C'est la vie. Christina Geiselhart

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C'est la vie - Christina Geiselhart


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viel Freude, denn Ihre Tochter zeigte reges Interesse und hatte den Willen, täglich zwei Stunden zu üben, aber jetzt …«

      »Ich habe sie zur Rede gestellt und sie versicherte mir, dass sie täglich fast zwei Stunden übe!«

      »Das ist ausgeschlossen! Meiner Meinung nach übt sie so gut wie gar nicht!«

      »Ausgeschlossen!«, schrie nun Frau Groß.

      Das unglückliche Debakel endete mit der Kündigung des Lehrers und Hausarrest für Renate. Diese Maßnahme schwor in Renate furchterregenden Zorn gegen die Eltern herauf. Plötzlich waren sie engstirnig, kleinkariert, wollten Renate keine Freude gönnen, wollten ihr gar das Leben vermiesen, indem sie nur ans Arbeiten und Üben dachten. Dem Klavierspiel konnte sie immer weniger abgewinnen und je weniger sie übte, desto schlechter spielte sie, bis sie herausfand, dass sie überhaupt keine Begabung dafür besaß, sondern nur dem Wunschdenken der Eltern zum Opfer gefallen war. Ähnlich verhielt es sich mit den Schularbeiten. Je mehr die Eltern sie drängten, ihre Tests konzentriert und sorgfältig vorzubereiten, desto verhasster wurde ihr diese Tätigkeit. Als die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium anstand, wehrte sich Renate dagegen. Erika gehe auf die Realschule und das reiche vollkommen aus. Es gebe viel zu viele Abiturienten, hingegen suche man händeringend nach Arbeitskräften in Drogerien, Bäckereien und an Rezeptionen.

      Herrn und Frau Groß standen angesichts dieser Erklärungen die Haare zu Berge. Hilflos mussten sie zusehen, wie ihre Träume zum zweiten Mal zerrannen. Weder auf der Bühne noch im täglichen Leben würde Renate nun Karriere machen. Ohne Abitur kein Studium, ohne Studium keine Aussichten auf einen Titel oder hohe Verdienste.

      »Sie wird in einer Buchhandlung als Verkäuferin landen und das alles wegen dieser verdammten Erika!«, klagte Frau Groß mit weinerlicher Stimme.

      »Erika hat damit nichts zu tun. Das ist meine Entscheidung!«, verteidigte Renate ihre Freundin.

      Fortan wurde Erika das Haus und Renate der Umgang mit ihr verboten. Ihr Vater brachte sie morgens zur Schule – obwohl es nur die Realschule war - und holte sie bei Schulschluss ab. Erika gelang es dennoch immer wieder, Renate zu treffen, um mit ihr - nun da die beiden fast vierzehn waren – kleine Abenteuer zu unternehmen.

      Eines Tages ging Erika von der Schule ab, machte eine Drogistenlehre und heiratete mit sechzehn Jahren einen Klempner. Sie bekam zwei Kinder, zog in den Nachbarort und hatte keine Zeit mehr für Renate. Diese absolvierte unterdessen eine Buchhändlerlehre und ging zunächst ihren Eltern in der örtlichen Buchhandlung zur Hand.

      Einige Jahre später wurde Herr Groß von einem Herzinfarkt niedergestreckt, was Renate daran hinderte, das Angebot einer Buchhandlung in Stuttgart anzunehmen. Emilie Groß führte den frühen Tod ihres Gatten auf dessen Kummer zurück, seine Träume niemals verwirklicht zu haben und von der Tochter hintergangen worden zu sein.

      Über diesen doppelten Kummer alterte Frau Groß frühzeitig. Hatte sie mit fünfunddreißig Simone Veil ähnlich gesehen, so dachte man nun bei ihrem Anblick an Emma Morano. Täglich ließ sie die Tochter ihre Bitterkeit über verschüttete Träume und verfehltes Leben spüren. Gleichzeitig kränkelte sie, gab das Autofahren auf, delegierte die Einkäufe an ihre Tochter, haderte mit dem Leben, konsultierte häufig die Uhr, als wartete sie auf etwas.

      Allmählich spann sich um Renate ein Netz, aus dem sie nicht mehr entrinnen konnte und auch nicht mehr zu entrinnen wagte.

      Die Zeit verging träge. Immer häufiger stand Renate ohne Mutter im Laden und fürchtete zunehmend, die Regale würden über ihr einstürzen und sie ein für alle Mal begraben.

      Männerbekanntschaften gingen in die Brüche, Freundinnen sagten sich von ihr los, eine Fehlgeburt bestätigte sie in ihrem Glauben, als Pechvogel geboren zu sein. Hin und wieder setzte sie sich an den total verstimmten Steinway und spielte die alten Stücke. Allerdings wollten sie ihr nicht gelingen. Ihre Finger verkrampften sich, ihre Handgelenke wurden steif und so meinte sie, auch daran zu erkennen, wie talentlos sie sei.

