3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner


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Stilmitteln des Dub, Rock und Jazz, sie spielen auch mit der technischen Reproduktion von Musik. Das 21-minütige Herzstück des Albums, „Djed“, geht auf halber Strecke unvermittelt in ein Scharren und Schaben über. CD kaputt? Nein: Tortoise nehmen die Klangästhetik einer kaputten CD und verwandeln sie in ein Element der Komposititon, lassen sich vom Scharren den Takt vorgeben, um wieder zurückzufinden in die meditativen Fusionklänge von „Djed“. Metamusik im Freistil: eine ungebundene Instrumentalplatte, strotzend vor Intelligenz und Bescheidenheit. Grooves für den Kopf.

      Velvet Belly

      „The Landing” (1996)

      Seltsam, wie nah manche Musik den Vorstellungen ist, die man von der Herkunft der Musiker im Kopf hat. An unserem geomusikalischen Bild von Norwegen etwa hat sicher Jan Garbareks Saxofon mitgemalt. Velvet Belly sind auch Norweger, doch ihre Sache ist der Pop, und der hat eine Weite, die das Land offenbar hervorrufen muss beim kreativen Prozess. Mit einer ganzen Batterie elektroakustischer Instrumente segeln sie sanft über die Fjorde, geleitet von der begnadeten Lotsin Anne Marie Almedal. Dieser gitarrenverankerte nordische Trancepop hat bisweilen einen so eindringlichen Puls, dass er manchen Song über neun Minuten trägt.

      Verschiedene Künstler

      „Absolutely live” (1996)

      Der Fuldaer Konzertagent Berthold Seliger schickt seit Jahr und Tag wunderbare Folk- und Rockkünstler durch Deutschland – von den Walkabouts bis Townes Van Zandt. Aus den Aufnahmen der 1995er-Tourneen hat er nun eine exquisite CD zusammengestellt, ganz ohne Publikumsgejohle – was auch nicht sonderlich schwer wegzuschneiden war, bewegen sich die Zuschauerzahlen bei so viel Geheimtipppotenzial doch im Hunderterbereich. Ein Höhepunkt: die australischen Dirty Three. Wie hier lyrische Sanftheit binnen sieben Minuten ins expressive Chaos mündet: So muss Musik sein, wild und gefährlich. Wer dies – und das Bookletessay zum Neofolk – genießen will, muss sich beeilen; das CD-Juwel ist auf 1000 Stück limitiert.

      Verschiedene Künstler

      „Conmemorativo – The Gram Parsons Tribute” (1996)

      Gram Parsons war nie ein Superstar. Den Byrds war er zu countrylastig, seine eigene Band, die Flying Burrito Brothers, spielte lieber Bluegrass als den von ihm favorisierten (kommerzträchtigen) Rock. Als Parsons 1973 an einer Überdosis Drogen starb, hinterließ er ein Bündel Songs, von denen sich einige zu modernen amerikanischen Klassikern mauserten. Zeilen wie „She’s a devil in disguise/I can see it in her eyes“ wurden zu geflügelten Worten, ohne dass Parsons’ Urheberschaft immer mitflog. Auf vorliegendem Album nun verdichten sich die Covers von Uncle Tupelo oder Vic Chesnutt zur Hommage an einen der größten Countrykomponisten in Hank Williams’ Nachfolge. Und wie groß der Respekt vor Parsons’ Talent bei den Tributzöllnern ist, liest man am besten daran ab, wie bedingungslos sie sich zwei Dekaden nach seinem Tod noch seinem typischen Countryidiom unterwerfen – auch wenn sie, wie Bob Mould, Rock spielen.

      Verschiedene Künstler

      „In Bed with Marina” (1996)

      Wo gibt’s denn das: 22 Songs und keiner schlecht! Getreu dem liebreizenden Labelmotto „Gute Musik macht glücklich“ legt die Hamburger Firma Marina einen Sampler mit raren Sachen auf – vom seit 1968 verschollenen Harper’s-Bizarre-Juwel „Small Talk“ bis zur unbekannten Perle von Edwyn Collins. Dabei auch die Lokalmatadoren Camping (mit Streichquartett) und Bernd Begemann (mit Pubertätsproblemen). Ein jugendlich frisch einherperlender Folkpopsampler für Girlies und Boylies mit Herz und Hirn; eingewoben ist ihm die sanfte, doch behebbare Traurigkeit einer gut draufen Magnum-Mandel-Mögerin beim Anblick ihres leeren Eisfachs. Unverzichtbar!

