Die zweite Frau. Eugenie Marlitt
Читать онлайн книгу.diese Fahne« – sie deutete auf ihr schwarzseidenes Kleid – »die ihr die Gnade hattet, mir zu Weihnachten zu schenken, Tag für Tag. Alles, was mein todeseinsames Leben einigermaßen erträglich machen könnte – neue französische Lektüre, Konfitüren, Parfüms – ist für mich ein längst überwundener Standpunkt ... ich schließe also mit Recht: Du mußt mehr Gelder zur Verfügung haben, als du mir weismachen willst.«
»Ulrike lügt niemals, Mama!« rief Liane empört.
»Ich kann die Anweisung unmöglich an die Post zurückschicken« – fuhr die Gräfin unbeirrt fort – »du wirst der Komödie sofort ein Ende machen und den Betrag herausgeben!«
»Soll ich Geld aus der Erde stampfen? ... Der Wein muß zurückgehen!« versetzte Ulrike gelassen.
Ihre Mutter stieß einen gellenden Laut aus, dann warf sie sich rücklings auf ein Sofa und verfiel in Lachkrämpfe.
Ruhig, mit untergeschlagenen Armen, stand Ulrike zu Häupten der wie toll um sich schlagenden Frau und sah mit einem bitter-ironischen Lächeln auf die nieder.
»Der arme Magnus!« flüsterte Liane, nach der Thür des Nebenzimmers deutend. »Er ist drüben – wie wird er erschrecken über diesen Lärm! ... Bitte, Mama, fasse dich! Magnus darf dich nicht so sehen – was soll er denken?« wandte sie sich halb bittend, halb mit ernstem Nachdruck an ihre Mutter.
Die widerwärtige Szene, welcher die Töchter stets durch Nachgiebigkeit und möglichsten Gehorsam vorzubeugen suchten, spielte sich ja nun doch ab; nun machte sich der tiefe, gerechte Unwille geltend, den das charaktervolle Weib gegenüber den Ausschreitungen einer entarteten Frauennatur empfindet. Die junge Mädchengestalt zitterte nicht mehr vor Furcht – es sprach etwas unbewußt Ueberlegenes aus der Bewegung, mit welcher sie ernst mahnend die Hand hob. Sie predigte tauben Ohren – das Geschrei dauerte fort.
Da wurde in der That die Thür des anstoßenden Zimmers geöffnet. Liane flog durch den Salon.
»Geh, Magnus, bleibe drüben!« bat sie mit kindlich rührender Stimme und versuchte, den Eintretenden sanft zurückzudrängen. Es hätte wohl keiner besonderen Kraft bedurft, ihn ernstlich zurückzuhalten, diesen knabenhaft schmächtigen jungen Mann.
»Lasse mich nur, kleiner Famulus,« sagte er freundliche – ein Schimmer verklärender Freude lag auf seinem geistreichen Gesicht. »Ich habe alles mit angehört und bringe Hilfe.«
Einen Moment aber wurzelte sein Fuß doch auf der Schwelle, als er die Frau mit zuckenden Gliedern und verzerrtem Gesicht auf dem Sofa liegen sah.
»Mama, beruhige dich,« sagte er nähertretend mit etwas vibrierender Stimme; »du kannst den Wein bezahlen. Sieh, hier ist Geld – fünfhundert Thaler, liebe Mama!« Er zeigte ihr mit hochgehobener Hand eine Anzahl Banknoten.
Ulrike sah ihm mit ängstlicher Spannung in das Gesicht; sie war sehr rot geworden – aber er bemerkte es nicht. Er warf das Papiergeld achtlos auf das Sofa neben seine Mutter und schlug ein Buch auf, das er mitgebracht hatte. »Sieh, Herzchen, da ist es nun,« sagte er sichtlich bewegt zu Liane. – Die Leidende auf dem Sofa fing an, sich zu beruhigen; sie legte aufstöhnend die Hand über die Augen – durch die gespreizten Finger fuhr ein unglaublich rasch bewußt und scharf gewordener Blick, der das Buch in den Händen des Sohnes fixierte.
»Werde mir nur nicht zu stolz, kleiner, lieber Famulus!« fuhr er fort. »Unser Manuskript kommt als Prachtwerk zurück. Es ist lebensberechtigt vor dem hohen Stuhl der Wissenschaft; es geht siegreich durch das Kreuzfeuer der Kritik – ach, Liane, lies den Brief des Verlegers –«
»Schweige, Magnus!« unterbrach ihn Ulrike rauh und gebieterisch.
Die Gräfin Trachenberg saß bereits aufrecht. »Was ist das für ein Buch?« fragte sie; weder in den impertinent verschärften Zügen, noch in der befehlenden Stimme war eine Spur des soeben beendeten Krampfanfalles zu bemerken.
Ulrike nahm mit einer raschen Bewegung das Buch aus der Hand des Bruders und drückte es mit beiden Armen fest an ihre Brust. »Es ist ein Werk über die fossile Pflanzenwelt – Magnus hat es geschrieben, und Liane die Zeichnungen dazu geliefert,« sagte sie kurz erklärend.