      Weder zum Leben noch zum Spielen habe ich Talent, ich versage auf der ganzen Linie, sagte sie sich. Immer öfter zog sie sich nun mit einem Buch aus der Buchhandlung zurück, machte schon vor sechs Uhr abends den Laden dicht und verschwand in das Land der Träume.

      Zu allem Überfluss starb ganz plötzlich Frau Groß, was Renate so sehr erschütterte, dass sie in der Buchhandlung schließlich keinen Finger mehr rührte und diese für unbestimmte Zeit schloss.

      An einem dieser trostlosen Tage klingelte bei ihr ein älterer Herr. Er trug eine Hell’s Angels Lederjacke, Stiefel mit Nieten, das kümmerliche graue Haar zum Zopf gebunden und ein geöffnetes Hemd, das die grauen Brusthaare sehen ließ.

      Er sei Rentner und suche eine Nebenbeschäftigung. Vor zwei Wochen habe er die bescheidene Buchhandlung im Zentrum des Ortes entdeckt und überlegt, ob man daraus nicht eine Goldgrube machen könne. Einen zeitgemäßen Laden, in dem es vom Kinder- und Jugendbuch über die Zeitschrift bis hin zu Geschenkartikeln aus wiederverwertetem Material und Schulzubehör einfach alles gebe, was der moderne Mensch brauche und das Herz begehre, so etwas stelle er sich vor. Und als er hinter der Theke eine nette Dame gesehen habe, habe er seiner Idee unbedingt eine Chance geben wollen.

      Zu diesem Zeitpunkt war Renate noch nicht fünfzig.

      Im Grunde ist das doch nur Gefasel, dachte sie. Wer kauft in digitalen Zeiten in einem stupiden, altmodischen auf neu getrimmten Geschäft ein? Doch nach einem langen Blick in seine Augen dachte sie: Eigentlich ist es für Veränderungen nie zu spät.

      »Kommen Sie bitte in zwei Tagen wieder vorbei«, sagte sie laut. »Dann besprechen wir, wie wir vorgehen könnten.« Sie wollte die Tür schließen, doch der Herr stellte den Schuh dazwischen.

      »Entschuldigen Sie vielmals mein forsches Benehmen, Frau Groß, aber so ein Vorhaben duldet keinen Aufschub. Wir müssen sofort beginnen und der Laden muss schnellstens wieder geöffnet werden. Sonst laufen Ihnen die Kunden davon. Glauben Sie mir: Das geht heutzutage rasend schnell.«

      Das sah Renate ein und doch … Der Mann war ein Fremder. Durfte sie sich mit ihm einlassen? Nun, warum nicht? Vielleicht bietet sich die Chance für einen Neuanfang, dachte sie ermutigt.

      Sie ließ den Herrn, er hieß Kasimir Warmbold, eintreten und am selben Tag tüftelten die beiden einen Plan für das zukünftige Geschäft aus.

      Am nächsten Tag allerdings kam nach langer Zeit ganz überraschend Erika zu Besuch. Ihre Kinder waren erwachsen, ihr Mann dement und sie gelangweilt.

      Voller Freude über das Wiedersehen erzählte Renate mit leuchtenden Augen von ihrem neuen Plan.

      Erika hörte geduldig zu, blickte sie lange an und schöpfte schließlich Atem. »Mein Gott, Renate. Ich fasse es nicht. Was ist nur mit dir passiert? Einem Fremden und noch dazu dem ersten besten Fremden lieferst du dich aus. Was glaubst du, was dich erwartet? Eine Goldgrube? Sollte dieser Fremde sie mit dir gemeinsam buddeln, wird er am Ende alles für sich allein beanspruchen. Innerhalb kurzer Zeit hätte er dich soweit und er wäre der Ladenbesitzer und du nur eine alternde Verkäuferin.«

      Lange saß Renate in dieser Nacht in ihrem Bett und dachte über Erikas Worte nach. Am nächsten Tag öffnete sie Herrn Kasimir Warmbold nicht wie verabredet die Tür. Auch ihr Laden blieb vorerst geschlossen. Das war er auch eine Woche später und die Woche darauf.

      Gegen Mitte des Jahres 2017 wurde die Buchhandlung in ein Friseurgeschäft mit integriertem Kosmetikinstitut umgebaut. Auf Anraten und mit Erikas Hilfe hatte Renate das Gebäude zu einem guten Preis verkaufen können. Vom Erlös bekam Erika wie verabredet 10 Prozent (ein Makler würde das doppelte verlangen, sagte Erika).

      Die angelegte Summe brachte kaum Zinsen, doch Renate würde davon zehn Jahre leben können, wenn sie bescheiden blieb. Fünf Jahre, wenn sie nicht bescheiden blieb.

      »In jedem Fall bekommst du dann deine Rente und hast noch dieses Haus. Das ist besser, als noch jahrelang hinter der Theke zu stehen oder sich von einem Fremden ausbeuten zu lassen.«

      Von nun an saß Renate allein in dem alten Haus am Ende des Ortes und schaute auf die Uhr. Ganz


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