      Verschiedene Künstler

      „Sushi 3003 – A spectacular Collection of Japanese Clubpop” (1996)

      Japanischer Clubpop ist ein Puzzle – aus der Coolness der Neonbars der 60er, einem Schuss antiseptischen Latinjazz’, der ungerührten Oberflächlichkeit des Easy Listening … und dem ganzen, ganzen Rest. Nirgendwo auf der Welt werden die Popdekaden so stark verdichtet, so enthusiastisch und witzig nachgeahmt wie in Tokio. Japan ist ein Schwamm, der die Popgeschichte aufsaugt und modifiziert wieder ausschwemmt – rasend schnell und trotzdem handlich verpackt. Nichts daran ist echt, nicht der Morricone-Touch von Date Of Birth und nicht die Latinoattitüde von Pizzicato Five (auf dem „Sushi“-Sampler), doch alles ist entwaffnend naiv. So – und quirlig dazu – geht auch DJ Ken Ishii auf dem parallel erscheinenden „Mix up“ die Stücke von Kollegen wie Moby oder Meat Beat Mainifesto an; seine Remixe sind perkussiv und schnell, gelassen und leicht. In Japan liegt vielleicht nicht die Zukunft des Pop. Aber das bunte Hologramm seiner ganzen Vergangenheit.

      Verschiedene Künstler

      „The Real Music Box – 25 Years of Rounder Records” (1996)

      Meine Freundin ist keine, der man ungestraft 140 Minuten Bluegrass vorspielen darf. So lange laufen die CDs sieben und acht aus der superben Rounder-Box, die uns das Label zum 25. Geburtstag günstig offeriert. Mit je zwei Scheiben pro Genre (Folk/Blues/Louisiana-Style/Bluegrass) sausen wir durch die US-Rootsgeschichte: von Woody Guthries linken Kampfliedern über Boozoo Chavis’ köchelnden Cajun bis zum handgepickten Heile-Welt-Lobpreis der Hazel Dickens. Pralle Booklets erzählen die Rounder-Story, und für Boxkäufer gibt’s ein stilmixendes Bonusalbum dazu – das meiner Freundin natürlich entgeht, weil sie ja wegen ihrer Bluegrassphobie die Box verschmäht. Selber schuld.

      Verschiedene Künstler

      „X-Files – Various Songs in the Key of X” (1996)

      Die kanadische TV-Serie „Akte X“ verdankt ihren Kulterfolg nicht nur dem Esoterikboom, sondern auch der perfekten Machart auf Kinoniveau – und irgendwann werden wir Moulder und Scully auf der Leinwand wiedersehen, das ist gewiss. Auch der Soundtrack glänzt. Nicht nur Mark Snows beängstigend atmosphärisches Titelthema ist umwerfend; die eigens komponierten Songs von R.E.M. (mit William Burroughs!), Sheryl Crow oder Frank Black liefern kongeniale Stimmungen zwischen düster-aggressiv und wispernd-sakral. Von 15 Stücken sind nur zwei nicht neu. Aber wer wollte ausgerechnet Nick Caves „Red right Hand“ oder Screamin’ Jay Hawkins’ „Frenzy“ den Zutritt zur Schattenwelt verwehren?

      Virgin Steele

      „The Marriage of Heaven & Hell Part 2” (1996)

      Der Heavy Metal kocht in der eigenen Suppe, und außer Kuttenträgern interessiert sich kein Schwein mehr für Poser, Gitarrenonanisten und Schreihälse mit meterlangen Matten. Neue Impulse? Nirgends. Allenfalls die intelligente Verwendung erprobter Elemente ist interessant. Wie bei Virgin Steele, die sich alte, sehr alte Deep-Purple-Platten angehört haben und erkannten, wie gut Orchester und Streicher zu knalligen Rockriffs passen. Vor allem im epischen Zehnminüter „Emalaith“ zeigen sie, wie Bombast heute klingen muss, damit wir ihn ernst nehmen können: hart, hymnisch, vollfett – und so klug durcharrangiert, dass sogar Keith Emerson mit der Braue zucken würde. All das lässt manchen Textschwulst ertragen. Und mittendrin perlt natürlich auch mal die Akustische. Das Album bildet den Abschluss einer Doublette zum seit jeher metalrelevanten Themenkreis Himmel und Hölle.

      Visit Venus

      „Magic Fly Variations” (1996)

      Schon die 95er-CD „Music for Space Tourism Vol. 1“ erschien weniger innovativ als beispielhaft dafür, wie schnell ein neues Genre – TripHop – heutzutage in Ablaufroutinen erstarren kann. Wenigstens aber war dem deutschen DJ-Duo ein Marketinggag gelungen: das Ausgangsmaterial für ihre Mixe hatten sie als Nasa-Kompositionen aus den 70ern ausgegeben. Auf der mehr als halbstündigen Maxi „Magic Fly …” bremsen sie nun (u. a.) den legendären Discohit auf Schneckentempo ab und reichern ihn mit Easy-Listening-Orgeln an. Krampfhaft auf Höhe der Zeit


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