein tiefgehendes Verständnis von Politik und der Welt im Allgemeinen.
Da alles auf der Welt zusammenhängt, ist es gerade für politische Aktivisten essentiell wichtig, umfassend gebildet zu sein. Um das große Ganze zu sehen, brauchen wir Kenntnisse auf möglichst vielen Gebieten und fächerübergreifendes Denken. Ohne Geschichte lässt sich die politische Gegenwart nicht verstehen, ohne Länderkunde lassen sich politische Konflikte nicht erklären und ohne Psychologie bleiben die Gründe für menschliches Verhalten verborgen. Die Mächtigen haben die Bedeutung umfassenden Wissens