Der Weg ins Freie. Arthur Schnitzler

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Der Weg ins Freie - Arthur Schnitzler


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      Heinrich dankte ernst.

      Sie spazierten weiter zwischen Buden, vor denen es stiller wurde, an Wirtshausgärten vorbei, die sich allmählich leerten.

      Oskar schob seinen rechten Arm in den linken seiner Begleiterin, dann wandte er sich an Georg: »Warum sind Sie denn heuer nicht auf dem Auhof gewesen? Wir haben alle sehr bedauert.«

      »Ich war leider in wenig geselliger Stimmung.«

      »Natürlich, kann ich mir denken«, sagte Oskar mit dem gebotenen Ernst. »Ich war übrigens auch nur ein paar Wochen dort. Im August hab ich meine müden Glieder in den Wogen der Nordsee gestärkt, ich war nämlich auf der Isle of Wight.«

      »Dort soll es ja sehr schön sein«, sagte Georg, »wer geht denn nur immer hin?«

      »Die Wyners, meinen Sie«, erwiderte Oskar. »Wenigstens wie sie noch in London gelebt haben, sind sie regelmäßig dort gewesen. Jetzt nur mehr alle zwei, drei Jahre.«

      »Aber das Ypsilon haben sie auch für Österreich beibehalten«, sagte Georg lächelnd.

      Oskar blieb ernst. »Der alte Herr Wyner«, erwiderte er »hat sich sein Recht auf das Ypsilon ehrlich erworben. Er ist schon in seinem dreizehnten Jahr nach England gekommen, hat sich dort naturalisieren lassen und als ganz junger Mensch ist er Kompagnon der großen Stahlfabrik geworden, die jetzt noch immer Black und Wyner heißt.«

      »Aber seine Frau hat er sich doch aus Wien geholt?«

      »Ja. Und wie er vor sieben oder acht Jahren gestorben ist, ist sie mit den zwei Kindern hierher übersiedelt. Aber James wird sich hier nie eingewöhnen ... der Lord Antinous, Sie wissen ja, daß Frau Oberberger ihn so nennt. Jetzt ist er wieder in Cambridge, wo er seltsamerweise griechische Philologie studiert. Im übrigen ist auch Demeter ein paar Tage in Ventnor gewesen.«

      »Stanzides?« ergänzte Georg.

      »Kennen Sie den Herrn von Stanzides, Herr Baron?« fragte Amy.

      »Jawohl.«

      »Also existiert er richtig«, rief sie aus.

      »Ja aber hörst du«, sagte Oskar. »Heuer im Frühjahr hat sie in der Freudenau auf ihn gesetzt und hat eine Masse Geld gewonnen, und jetzt fragt sie, ob er existiert.«

      »Warum zweifeln Sie denn an der Existenz von Stanzides, Fräulein?« fragte Georg.

      »Ja wissen Sie, alleweil, wenn ich nicht weiß, wo er is, der Oskar, heißts: ich hab ein Rendezvous mit'n Stanzides, oder: ich reit mit'n Stanzides in' Prater. Stanzides hin, Stanzides her, es klingt mehr wie eine Ausred, als wie ein Nam.«

      »Jetzt schweig aber endlich einmal still«, sagte Oskar mild.

      »Stanzides existiert nicht nur«, erklärte Georg, »sondern er hat den schönsten, schwarzen Schnurrbart und die glühendsten schwarzen Augen, die es überhaupt gibt.«

      »Das is schon möglich, aber wie ich ihn g'sehn hab, hat er ausg'schaut wie ein Wurstel. Gelber Janker, grünes Kappel, violette Schleifen.«

      »Und sie hat vierzig Gulden auf ihn gewonnen«, ergänzte Oskar humoristisch.

      »Wo sind die vierzig Gulden«, seufzte Fräulein Amelie ... Plötzlich blieb sie stehen und rief: »Da bin ich aber noch nie mitgefahren.«

      »Das kann ja nachgeholt werden«, sagte Oskar einfach.

      Es war das Riesenrad, das sich vor ihnen mit seinen beleuchteten Wagen langsam, majestätisch drehte. Die jungen Leute passierten das Tourniquet, stiegen in ein leeres Kupee und schwebten empor.

      »Wissen Sie, Georg, wen ich heuer im Sommer kennen gelernt habe?« sagte Oskar, »den Prinzen von Guastalla.

      »Welchen?« fragte Georg.

