2034. Stefan Koenig
Читать онлайн книгу.Skatspieler und heimlicher Trinker, was jedermann weiß. Er ist immer zerstreut, ein Fossil. Ja, ein Fossil hat mich für tot erklärt. Dann hat mich Pit, der Mann mit dem blöden Anstaltsgrinsen und den eindeutigen Absichten hinsichtlich der Aufschnitt-Ärztin, noch einmal für mausetot erklärt.
Diese merkwürdige Ärztin, Mrs Cisco Kid, hat mich noch nicht einmal angeschaut, nicht wirklich. Wenn sie‘s tut, wird sie vielleicht ...
„Ich hasse diesen Trottel“, sagt sie, nachdem die Druckluft leise zischend das automatische Schließen der Tür signalisiert. Jetzt sind wir nur noch zu dritt, aber die Ärztin, die noch irgendwas mit mir vorhat, glaubt freilich, sie seien nur zu zweit. Ich verabscheue diese Unaufmerksamkeit im öffentlichen Dienst. Später wird sie ihre Pension Monat für Monat peinlichst genau prüfen, wird den Kontoauszug anhauchen, versuchen, ihm den Puls zu fühlen, zwischen den Fingern reiben und auf Echtheit überprüfen, weil ihr 5.200 Eier im Monat zu wenig erscheinen.
Da wird sie sehr, sehr aufmerksam sein. Darauf wird sie eine Menge Zeit verwenden. Sie wird die amtliche Bezüge-Stelle in Wiesbaden anrufen und fragen, warum ihre Pensionsbezüge immer noch nicht erhöht wurden und sie wird … weiß Gott was noch alles unternehmen. Aber hier lässt sie mich – ohne mich berührt zu haben – einfach liegen und ins grelle Licht starren; Folter pur. Sie hasst Pit, den Trottel – und ich hasse sie!
Eine meiner Stärken ist mir erhalten geblieben – ich rekapituliere. Das ist eine journalistische Wiederholungstechnik, um mir selbst immer wieder klar darüber zu werden, was wirklich geschah und geschieht und um mich in der Gegenwart zu halten: Ich bin mir jetzt absolut sicher, in einem grässlichen Aufschnittraum zu liegen und empöre mich (rein innerlich, rein gedanklich, denn ich kann weder reden noch zucken, noch blinzeln) – ja, ich empöre mich über den respektlosen Umgang mit mir als Leiche. Noch habe ich die Hoffnung, dass mich die Aufschnitt-Ärztin („Dürfen es ein paar Gramm Aufschnitt mehr sein?“ – „Schon okay, legen Sie ruhig noch die Scheibe Gelbwurst obendrauf!“) gründlich untersucht und entdeckt, dass ich lebe (wenn ich noch lebe, was ich – ehrlich gesagt – gar nicht so genau weiß …)
„Wieso kriege ich immer die Trottel, Klaus?“
„Keine Ahnung“, sagt Klaus, dessen Gesicht ich kurz gesehen habe und der eine schier unheimliche Ähnlichkeit mit Klaus Kinski aufweist. „Pit ist ein Spezialfall in den Annalen berühmter Trottel.“
Ich denke bei dem Wort „Trottel“ sofort an meinen Auftritt bei der Ex-Kanzlerin vor sechs Jahren. Damals war ich, wie Sie sich erinnern werden, als V-Mann für die Regierungschefin tätig und sie hatte mir als Tarnnamen „Trottel“ zugewiesen, weil das am unauffälligsten in ihrer Umgebung sei, und ich hatte bedenkenlos zugestimmt. Hauptsache gutbezahlter V-Mann mit vielen Kreuz- und Querverbindungen, aber immer im Netz der bundesdeutschen Geheimdienst-Seilschaften, eingebunden ins Kartell eines verschwörerischen Schweigens, jenem STASI-Nachfolgekartell, das jedenfalls rechtzeitig die Akten schreddert, bevor das Volk schreit, es sei das Volk – und die Schnüffler-Zentrale stürmt.
Zurück zu den Tatsachen. Ich liege hilflos hier und höre, wie Klaus über seinen Kumpel denkt: „Pit ist ein wandelnder Hirntoter, Frau Doktor; das ist so, damit müssen wir leben.“
Die Ärztin lacht, und etwas klappert. Auf dieses Klappern folgt ein Geräusch, das mich erstarren lassen würde, wenn ich nicht längst erstarrt und stumm (aber leider nicht blind und nicht gehörlos!) hier herumläge: Stahlinstrumente, die aneinander klirren. Sie sind irgendwo links neben mir, und obwohl ich nicht nach links blicken kann, weiß ich, was die beiden Helden hier vorbereiten: die Autopsie. Das regt mich gewissermaßen ein wenig auf, das werden Sie wohl verstehen! Oder soll ich sagen: es regt mich erheblich auf? Nutzt alles nichts, denn ich liege tatsächlich da wie tot, regungslos, fern jeglicher Gemütsäußerung. Blitzschnell taucht ein Bild vor mir auf, das Bild, wo ich für einen Werbefilm als Schönheitschirurg meine sieben Sachen packe, um den interessierten Damen ein passendes Halloween-Outfit zu verpassen. Eigentlich müsste ich mich als Hobby-Chirurg meinen hier tätigen Kollegen durchaus verbunden fühlen. Tu ich aber nicht. Ich habe Angst vor ihnen.
