Damals im Café Heider. Martin Ahrends

Читать онлайн книгу.

Damals im Café Heider - Martin Ahrends


Скачать книгу
Heider war eine wilde Mischung aus fast allem: Intellektuelle, Aussteiger, Randgruppen, Touristen. Mitten in Potsdam, im alten, heruntergekommenen Zentrum, wo die wohnten, die nicht in den Neubauten der Peripherie wohnen wollten oder an keine Neubauwohnung rankamen. Das Altstadt-Zentrum wartete mehr oder weniger auf seinen Abriß. Und diese Atmosphäre mit ihren destruktiven und konstruktiven Tendenzen versammelte sich im Heider. Es gab so eine gemeinsame kulturelle Basis: den Osten, das hat diese Atmosphäre geprägt. B. und ich haben einen Tisch mit Wermut-Schoppen voll gestellt und eben aufeinander zu gesoffen, bis keiner mehr was gemerkt hat. Die Meute hat gejohlt und geklatscht, bis ich in eines der leeren Gläser gepisst und es dem B. dazwischenstellte, weil die Farbe passte, ich war zu faul, inzwischen aufs Klo zu gehen, und B. soff das kaltlächelnd aus, obwohl er sofort mitgekriegt hat, dass das kein Wermut war. Mit großer Geste, ohne mit der Wimper zu zucken. Da waren wir schon jenseits der Zurechnungsfähigkeit. Na gut, Pisse ist keimfrei, aber eben eklig. - Hinten wurde gelegentlich gepokert um kleinere Beträge.

      Es gab ein Haufen Leute im Osten, die lebten intelligent von den (klaffenden) Marktlücken. Einer hat Alf-T-Shirts gedruckt, hat diese weißen Lappen mit 300% Gewinn auf dem Broadway verscheuert. Ist fast Millionär geworden. Andere machten Schmuck. Ich handelte mit alten Möbeln. Wir sind über die Dachböden der Abrisshäuser, nahmen alles mit, und wenn es die Messingbeschläge waren. Wir sind ins Rote Luch gefahren, auf eine alte Deponie, die 1909 geschlossen worden ist. Da machte man einen Stichgraben, einen Meter tief, und es kam der Müll von 1909 hoch. Weinflaschen, Nippes, eine komplette Porzellan-Kuh, mit Schwanz, die ging für glatte tausend Mark über den Flohmarkttisch. Meine damalige Ehefrau hat Batik-Kleider genäht, das waren Laken mit einem Gummi in der Mitte und zwei Löchern für die Ärmel, das ganze batik-gefärbt. So etwas kostete 125 Mark. Wir machten Dias von Potsdam, an die Wand geworfen, mit Zeichenfeder nachgemalt, koloriert, Passepartout, Seriennummer, und damit die Touristen beschissen: hundert Mark. Das zogen wir im Park Sanssouci ab. Wir lebten goldig, hatten Geld ohne Ende. Und wir hatten Spaß dabei. Wenn der Flohmarkt um zehn losging, waren um zwölf die ersten tausend Mark drin. Viele Heider-Leute machten so was, die wenigsten wollten an der Stanze arbeiten.

      Mit Roger hatte ich gewettet, dass ich von der Mokkastube bis zum Tresen und zurück laufe mit einer weißen Pappe in Höhe des Hosenstalls, darauf Senf, eine Scheibe Weißbrot und eine Bockwurst. Bloß, dass die Bockwurst keine Bockwurst war, sondern mein Schwanz. Vom hintersten Platz zum Tresen und zurück, ohne, dass es jemand merkt. Hat funktioniert in diesem Tohuwabohu. Zu vorgerückter Stunde.

      Ein Kreis von 150 bis 200 Leuten gehörte einfach zur Heiderbelegschaft. Und die sahen sich da jeden Tag. Es versprach immer, interessant zu sein, es gab wenig Chancen, enttäuscht zu werden, bei so einer Dichte von Leuten ist immer jemand dabei, den man gern sieht. Man konnte zu jeder Tageszeit einmarschieren. Außerdem waren da: Frauen. Eine Endlosgeschichte, stets war irgendwas am Köcheln. Das hatte nie so eine übergroße Schwere. Nicht, dass das nun ein großer Puff gewesen wäre, aber diese Möglichkeit gehörte zur Heider-Atmosphäre dazu. Klar gab es herzzerreißende Beziehungsdramen. Aber das war nicht der Grundton. Der Grundton war: Mal gucken. Wir waren im passenden Alter. Zwischen zwanzig und dreißig. War eine schöne Zeit.chapter3Image2.jpeg

      Wir waren vollkommen harmlos

      Renate Wullstein

      Ich bin in Potsdam aufgewachsen, weil mein Vater hier als Diplomat ausgebildet wurde in Babelsberg, Akademie für Staat und Recht. Ich wurde in ein Wochenheim gesteckt, wie die meisten Diplomatenkinder. Später wohnten wir in Berlin. Anfang der Achtziger kaufte ich mir in Paretz einen Bauernhof, und als wir den wieder verkauft haben, 1986, überlegte ich mir: gehe ich nach Berlin oder nach Potsdam? Da fiel mir ein, dass ich in Potsdam aufgewachsen bin, hatte ich völlig vergessen wegen der vielen Umzüge in meinem Leben. Bin ich also nach Potsdam.