»Gib her – ich will es sehen!«
Zögernd, mit einem vorwurfsvollen Blick auf ihren Bruder, reichte Ulrike den Band hin; Liane aber, bis in die Lippen erblaßt, verschränkte krampfhaft die feinen Finger und vergrub das Gesicht hinein – diesen Ausdruck im Gesicht der Mutter hatte sie von Kindesbeinen an so fürchten gelernt, wie kaum die Höllenstrafen, mit denen die Kinderfrau drohte.
»Fossile Pflanzen – von Magnus, Grafen von Trachenberg,« las die Gräfin mit lauter Stimme. Ueber das Buch hinweg, mit grimmig einwärts gezogenen Lippen, sah sie einen Moment starr und vernichtend in das Gesicht des Sohnes. »Und wo steht der Name der Zeichnerin?« fragte sie, das Titelblatt umwendend.
»Liane wollte nicht genannt sein,« versetzte der junge Mann mit vollkommener Gelassenheit.
»Ah – also doch wenigstens in einem dieser Köpfe ein Funken von Vernunft, ein schwaches Aufdämmern von Standesbewußtsein!« Sie stieß ein häßliches Gelächter aus und schleuderte den schweren Band mit einer solchen Gewalt weit von sich, daß er klirrend durch die Glaswand hinaus auf die Steinfliesen der Terrasse flog.
»Dahin gehört die Sudelei!« sagte sie und zeigte auf das Buch, das breit aufgeschlagen liegen blieb und die reizend ausgeführte Zeichnung einer vorweltlichen Farnenform sehen ließ. – »O dreifach glückliche Mutter, welch einem Sohn gabst du das Leben! Zu feig, um Soldat zu werden, zum Diplomaten zu geistlos, geht der Nachkomme der Fürsten Lutowiski, der letzte Graf Trachenberg, unter – die Buchmacher und läßt sich Honorar zahlen!«
Liane umschlang in leidenschaftlichem Schmerze die schmalen Schultern ihres Bruders, der sichtlich mit sich kämpfte, um angesichts dieser Schmähungen die äußere Ruhe zu bewahren.
»Mama, wie kannst du es über das Herz bringen, Magnus so zu beleidigen?« zürnte das junge Mädchen. »Feig nennst du ihn? – Er hat mich vor sieben Jahren unter eigener Lebensgefahr drüben aus dem See gezogen. Ja, er hat sich entschieden geweigert, Soldat zu werden, aber nur, weil sein mildes, weiches Herz das Blutvergießen verabscheut ... Zum Diplomaten fehlt ihm der Geist, ihm, dem unermüdlichen, tiefen Denker? O Mama, wie grausam und ungerecht bist du! Er haßt nur das Doppelzüngige und will seinen edlen, wahrhaftigen Geist nicht durch die Schachzüge der Diplomatenkünste entweihen ... Ich bin auch stolz, sehr stolz auf unser altberühmtes Geschlecht; aber ich werde nie begreifen, weshalb der Edelmann nur mit dem Schwert oder der glatten Diplomatenzunge ein Edelmann sein soll –«
»Und dann frage ich,« fiel Ulrike mit ernsthaftem Nachdruck ein – sie war hinausgetreten und hatte das mißhandelte aufgenommen – »was ist ehrenvoller für den Namen Trachenberg: daß er einer wohlgelungenen Geistesthat voransteht, oder – daß er in der Reihe der Ueberschuldeten zu finden ist?«
»O du, du –« zischte die Gräfin fast wortlos vor innerem Grimm, »du Geisel meines Lebens!« Sie fuhr einigemal wie rasend im Salon auf und ab. »Uebrigens sehe ich nicht ein, was mich zwingt, ferner mit dir zu leben,« sagte sie, plötzlich stehenbleibend, unheimlich ruhig. »Du bist längst über die Zeit hinaus, wo das Küchlein von Anstands wegen unter die Flügel der Mutter gehört. Ich habe dich lange genug ertragen und gebe dir Urlaub, unbeschränkten Urlaub. Mache meinetwegen eine langjährige Besuchsreise durch die ganze Sippe – gehe wohin du willst, nur spute dich, daß mein Haus rein wird von deiner Gegenwart!«
Graf Magnus ergriff die Hand der verstoßenen Schwester. Die drei Geschwister standen innig vereint der herzlosen Frau gegenüber.
»Mama, du zwingst mich, zum erstenmal mein Recht als Erbherr von Rudisdorf zu betonen,« sagte der stille, sanfte Gelehrte mit vor Aufregung tiefgerötetem Gesicht. »Den Gläubigern gegenüber habe nur i c h Anspruch auf eine Wohnung im Schlosse und auf das Einkommen, das sie verwilligt ... Die Heimat kannst du Ulrike nicht nehmen – sie bleibt bei mir.«
Die Gräfin wandte ihm dem Rücken und schritt nach der