3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner


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gibt es die wenigsten. Dafür zieht sich ein abgedroschener Dancegroove durch, der Modernität beweisen soll. Doch diese Musik wirkt seltsam kraftlos, erstarrt in selbstgeschaffenen Klischees, die andere inzwischen besser reproduzieren als sie selber. Kommen nach sieben fetten jetzt sieben magere Jahre für Oasis? Die übersteht man nicht im Pop, das ist sicher.

      Pearl Jam

      „Binaural” (2000)

      Die ersten drei, vier Songs platzen auf wie Eiterbeulen. Nichts als Lärm und Dreck, weggehauen in drei Minuten: Statements gegen jeden Verdacht der Verpoppung von übriggebliebenen Altgrungern, die als einzige ihres Genres noch etwas zu sagen haben in einer Welt, die sich verändert hat. Manchmal spielt Eddie Vedder noch immer den Bedenkenträger, dann ist er gut. Ein andermal möchte er witzig sein, und das passt zu ihm wie Shakespeare zu Zlatko aus „Big Brother“. Pearl Jam wird nie mehr ein Album wie „Ten“ gelingen. Doch was sie auf „Binaural“ an Wut und epischen Balladen raushauen, hat noch immer Klasse.

      Peter Gabriel

      „Ovo – The Millennium Show” (2000)

      Gut: Dies ist nicht das lang erwartete neue Soloalbum eines der hellsten Köpfe des Pop. Doch selbst wenn es nur darum geht, die Musik für eine Touristenattraktion – den Millennium-Dome in London – zu schreiben, hätten wir nach elend langen Jahren des Schweigens von Gabriel mehr erwartet als ein Multikultiwischiwaschi mit globalen Gästen (Neneh Cherry, Liz Fraser, Richie Havens etc.) und hohem Beliebigkeitsgrad. Dreimal täglich wird dieser westöstliche Divan aus garantiert kochwaschgangfestem Polyester im Dome gespielt, umrahmt von Artisten und Hochseilkünstlern, weshalb das Gesamtkunstwerk für uns nicht beurteilbar ist – doch zumindest die Musik ist Grund genug, maximal einmal hin zu gehen.

      Peter Green with Nigel Watson Splinter Group

      „Hot Foot Powder” (2000)

      Innovativ war Peter Green zuletzt … ja, wann eigentlich? 1983 mit „Kolors“? Oder doch eher bereits auf der elegischen „In the Skies“ von 1979? Heute jedenfalls spielt er den Blues so traditionell wie selbst einst mit Fleetwood Mac nicht. Schon die Auswahl der zahlreichen Robert-Johnson-Covers belegt das. Dabei entschwebten Peter Green einst die großartigsten Gitarrenmelodien, die der Rock je gesehen hatte; der soeben Grammy-geehrte Santana musste ihm schon genau auf die Finger schauen, um über die Nachahmung seinen eigenen Stil zu finden. Tragisch, dass diese Kreativität, dieser Genius im Verborgenen schlummern, verschleiert von einem Blick, der nur zurückschaut, der offenbar Angst hat vor dem, was drohen könnte, würde er wieder etwas wagen. Ein Album für Puristen. Nicht mehr.

      Peter Maffay

      „X” (2000)

      „Das nächste Stück ist etwas leiser, ich sag’ mal: zärtlicher“: Ansagen wie diese (beim Konzert im März in Hamburg) zeigen, wie tief Peter Maffay noch im Wertesystem der späten 70er gefangen ist, als Ledermänner wie er anfingen zu zeigen, dass in jedem guten Macho tief versteckt ein – ich sag’ mal – Sensibelchen hockt. Lederhose, Muskelshirt, pralle Bizeps: Maffay bleibt Maffay, da hilft auch kein Jahrtausendwechsel. Auf „X“ kehrt seine Musik vom Ethnopop der „Begegnungen“ (1999) zurück zum bewährten Alten, ist mal kraftvoll, mal „zärtlich“, immer politisch korrekt und manchmal – holla! – ein wenig rappig. Das Erstaunlichste: Viele Songs, auch das formidable „Rette mich“, ließ er sich von Roh-Sänger Lukas Hilbert schreiben – ein offenbar käuflicher Auftragsschreiber, der mit Roh gemeinhin eine eher zynische Haltung gegenüber schlagernahen Kollegen pflegt. Aber es gehört ja zum Wesen des Zynismus: ihn bedarfsweise auch mal sein zu lassen.

