Magellan. Stefan Zweig

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Magellan - Stefan Zweig


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der Lebensgedanke eines portugiesischen Fürstensohns sein, dies angeblich Unmögliche möglich zu machen und den Versuch zu wagen, ob nicht doch gemäß dem Bibelwort die letzten die ersten werden könnten. Wie, wenn Ptolemäus, dieser geographus maximus, dieser Papst der Erdkunde, sich geirrt hätte? Wie, wenn dieser Ozean, der mit seinen gewaltigen Wellen von Westen her manchmal merkwürdige fremde Hölzer (die doch irgendwo gewachsen sein müssen) an Portugals Küsten wirft, gar nicht endlos wäre, sondern zu neuen und unbekannten Ländern führte? Wie, wenn Afrika bewohnbar wäre jenseits des Wendekreises, wie, wenn der allweise Grieche grob geflunkert hätte mit seiner Behauptung, dieser unerforschte Kontinent sei zu Meer nicht zu umfahren und kein Weg führe hinüber in die indische See? Dann wäre Portugal, gerade weil am weitesten gegen Westen gelegen, das wahre Sprungbrett aller Entdeckungen, es hätte den nächsten Weg von allen nach Indien. Nicht verstoßen wäre es vom Ozean, sondern wie kein anderes Land Europas zur Seefahrt berufen. Dieser Wunschtraum, das kleine machtlose Portugal zur nautischen Vormacht zu erheben und den bisher nur als Sperre betrachteten Atlantischen Ozean in eine Straße zu verwandeln, ist in nuce der Lebensgedanke des »Iffante« Enrique gewesen, den die Geschichte zu Recht und zu Unrecht Heinrich den Seefahrer nennt. Zu Unrecht: denn abgesehen von einer kurzen Kriegsfahrt nach Ceuta hat Enrique niemals ein Schiff bestiegen, es gibt kein Buch, keinen nautischen Traktat, keine Karte von seiner Hand. Aber doch darf die Geschichte ihm diesen Namen Rechtens zuerkennen, denn Seefahrt und Seefahrern allein hat dieser Fürstensohn sein Leben und sein Vermögen gewidmet. Früh im maurischen Kriege bewährt bei der Belagerung von Ceuta (1412), zugleich einer der reichsten Männer des Landes, könnte dieser Sohn eines portugiesischen und Neffe eines englischen Königs seinen Ehrgeiz in den blendendsten Stellungen auswirken; alle Höfe laden ihn zu sich, England bietet ihm ein Oberkommando. Aber dieser sonderbare Schwärmer erwählt als Form seines Lebens die schöpferische Einsamkeit. Er zieht sich zurück nach Kap Sagres, das einstmals heilige (sacrum) Vorgebirge der Alten. Von dort bereitet er in beinahe fünfzig Jahren die Seefahrt nach Indien und damit die große Offensive gegen das »mare incognitum« vor.

      Was diesem einsam-verwegenen Träumer den Mut gegeben hat, gegen die höchsten kosmographischen Autoritäten seiner Zeit, gegen Ptolemäus und seine Nachsprecher und Nachzeichner, die Überzeugung zu verfechten, Afrika sei kein dem Pol angefrorener Kontinent, sondern umschiffbar und der wahre Seeweg nach Indien – dieses letzte Geheimnis wird kaum mehr zu ergründen sein. Aber niemals war das (auch von Herodot und Strabo verzeichnete) Gerücht völlig verstummt, daß in den dunklen Tagen der Pharaonen einmal eine phönikische Flotte das Rote Meer hinabgefahren sei und nach zwei Jahren unvermuteterweise durch die Säulen des Herkules (die Enge von Gibraltar) heimgekehrt. Vielleicht hatte der Iffante auch durch maurische Sklavenhändler Kunde gehabt, daß jenseits der Libya deserta, der sandigen Sahara, ein »Land des Reichtums«, »bilat ghana«, liege, und tatsächlich findet sich schon auf einer Karte, die 1150 ein arabischer Kosmograph für den Normannenkönig Roger II. angefertigt, das heutige Guinea unter diesem Namen »bilat ghana« völlig richtig eingezeichnet. Es mag also sein, daß Enrique durch guten Kundschafterdienst besser über die wirkliche Form Afrikas unterrichtet war als die Schulgeographen, die einzig auf die Codices des Ptolemäus ihre Hand zum Eidschwur legten und zunächst auch die Berichte des Marco Polo und Ibn Battuta als falsches Geflunker ablehnten. Die eigentliche moralische Bedeutung Enriques aber liegt darin, daß er zugleich mit der Größe des Ziels auch die Größe der Schwierigkeit erkannte, daß er in edler Resignation begriff, er selbst werde seinen Traum niemals erfüllt sehen, weil eben mehr als ein einziges Menschenalter zur Vorbereitung eines so ungeheuren Unterfangens notwendig sei. Denn wie damals Seefahrt von Portugal nach Indien wagen ohne Kenntnis der See und ohne Schiffe zur Fahrt? Unvorstellbar primitiv sind zur Zeit, da Enrique an sein Werk geht, die geographischen, die nautischen Kenntnisse Europas. In den grauenhaften Jahrhunderten der Verdüsterung, die dem Einsturz des Römischen Reichs folgten, hatte das Mittelalter beinahe alles vergessen, was die Griechen, die Phönizier, die Römer auf ihren kühnen Fahrten erkundet. Unglaubhaft wie ein Märchen war es für jene Jahrhunderte der räumlichen Selbstbeschränkung geworden, daß ein Alexander längst bis an die Grenzen Afghanistans und tief hinab bis nach Indien vorgedrungen war, verloren sind die trefflichen Karten, die Weltbilder der Römer, verfallen ihre Heerstraßen, ihre Meilensteine, die bis tief nach Britannien und Bithynien reichten, vernichtet ihr vorbildlicher politischer und geographischer Nachrichtendienst; verlernt ist die Fähigkeit des Reisens, erstorben die Lust des Entdeckens, armselig geworden die Kunst der Schiffahrt; ohne jedes weite, jedes kühne Ziel, ohne richtigen Kompaß und klare Karten schleichen in ängstlicher Küstenfahrt kleine Fahrzeuge von Hafen zu Hafen, immer in Sorgnis vor Stürmen oder den ebenso gefährlichen Piraten. Bei einem solchen Tiefstand der Kosmographie und mit solch kläglichen Schiffen war es noch zu früh, die Ozeane der Erde zu bezwingen und überseeische Reiche zu erobern. Ein Menschenalter der Aufopferung mußte erst nachholen, was Jahrhunderte der Gleichgültigkeit versäumt hatten. Und Enrique – dies seine Größe – war entschlossen, sein Leben zu opfern für die zukünftige Tat.