Schon lande ich wieder in der traurigen Realität. Vielleicht wäre es angenehmer gewesen, in einem Leichenschauhaus zu landen, wo man wenigstens seine unaufgeschnittene Ruhe hat. Nein, ich bin in der Pathologie, wo man gerne alles auf einen eiskalten, silberblitzenden Stahltisch legt und aufschneidet – nur so zum Spaß, um festzustellen, dass jemand mausetot ist und an irgendetwas Unheimlichem gestorben ist. Ein Beruf für Nichtzimperliche. Aufklärungsquote an die hundert Prozent, denn die meisten Fälle, die hier anlanden, sind tatsächlich mausetot. Und meistens sind sie an tausend Möglichkeiten gestorben. Aber ich, verdammt noch mal, ich lebe! Ich spüre, dass ich lebe.
Die Nichtzimperlichen wollen mir das Herz rausschneiden. Wahrscheinlich ist es schon längst in einem galanten Vorzugsdeal (in einem schicken Restaurant) an den höchst bietenden Herzchirurgen verkauft, der es zu seinem Spezialangebot macht und unter der Hand so viele Scheine kassiert, wie eine ALDI-Kassiererin in fünf Jahren verdient.
Warum mein Herz? Mein linker Arm!, kreische ich in meinem Kopf. Schaut auf meinen Arm, ihr blinden Hühner, dort seht ihr den Einstich. Aber das wissen sie ja, sie wollen in meinem Inneren nach den Auswirkungen schauen, da bin ich mir sicher.
Vielleicht haben sich meine Augen doch etwas an die Helligkeit gewöhnt. Am obersten Rand meines Blickfelds erkenne ich jetzt ein Gestell aus rostfreiem Stahl. Es sieht wie ein überdimensionierter Zahnarztbohrer aus, aber das Ding an seinem Ende ist kein harmloser Bohrer, der dich die Nerven deines Zahnes einzeln spüren lässt (falls die lokale Betäubung schusseliger Weise vergessen wurde). Es ist eine übliche Kreissäge, nur etwas feiner in Aussehen und Handhabung. Die Mediziner nennen sie Gigli-Säge, womit sie einem die Schädeldecke aufschneiden, um den Kopfinhalt zu überprüfen.
Ein Geräusch. Ein schrecklich realistisches Geräusch. Ich kann nicht tot sein; ein Toter kann so etwas Schreckliches nicht mehr wahrnehmen, sonst wäre er nicht tot. Aber konnte das je in der Vergangenheit jemand bezeugen? Konnten Tote jemals wiederauferstehen und darüber Zeugnis ablegen? Ist meine Argumentation gerichtssicher? Ist die Logik alleine ein Beweis? Das Geräusch lässt mich aus der Haut fahren – aus der Haut fahren?
Klirr. Klirr. Klunk. Eine kurze Pause. Dann so ein lautes KLANK!, dass ich zusammenzucken würde, wenn ich dazu imstande wäre.
„Wollen Sie den Brustkorb öffnen?“ fragt sie.
Klaus, vorsichtig: „Wollen Sie wirklich, dass ich es mache?“
Ich denke, dass es sich anhört wie eine Geflügelschere. Eigentlich wäre mir ein Pizzateiler angenehmer, irgendwie ästhetischer. Doch ich verwerfe meine idiotischen Gedanken, denn ich höre gerade, was die Ärztin antwortet.
Frau Doktor Cisco, freundlich wie jemand, der eine Gunst erweist und Verantwortung überträgt: „Ja, ich denke schon.“
„Also gut“, sagt er. „Sie assistieren mir?“
„Ihre zuverlässige Kopilotin“, sagt sie und lacht. Ihr Lachen wird von einem Schnapp-schnapp-Geräusch kurz unterbrochen. Das ist das Geräusch einer durch die Luft schneidenden Schere.
Die müssen doch erst mal meine Körpertemperatur messen, denke ich. Haben die kein iPad mit integriertem Temperaturfühler? Panik bricht in meinem Oberstübchen aus, echte Panik.
Schon stelle ich mir den blitzeblank geputzten Stahltisch vor, auf dem gleich eine mordsmäßige Sauerei veranstaltet wird. In der ARD – erinnern Sie sich, liebe Leser? – haben seit 2002 Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) im Münsteraner »Tatort« Verbrecher gejagt. Man sah Boerne bei seiner Arbeit in jenem klinisch kalten Raum. Ich habe das gerne geschaut und mit Wissbegier! Und deshalb weiß ich genau, was jetzt kommt.
Man wird mich zu Studienzwecken auseinandernehmen wie ein Hühnchen oder wie eine Tierversuchsratte. Wenn ich mich nicht täusche, werde ich das deutsche Fernsehen bald schon nicht mehr erleben können. Auch gut, bewahrt es mich doch vor einigen Enttäuschungen und Karl Lauterbachs Dauerpropaganda, der ich aufgesessen bin. Hätte ich mich nur nicht auf diese Impfung