Drei Dichter ihres Lebens. Stefan Zweig

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Drei Dichter ihres Lebens - Stefan Zweig


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Jeder Kuppler, jeder Zuhälter kann den weltberühmten Verführer auf das bequemste ausrauben, jeder zugängliche Gatte oder gefällige Bruder ihn in die schmutzigsten Geschäfte reiten, sofern nur seine Sinne gereizt sind – aber wann wären sie es nicht, wann Casanovas erotischer Durst jemals vollkommen gestillt? Semper novarum rerum cupidus, allzeit neuer Beute gierig, vibrieren seine Lüste unablässig einem Unbekannten entgegen. Wie Sauerstoff, Schlaf und Bewegung braucht dieser männische Leib unablässig sein weich wollüstiges Bettfutter und der unstete Sinn die flirrende Spannung des Abenteuers. Keinen Monat, keine Woche, kaum einen Tag, nirgends und niemals kann er sich wohl fühlen ohne Frauen. Enthaltsamkeit heißt, aus Casanovas Vokabular übersetzt, ganz einfach: Stumpfsinn und Langeweile.

      Kein Wunder, daß bei so robustem Appetit und beharrlichem Konsum die Qualität seiner Weiblichkeit nicht durchgängig vollwertig bleibt. Mit solch einem Kamelmagen der Sinnlichkeit wird man nicht Feinschmecker, kein Gourmet, sondern simpler Vielfraß, bloßer Gourmand. Darum bedeutet, Casanovas Geliebte gewesen zu sein, an sich durchaus noch keine besondere Empfehlung, denn man muß weder Helena noch Jungfrau und keusch, noch sonderlich geistvoll, wohlerzogen und verlockend sein, damit der hohe Herr sich herablasse; dem Leichtverführbaren genügt meist die bloße Tatsache, daß sie Frau ist, Weib, Vagina, polares Geschlechtswesen, von der Natur geformt, ihm seine Sinnlichkeit abzufüllen. Deshalb beliebe man gründlich abzuräumen mit etwa vorhandenen romantischen oder ästhetischen Vorstellungen dieses weitläufigen Hirschparks; wie immer bei dem professionellen, also wahllosen Erotiker erweist sich die Kollektion Casanovas als durchaus ungleichwertig und, weiß Gott, nicht durchweg als eine Schönheitsgalerie. Einige Gestalten zwar, zarte, süße, halbwüchsige Mädchengesichter, möchte man gezeichnet wissen von seinen malerischen Landsleuten Guido Reni und Raffael, einige auch von Rubens gemalt oder von Boucher mit zartem Rötel auf seidene Fächer hingedeutet, aber daneben, welche Gestalten auch, englische Gassenhuren, deren freche Fratze nur der grimmige Stift Hogarths wiedergeben könnte, zerluderte alte Hexen, die Goyas Grimm herausgefordert hätten, verseuchte Dirnengesichter im Stil des Toulouse-Lautrec, Bauernmenscher und Dienstboten, ein tolles Kunterbunt von Schönheit und Schmutz, Geist und Gemeinheit. Denn dieser Panerotiker hat in der Wollust rüde Geschmacksnerven, und der Radius seiner Begierde dehnt sich bedenklich weit ins Absonderliche und Abwegige. Casanovas Abenteuer beginnen bei Altersklassen, die in unseren reglementierten Zeiten ihn schonungslos mit dem Staatsanwalt in Konflikt brächten, und reichen hinauf bis zum grausen Gerippe, bis zu jener siebzigjährigen Ruine, der Herzogin von Urfé – die schauerlichste Schäferstunde, die wohl jemals ein Mann im geschriebenen Wort der Nachwelt schamlos anvertraute. Durch alle Länder, durch alle Klassen wirbelt diese keineswegs klassische Walpurgisnacht; zarteste, reinste Gestalten, erglühend im Schauer erster Scham, vornehme Frauen, spitzenübersät und im Glanz ihrer Edelsteine, reichen dem Abhub der Bordelle, den Scheusalen der Matrosenschenken hastig die Hand zum Reigen, die zynische Bucklige, die perfide Hinkende, lasterhafte Kinder, brünstige Greisinnen, all das tritt sich die Füße im Hexentanz. Die Tante räumt der Nichte das noch warme Bett, die Mutter der Tochter, Kuppler schieben ihre Kinder, gefällige Ehemänner dem immer Begehrlichen die eigenen Frauen ins Haus, Soldatendirnen tauschen mit Edeldamen das gleiche geschwinde Vergnügen derselben Nacht – nein, man gewöhne sich's endlich ab, die Liebestaten Casanovas unbewußt in der Art der galanten Kupferstiche des Dix-huitième und mit anmutigen, amourösen Appetitlichkeiten zu illustrieren nein, und siebenmal nein, man habe doch endlich den Mut, hier einmal die wahllose Erotik als Pandämonium der männlichen Sinnlichkeit zu sehen. Eine so unerschöpflich wahllose Libido wie die Casanovas geht über Stock und Stein und vor allem an nichts vorbei; ihn lockt das Abstruse nicht minder als das Alltägliche, es gibt keine Anomalie, die ihn nicht hitzte, keine Absurdität, die ihn ernüchterte. Verlauste Betten, verschmutzte Wäsche, zweifelhafte Gerüche, Kameradschaft mit Zutreibern, die Gegenwart heimlicher oder bestellter Zuschauer, gemeine Ausbeutungen und die üblichen Krankheiten, all das sind unfühlsame Kleinigkeiten für diesen göttlichen Stier, der, ein anderer Jupiter, Europa umarmen will, die ganze Weibwelt in jeder Form und Entformung, in jeder Gestalt und in jedem Gerippe – maßlos neugierig ebenso auf das Phantastische wie auf das Natürliche in seiner panischen und fast schon manischen Lust. Aber typisch für das Männliche dieser Erotik: so ständig und stürmisch ihre Blutwelle strömt, niemals überflutet sie dabei das natürliche Bett. Brüsk hält Casanovas Instinkt an der Geschlechtsgrenze inne. Ekel schüttelt ihn bei der Berührung eines Kastraten, mit dem Stock prügelt er Lustknaben weg; alle seine Umwegigkeiten und Perversionen gelten in merkwürdiger Treue nur immer der Weibwelt als seiner vollkommenen und eingeborenen Sphäre. Hier aber freilich kennt sein Furor keine Grenze, keine Hemmung und keinen Halt, wahllos, zahllos und ohne Unterlaß strahlt diese Begierde jeder entgegen mit der ewig trunkenen, von jeder neuen Frau neu berauschten Lustkraft eines griechischen Waldgottes.

