3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner
Читать онлайн книгу.dem einstigen Superstar. Der früher als „größter Dichter Amerikas“ Gefeierte verfiel missionarischem Eifer, ließ seinen Sound auf Mainstream trimmen. Flache Keyboards, süßliche Engelschöre und der einstmals originelle, inzwischen aber zur universal einsetzbaren Unverbindlichkeit verkommene Stil eines Mark Knopfler vergraulten die Fans. Man grämte sich nicht mehr über Dylans avantgardistischen Schritt voraus, sondern beklagte nun seine widerstandslose Vereinnahmung durch einen gehobenen Einheitssound. Zwar hat Dylan seinen Mut zur Veränderung oft genug bewiesen, doch warfen die letzten Platten ernste Zweifel auf. „Oh Mercy“ aber wischt sie beiseite – dank Daniel Lanois. Der Produzent aus New Orleans hat Dylans Musik zu den Wurzeln zurückgeführt, hat die introvertierten Songs in eine wohltuend erdige, sehr gitarrenlastige Instrumentierung gepackt, die „Oh Mercy“ zu einem unverwechselbaren Sound verhilft. Dylan selbst ist zwar noch immer vom Gauben beseelt, doch kehrt er ihn nur noch selten so plakativ heraus wie in „Ring them bells“. Ob Gospel oder Blues, ob schwelgerisch-elegisch („Most of the Time“) oder schwerblütig-rhythmisch („What was it you wanted?“): Die Musik des Teams Dylan/Lanois bleibt kraftvoll und erdverbunden. Die Platte präsentiert schnörkellos und direkt alle Qualitäten des Robert Allen Zinmermann: den hechelnden Gesang, die pointiert „falschen“ Betonungen, die spröde Schönheit seiner klagenden Mundharmonika. Und sie wartet auf mit einem der besten Dylan-Songs überhaupt: „Man in the long black Coat“, einer düsteren Geschichte um Liebe und Tod, beinah nekrophil und an Ambrose Bierce erinnernd. Lanois zaubert mit Grillengezirpe, hallenden Gitarreneffekten und Harmonika ein Wunder an Atmosphäre. „Courage is a thing of the past“, klagt Dylan im ersten Song dieser Platte, „Political World“. Ihn selbst muss man nach „Oh Mercy“ ausdrücklich davon ausnehmen. Ein erstaunliches Comeback eines ausgeruhten Künstlers, der anscheinend in jedem Jahrzehnt seinen Platz zu finden vermag.
The Rolling Stones
„Steel Wheels” (1989)
Klar: Solche Rockfossilien kann man als Spättwen nicht nur mit den Ohren der 80er hören. Eine neue Stones-Scheibe aufzulegen heißt auch, gerührt der knisternden Klassiker im Regal zu gedenken. Schließlich war „Satisfaction“ einmal die Hymne aller Unbefriedigten und somit ungefähr das wichtigste Stück der Welt – auch wenn man’s, wie ich, erst spät kennenlernte, weil bei der Erstveröffentlichung noch in dumpfer Kindheit musik- und ahnungslos dahindämmernd. Aber als pubertierender Teenager zu „Angie“ den Klammerblues getanzt zu haben, prägt fürs ganze Leben. Genau das jedoch macht es so schwer, „Steel Wheels“ gerecht zu bewerten: Man hat einfach zu viel im Kopf. Dennoch, selbst unter Berücksichtigung und anschließender Eliminierung dieses Faktums, klingt die Platte ziemlich fad. Das fängt beim leblos-nichtssagenden Außencover an, wird von einem brüllend erstarrten Mick Jagger auf der Innenhülle kurz revidiert, ehe die durchweg mittelmäßigen Tanzliedchen im immergleichen Takt den Eindruck bestätigen. Zwischendurch ein paar Balladen: mal angereichert mit Klassikgitarre („Almost hear you sigh“), mal mit juchzendem Hintergrundchor, dem man jedoch eine gewisse Selbstironie zugestehen könnte („Blinded by Love“). Aber Gänsehäute? Ewige Wahrheiten? Weder noch. Allenfalls der in karger Viererbesetzung eingespielte Hardrocker „Hold on to your Hat“ lässt erahnen, welche Energie und Kraft den englischen Rotzlöffeln der 60er einmal eigen war. Das Problem ist: Die Jungs von einst sind alt geworden, wollen aber partout noch up to date sein. Alle Songs sind darum modisch aufbereitet, es findet sich gar ein ganz im Trend liegender Ausflug in den Ethnobeat (kaschiert als Hommage an den lang verstorbenen Rolling Stone Brian Jones). Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Bill Wyman und Ron Wood bilden nunmehr eine Rentnerband am Rande des musikalischen Mittelmaßes, die sich mit perfekter Routine über die Zeit rettet. Und weil die Kreativität längst flöten ist, Richards die genialischen Riffs und Jagger die zeitlosen Melodien ausgegangen sind (was ihnen nach 30 Jahren auch zugestanden sei), fügen sie der schier endlosen Reihe ihrer Klassiker keinen neuen hinzu. „All I want is ecstasy“, singen sie auf „Shipping away“ und werden ihrer ebensowenig teilhaftig wie wir. Immerhin: Sie waren einsichtig genug, diesen Song, einen melancholischen Exkurs über Vergänglichkeit, ans Ende zu stellen.