      chapter4Image1.jpegIch durfte nicht mehr veröffentlichen, seit ich einen Ausreiseantrag zu laufen hatte, mein Mann und ich, wir haben aus der Not eine Tugend gemacht: Keramik hergestellt und verkauft. Und wir sind damit reich geworden... Hier in Potsdam hab ich die Miniaturfiguren auf der Straße verkauft. Eine Stunde verkauft, tausend Mark in der Tasche, die Leute rissen einem das aus den Händen. Und ins Café Heider und Leute eingeladen, ich wußte nicht, was ich mit dem Geld sonst machen sollte. Ich war jeden Tag im Heider. Eigentlich den ganzen Tag. Aber ich sehne mich nicht zurück. Manchmal wünscht man sich, soviel Zeit zu haben für den Austausch mit anderen Leuten, aber es war zugleich entsetzlich, weil wir viel planten und nichts umsetzen konnten. Wir wollten immer schon all das machen, was wir jetzt machen: Galerie, Café, Verlag. Wir wollten eine eigene Infrastruktur aufbauen, wir hatten alles, vom Bäcker über den Anwalt, Schornsteinfeger, Klempner, Künstler sowieso – die traf man im Heider. Wir hätten eine eigene kleine Stadt aufmachen können. Und die haben wir jetzt. All die Leute, die damals planten, haben jetzt diese Geschäfte, erst mal jeder für sich, weil die Existenzsicherung schwierig war nach der Wende, aber wir kommen allmählich wieder zusammen und kooperieren irgendwie. Der Bäcker Isenmann, der eine Zeit in Chile war, jetzt ein Bistro hat, die Malerin Olga Maslo, mit ihr habe ich gleich nach der Wende einen Laden aufgemacht, die Glasgestalterin Astrid Germo, die uns den Laden vermietete. Sie hatte schon zu DDR-Zeiten einmal in der Woche Atelierverkauf; und ich sagte zu ihr: Jetzt ist Kapitalismus, da können wir jeden Tag aufmachen. Also hatte ich mit Olga so eine Art Galerie-Laden. Ihre Bilder haben wir so was von rasend verkloppt, viel zu billig.

      Einige sind tot. Jens Bitter, ein Heider-Stammgast, der mir später den Bauernhof abkaufte, kam in Latzhosen, stellte sich vor mir auf und sagte: Willst du mal mein Ding sehen? Vor versammelter Mannschaft. Du Angeber, denke ich und sage: Zeig mal. Fängt der an, die Hose aufzuknöpfen und mir wurde klar, er wird es mir zeigen. Da kriegte ich Panik und hatte Mühe, ihn abzuhalten.

      Die Stasi-Geschichte... Alle sahen in ihre Akten: Wer war es? Da gab es wieder ein Auseinanderrücken. Einige sind noch nicht enttarnt, von denen heißt es jetzt: sag keine Namen, nachher stimmt es nicht. Meine Potsdam-Akte habe ich nicht bekommen.

      chapter4Image2.jpegMein Ex-Mann gehört zum Heiderklüngel, einer der wenigen, die nicht mehr in Potsdam sind. Er restauriert alte Sachen in einem Dorf bei Rathenow. Der hatte das beliebteste Café nach der Wende, das Café Schwarz. Kamin, Gewölbe, Springbrunnen, Terrasse, üppig ausgestattet die Räume, da feierten wir viele Feste, es war immer bis auf den letzten Platz besetzt. Eine Mischung wie im Heider, Künstler, Handwerker, Beamte. Allerdings war das illegal, irgendwann zeigte der Nachbar ihn an, und die Gewoba hat dafür gesorgt, dass er zumacht. Seine Investitionen hat er nicht reingekriegt in der kurzen Zeit, er ist da hoch verschuldet rausgegangen.

      Am 7. Oktober 89 war ich dabei, nicht drin, aber ich habs von draußen beobachtet, weil es schon Gerüchte gab, sie wollen das Heider räumen. Ich wollte mit Astrid in die Pilze, sie sagte: Da ist eine Gegendemo geplant, da müssen wir hin. Wir sind also in die Brandenburger – damals Klement-Gottwald oder einfach Broadway, da war schon Polizei und eine Masse Leute, die vom Luisenplatz in Richtung Kirche spazierten. Mein Sohn war sieben, den hatte ich auf den Schultern, sie hatte ihre Tochter auf den Schultern, und wir sind direkt an die Polizeikette ran, die Polizisten sahen zwar ziemlich verunsichert aus, aber mir schlackerten die Knie. So was hatte ich noch nie erlebt. Diese Schieber, Polizeiautos mit Schiebern vorn dran, was heute normaler Alltag ist. – Jedenfalls zitterte ich, und Astrid sagte: Laß uns abhauen, ich hab keine Lust auf Knast. Wir sind also in den Wald, fanden aber keine Pilze, sondern statt dessen Eicheln gesammelt für die Kinder, die in der Schule Eicheln abgeben sollten für die Tiere im Winter. Ich brachte meinen Sohn nach Hause, zu einer Bekannten, und bin noch mal los, zum Heider. Und da war es schon soweit. Ich stellte mich in einen Hauseingang, sah, wie die da runtergesprungen sind von den Autos und das Heider räumten. Zuerst die Bunten, also Punks, Hausbesetzer, die mit den grellbunten Haaren. Ich registrierte, wer drin bleibt. Aber sie nahmen fast alle mit. Die Polizei kam zu uns und wollte uns mitnehmen, ich sagte: Ich komm nicht mit, hab ein Kind zuhause. Die ließen mich in Ruhe, nahmen die beiden


Скачать книгу