      Gerade aber dieses Panische, dieses Rauschhafte und Naturhafte seines Begehrens gibt Casanova unerhörte Macht über die Frauen, eine Beinahe-Unwiderstehlichkeit. Mit jähem Instinkt vom Blute her spüren sie in ihm das Manntier, den brennenden, lodernden, ganz ihnen entgegengeschnellten Menschen, und sie lassen sich besitzen von ihm, weil er von ihnen vollkommen besessen ist, sie fallen ihm zu, weil er ihnen verfallen ist, und zwar nicht ihr, der einzelnen, sondern der Pluralität, der Frau in ihnen, dem Gegensatz, dem andern Pol. Hier ist endlich einer, so fühlen sie aus Intuition des Geschlechts, dem nichts wichtiger ist als wir, der nicht wie die andern, müde von Geschäften und Pflichten, verdrossen und ehemännisch, nur so zwischendurch und nebensächlich uns umwirbt, sondern einer, der uns entgegenstürzt mit der vollen, wildbachhaften Wucht seines Wesens, einer der nicht spart, sondern verschwendet, der nicht zögen und wählt. Und wirklich, restlos weiß er sich hinzugeben: den letzten Tropfen Lust aus seinem Leibe, den letzten Dukaten aus der Tasche, alles wird er immer bereit sein, für eine jede, nur weil sie Frau ist und in diesem Augenblick seinen Weibsdurst stillt, unbedenklich hinzuopfern. Denn Frauen glücklich zu sehen, selig überrascht, entzückt, lachend und hingerissen, ist für Casanova Endgenuß alles Genießens. Er überhäuft, solange er noch Geld hat, eine jede mit zärtlich gewählten Geschenken, schmeichelt mit Luxus und Leichtsinn ihren Eitelkeiten, er liebt, sie üppig zu kleiden, in Spitzen zu hüllen, ehe er sie nackt enthüllt, sie zu überraschen mit nie gesehenen Kostbarkeiten, sie zu überraschen mit Sturzwellen der Verschwendung und Flammenspiel der Leidenschaft – wirklich ein Gott, ein schenkender Jupiter, der zugleich mit der Glut seiner Adern auch mit goldenem Regen die Geliebte überströmt. Und daß er, auch hierin Jupiter gleich, dann bald wieder in Wolken entschwindet – »ich habe die Frauen rasend geliebt, aber ich habe ihnen stets die Freiheit vorgezogen« –, das mindert nicht, nein, erhöht nur seinen Nimbus, denn gerade durch das Gewitterhafte seines Einbruchs und Entschwindens bleibt ihnen Erinnerung an diesen Einen und Außergewöhnlichen, das unwiederholbare herrliche Abenteuer, und ernüchtert sich nicht wie bei andern zu Gewohnheit und banaler Beischläferei. Jede dieser Frauen fühlt instinktiv einen Mann wie diesen unmöglich als Gatten: nur als an den Liebhaber, den Gott einer Nacht, wird sie sich seiner im Blute erinnern. Obwohl er jede verläßt, wird keine ihn doch anders wollen, als er gewesen: darum braucht Casanova nur genau so zu sein, wie er ist, also ehrlich in seiner ungetreuen Leidenschaft, und er wird jede gewinnen.

      Ich sagte eben: ehrlich, ein bei Casanova erstaunliches Wort. Aber es hilft nichts: gerade im Liebesspiel muß man diesem abgestraften Falschspieler und gerissenen Gauner eine Art Redlichkeit zuerkennen. Casanovas Beziehung zu den Frauen ist wirklich ehrlich, weil bloß bluthaft, bloß sinnlich. Beschämend, dies zu vermerken, aber immer beginnt ja die Unwahrhaftigkeit in der Liebe erst mit der Einmengung höherer Gefühle. Der dumpfe brave Bursche Körper selbst lügt nicht, er übertreibt niemals seine Überspannungen und Begehrlichkeiten über das naturgemäß Erreichbare hinaus. Erst wenn der Geist und das Gefühl sich einmengen, sie, die ihrem beflügelten Wesen gemäß ins Grenzenlose führen, wird alle Leidenschaft übertreiblich und phantasiert Ewigkeiten in unsere irdischen Beziehungen hinein. Casanova, der nie über den Rand des Körperlichen hinaus schwelgt, hat es darum leicht, zu halten, was er verspricht, er gibt aus dem prachtvollen Magazin seiner Sinnlichkeit Lust gegen Lust, Leib gegen Leib, und gerät niemals in Seelenschuld. Darum fühlen sich auch seine Frauen post festum nicht in platonischen Erwartungen betrogen, denn gerade weil dieser scheinbar Frivole keine anderen Entzückungen als die Spasmen des Geschlechts von ihnen fordert, weil er sie nicht in Unendlichkeiten des Gefühls hinaufredet, wird er ihnen immer Ernüchterung ersparen.


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