      Peter Schneider & The Stimulators

      „Secret Mission” (2000)

      Die Jahre als Begleiter von Willy Michl, Hans Söllner, Westernhagen und Wecker haben beim Gitarristen und Sänger Peter Schneider dazu geführt, dass er sich in manch dunklem Moment für eine deutsche Tom-Waits-Ausgabe hält, was ihn aber zu erschrecken scheint; gar zu rauhalsig will er nun doch nicht rüberkommen. Also lässt er seinen Kumpel Florian Sagner beruhigend klischeetriefende Softtrompetentöne blasen. Dabei – beim Klischeetriefen – wollen auch Bass, Drums und Congas nicht zurückstehen. Bei dieser Nachtmusik ist alles ein wenig zu perfekt und glatt und akademisch. Schneider und die Stimulators sollten alle mal die Instrumente tauschen; vielleicht hätte ihre Musik dann ein wenig mehr Herz.

      Peter Thomas, Martin Böttcher & Nora Orlandi

      „The Best of Edgar Wallace” (2000)

      Smarter Big-Band-Grusel, heimeliger Barjazzschrecken, eingebaute Opferschreie oder auch mal fernsehorchesterhaftes Latinflair: Die Soundtracks der Edgar-Wallace-Filme überzeugten mit einem Trashappeal, dem auch im düstersten Moment – wenn Kinski im Halbschatten schwer atmete – eine gewisse Verschmitztheit nicht abzusprechen war. Das gilt vor allem für die Wallace-Soundtracks von Peter Thomas, während es bei Martin Böttcher deutlich mehr funkt und die Big Band fast zur Fusioncombo wird. Die nicht ganz so üppig mit Nachruhm bedachte Nora Orlandi dagegen zählt mit ihren transparenten Texturen zweifelsohne zur Thomas-Schule, obgleich sie die Sache manchmal melodisch allzu leicht nimmt. Ein Sampler für jede Plattensammlung – und für DJs ein Steinbruch für Samples.

      Pink Floyd

      „Is there anybody out there?” (2000)

      Jetzt, 20 Jahre später, erscheint es fast wie ein Wunder, dass dieses Blähwerk nach dem reinigenden Tornado des Punk überhaupt jemand hören wollte. Doch das Album wurde zu einer Ikone, weil es, im Umfeld von Nato-Doppelbeschluss und sehr Kaltem Krieg, eine Stimmung von globaler Bedrohung und Isolation des Individuums verdichtete zu einer zweistündigen Opera furiosa. Es war das letzte Zucken eines Riesen. Die Band hatte Rockgeschichte geschrieben und setzte nun, schon in Agonie, einen riesigen Tupfer aufs monströse I ihrer Karriere. Vier mal spielte sie das Monument live; aus diesen Mitschnitten entstand dieses Doppelalbum – ohne Beteiligung des Autors Roger Waters, der vor zehn Jahren selbst „The Wall“ noch mal aufgeführt hatte und seither prozessiert mit den Kollegen. Gleichwohl ist die vorliegende CD die wirklich authentische. Eine sinnvolle, bisweilen sogar ins Swingen geratende Ergänzung zum Studioepos. Und wie es sich gehört für die bis ins Mark vom Bombast durchdrungenen Briten, mixten und modelten sie so lange am Sound herum, dass das Album beinah gar nicht mehr erschienen wäre. Der gewaltige Nachklang einer gewaltigen, aber schon lange verebbten Karriere.

      Pink Martini

      „Sympathique” (2000)

      Als hätten sich Vaya Con Dios eine kubanische Backingband zugelegt – so klingt das. Doch Pink Martini bestehen aus einem Haufen US-Amerikaner, die in Portland fleißig perkussionieren, Trompeten und Posaunen blasen und auch an Saiteninstrumenten nicht Mangel leiden. Heraus kommt ein transparenter Sound, der mal nach Buena Vista Social Club klingt, mal unversehens ins Swingen gerät – oder „Que sera sera“ derart in Schräglage kippt, dass man diesen totgespielten Song erstmals zu hören glaubt. Das Album ist großartiger Höhepunkt und zugleich (hoffentlich) Abschluss des Kubabooms. Jetzt lasst es gut sein, Señores.

      Pole

      „3” (2000)

      Stefan Betkes Musik duckt sich. Sie besteht aus lauter Lücken. Nein: Die Lücken sind nur größer als das Gewebe drumherum, und das Gewebe besteht aus Fehlern, aus den Beigeräuschen „richtiger“ Musik, nur dass diesmal, auf Teil drei der Serie, die Melodiepartikel noch seltener geworden sind. Betke recycelt Kollateralschäden, er verwertet vinylartiges Knistern und Knacken eines defekten Soundfilters, bis am Ende ein gespenstischer Dub dabei heraus kommt. Poles Zerrbild von Jamaika aber ist das einer Industrieruine, und zwischen den einzelnen Pfeilern dieses einstürzenden Altbaus ist der Raum weit und leer. Eine Musik, die gleichzeitig frösteln macht und wärmt. Dub aus dem


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