      Nur ein paar verfallene Mauern stehen noch von dem einstigen Schlosse von Kap Sagres, das Prinz Enrique erbaut und das ein höchst undankbarer Erbe seiner Wissenschaft, Francis Drake, geplündert und zerstört hat. Durch die Schatten und Schleier der Legende ist es heute kaum mehr möglich, in den Einzelheiten zu erkennen, in welcher Weise Prinz Heinrich den Welteroberungsplänen Portugals vorgearbeitet hat. Nach den (vielleicht romantischen ) Berichten seiner heimischen Chronisten ließ er sich sämtliche Bücher und Mappen aus allen Weltteilen kommen, berief arabische und jüdische Gelehrte und befahl ihnen, bessere Instrumente und Tabulaturen anzufertigen. Jeder Schiffer, jeder Kapitän, der von einer Reise kam, wurde ausgefragt, alle diese Mitteilungen und Kenntnisse wurden sorgsam in einem Geheimarchiv gesammelt und gleichzeitig eine Reihe von Expeditionen ausgerüstet. Unermüdlich wird die Kunst des Schiffbaus gefördert; in wenigen Jahren erwachsen aus den ursprünglichen »barcas«, diesen kleinen offenen Fischerbooten mit achtzehn Mann Besatzung, wirkliche »naos«, breite Kutter von achtzig und hundert Tonnen, die auch bei schwierigem Wetter im offenen Meere fahren können. Dieser neue, seetüchtige Typus des Schiffs bedingte wiederum einen neuen Typus des Seefahrers. Dem Steuermann gesellt sich ein »Meister der Astrologie« bei, der nautische Fachmann, der Portolane zu lesen, die Deklination zu bestimmen und die Meridiane einzuzeichnen weiß; Theoretik und Praktik greifen schöpferisch ineinander, und allmählich wird auf diesen Expeditionen aus bloßen Fischern und Schiffern ein Geschlecht von Seefahrern und Entdeckern systematisch herangebildet, dessen Taten der Zukunft vorbehalten sind. Wie Philipp von Mazedonien seinem Sohn Alexander die unwiderstehliche Phalanx zur Eroberung der Welt, so hinterläßt Enrique seinem Portugal die besten, die modernsten Schiffe seiner Zeit und die trefflichsten Seeleute zur Eroberung des Ozeans.

      Aber es gehört zum tragischen Schicksal der Vorläufer, daß sie an der Schwelle sterben, ohne selbst das gelobte Land zu schauen. Enrique hat keine einzige der großen Entdeckungen erlebt, die sein Vaterland in der Geschichte der Weltentdeckung unsterblich machten; in seinem Todesjahr (1460) ist im äußern, im geographischen Raum kaum etwas Wahrnehmbares erreicht. Die vielgerühmte Entdeckung der Azoren und Madeiras war in Wirklichkeit nur eine Wiederentdeckung (schon 1351 verzeichnet sie der Portolano Laurentino). An der Westküste sind seine Schiffe nicht einmal bis zum Äquator hinabgelangt, ein kleiner, nicht sehr ruhmreicher Handel hat begonnen mit weißem und hauptsächlich mit »schwarzem Elfenbein«: das heißt, man raubt an der Senegalküste massenhaft Neger, um sie auf dem Sklavenmarkt in Lissabon zu verkaufen, und findet etwas Goldstaub – dieser kleine unzulängliche Anfang ist alles, was Enrique von seinem geträumten Werke gesehen. In Wahrheit ist der entscheidende Erfolg aber schon errungen. Denn nicht in der erreichten Distanz liegt damals der erste Triumph der portugiesischen Seefahrt, sondern in der moralischen Sphäre: in der Steigerung der Unternehmungslust und in der Vernichtung einer gefährlichen Legende. Jahrhunderte – und jahrhundertelang hatten die Seeleute gemunkelt, hinter dem Kap Non – zu deutsch: dem Kap Nichtweiter – sei Seefahrt unmöglich. Dahinter beginne sogleich »die grüne See der Dunkelheit«, und wehe dem Schiff, das sich in diese tödlichen Zonen wage. Von der Glut der Sonne siede und koche in jenen Wendekreisen das Meer. Sofort gerieten die Planken und Segel in Brand, jeder Christenmensch, der versuche, das »Land Satans« zu betreten, das wüst sei wie eine Kraterlandschaft, würde sofort zum Neger. So unüberwindlich war durch solche Fabeln diese Angst vor einer Südfahrt geworden, daß der Papst, um Enrique nur überhaupt Seeleute


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