Tracy Chapman
„Crossroads” (1989)
Sie hatte eines der sensationellsten Plattendebüts der Popgeschichte: Rund zehn Millionen Exemplare ihrer schlicht „Tracy Chapman“ betitelten Scheibe wurden seit letzten Sommer verkauft – eine schier unerträgliche Hypothek für jedes Nachfolgewerk. Die junge Sängerin, die bis dahin in intimen Folkclubs die Saiten gezupft hatte, stand über Nacht im Rampenlicht, wurde herumgereicht, bestaunt, bewundert und beneidet. Plötzlich wollten sie alle, und wer Chapmans introvertierten Auftritt beim Mandela-Konzert in London gesehen hat, ahnt, wie fremd und unwirklich ihr dies vorkommen musste. Auf ihrer zweiten Platte „Crossroads“ tut sie darum das einzig Richtige: Sie thematisiert das Wunder ihres Erfolges, vor allem seine Schattenseiten. „Demons are on my Trail“ hat sie erkannt und meint all die Freundschaft nur heuchelnden Trittbrettfahrer des Ruhms. „Crossroads“ handelt von äußerer Bedrohung, von Verletztheit und von Verbitterung. Auf keinem der Coverfotos schaut Tracy Chapman uns an – als wolle sie so augenfällig machen, was sie im Song „Be careful of my Heart“ resigniert und trotzig zugleich bekundet: sich mehr Liebe für sich selber aufsparen zu wollen, statt sie an andere zu vergeuden. Natürlich fehlen auch die sozialkritischen Lieder im aufbegehrenden Duktus der 60er nicht: aggressionsgeladene Bestandsaufnahmen vom Leben in den Slums („Subcity“), Solidaritätsbekundungen für Nelson Mandela („Freedom now“) oder Attacken gegen Religion und weiße Dominanz („Material World“). Frappierend, wie sie zu zeitlos einfachen Melodien ganz schlicht nach „Gerechtigkeit“ verlangen kann, ohne sich je (wie etwa Sting, Simple Minds oder Bruce Springsteen) dem Verdacht eines modischen Betroffenheitsgestus auszusetzen. Wie auf der ersten Platte ist ihren mal persönlichen, mal politischen Balladen eine getragene Schwermut eigen, die, harmonisch und überwiegend akustisch instrumentlert, oft der Engagiertheit der Texte scheinbar zuwiderläuft. Doch genau diese Aura ist es, die sie bei aller Glätte der Produktion nicht scheitern lässt an der Erblast des genialen Erstlings. Tracy Chapman tat eben das einzig Richtige: zu reflektieren über das Jahr, das alles in ihrem Leben veränderte. Eine erneut meisterliche Platte also, die Rückzug und Isolation als Ausweg begreift, als letztes Mittel künstlerischen Überlebens. Eine konsequente Platte.
Van Morrison
„Avalon Sunset” (1989)
„Don’t wonder why“ beschwor er uns schon vor über 20 Jahren auf seinem Meisterwerk „Astral Weeks“, das in seiner filigranen Leichtigkeit geeignet schien, die Gesetze der Gravitation aufzuheben. Er war jung, 23 erst, und sang schon wie ein Meister. Seine Gedichte verwandelte er in vokale Klanggebilde voll farbenprächtiger Phrasierungen und hypnotischer Wiederholungen, er schuf Songskulpturen jenseits aller Zeiten und Stile. Später, viele Jahre später – er war nun erdiger geworden, hatte die Einzigartigkeit der „Astral Weeks“ wohl selbst erkannt und keine Kopien abliefern wollen – beschäftigte ihn noch immer das Warum. „It ain’t why, it just is“, hieß es 1980 ganz apodiktisch auf „Common one“. Das war immer die Basis gewesen, von der aus er seine persönliche Mystik hatte entwickeln können. Von hier aus hatte er kommuniziert mit magischen Mächten, die auch seine Natur- und Liebeslyrik immer wieder beschwor. Es war die diffuse, geheimnisvolle Aura seiner Texte, die sie einer eindeutigen religiösen Zuordnung enthob und so auch die Rationalisten unter seinen Fans nicht vollends verschreckte. „It ain’t why, it just is“: Das ging in Ordnung. Aber jetzt, nach „Avalon Sunset“ nicht mehr. Zwar ist des Iren Stimme noch immer für Gänsehäute gut; zwar hat er den Sound der letzten Platten (vom „Irish Heartbeat“-Folkausflug mit den Chieftains einmal abgesehen) weiter kultiviert, lässt sich noch immer umwogen von einem melancholischen Klangmeer aus schweren, verhallten Drums, breiten Streicher- und Keyboardgrundierungen, perlendem Piano und Grummelbass. Doch die Morrison’sche Mystik ist dahin, er ist (reuig?) ins christliche Lager eingekehrt. Nun also: konkrete Bekenntnisse statt dunkler Ambivalenz. Wer das eröffnende Duett mit Cliff Richard noch überstanden hat, wird sich spätestens vom fast militanten Missionseifer einer Zeile wie „Whatever it takes to fulfill his mission, that is the way we must go“ schaudernd abwenden.