      »Den jüngsten natürlich, Karl Friedrich. Er ist inkognito dort gewesen. Er ist sehr gut mit dem Stanzides, ein merkwürdiger Mensch. Ich kann Sie versichern«, setzte er leise hinzu, »wenn unsereins den hundertsten Teil von den Sachen reden möcht wie der Prinz, wir kämen unser Lebtag aus dem schweren Kerker nicht heraus.«

      »Schau Oskar«, rief Amy, »die Tische und die Leut da unten! Wie aus einem Schachterl, nicht wahr? Und die Masse Lichter dort, ganz weit, da gehts sicher nach Prag. Glauben S' nicht, Herr Bermann?«

      »Möglich«, erwiderte Heinrich und starrte mit gefalteter Stirn durch die gläserne Wand in die Nacht hinaus.

      Als sie das Kupee verließen und ins Freie traten, war der Sonntagslärm im Verrauschen.

      »Die Kleine«, sagte Oskar Ehrenberg zu Georg, während Amy mit Heinrich vorausging, »die ahnt auch nicht, daß wir heute das letztemal zusammen im Prater spazieren gehen.«

      »Warum denn das letztemal?« fragte Georg ohne tieferes Interesse.

      »Es muß sein«, erwiderte Oskar. »Solche Sachen dürfen nicht länger dauern als höchstens ein Jahr. Sie können sich übrigens vom Dezember an bei ihr Ihre Handschuhe kaufen«, fügte er heiter, aber nicht ohne Wehmut hinzu. »Ich richte ihr nämlich ein kleines Geschäft ein. Das bin ich ihr gewissermaßen schuldig, denn ich hab sie aus einer ziemlich sichern Situation herausgerissen.«

      »Aus einer sichern?«

      »Ja, sie war verlobt. Mit einem Etuimacher. Haben Sie gewußt, daß es das gibt?«

      Indessen war Amy und Heinrich vor einer Wendeltreppe stehen geblieben, die eng und kühn zu einem Plateau hinaufführte, und erwarteten die andern. Alle waren darüber einig, daß man den Prater nicht verlassen durfte, ohne auf der Rutschbahn gefahren zu sein.

      Sie sausten durchs Dunkel, hinab und wieder hinauf, im dröhnenden Wagen, unter schwarzen Wipfeln; und dem dumpf rhythmischen Lärm entklang für Georg allmählich ein groteskes Motiv im Dreivierteltakt. Während er mit den andern die Wendeltreppe hinabstieg, wußte er auch schon, daß die Melodie von Oboe und Klarinette gebracht und von Cello und Kontrabaß begleitet werden müsse. Offenbar war es ein Scherzo, vielleicht für eine Symphonie.

      »Wenn ich ein Unternehmer wäre«, erklärte Heinrich mit Entschiedenheit, »so ließ ich eine Rutschbahn bauen, viele Meilen lang, die ginge über Wiesen, Abhänge, durch Wälder, Tanzsäle; auch für Überraschungen auf dem Weg wäre gesorgt.« Jedenfalls, so fand er weiter, wäre nun die Zeit gekommen, das phantastische Element im Wurstelprater zu höherer Entfaltung zu bringen. Er selbst hätte vorläufig die Idee für ein Ringelspiel, das sich hoch und durch einen merkwürdigen Mechanismus, spiralig immer höher über den Erdboden drehen müsse, um endlich in einer Art von Turmspitze anzulangen. Leider mangelten ihm die notwendigen technischen Vorkenntnisse zur näheren Erklärung. Im Weitergehen erfand er burleske Figuren und Gruppen für die Schießbuden und sprach endlich die dringende Forderung nach einem großartigen Kasperltheater aus, für das originelle Dichter tiefsinnig-heitere Stücke entwerfen müßten.

      So war man an den Ausgang des Praters gelangt, wo Oskars Wagen wartete. Gedrängt, aber gut gelaunt fuhren sie nach einem Weinrestaurant in der Stadt. In einem separierten Zimmer ließ Oskar Champagner auftragen. Georg setzte sich ans Klavier und phantasierte über das Thema, das ihm auf der Rutschbahn eingefallen war. Amy lehnte in der Divanecke, und Oskar flüsterte ihr allerhand ins Ohr, worüber sie lachen mußte. Heinrich war wieder stumm geworden und drehte sein Glas langsam zwischen den Fingern hin und her. Plötzlich hielt Georg im Spielen inne und ließ die Hände auf den Tasten liegen. Ein Gefühl von der Traumhaftigkeit und Zwecklosigkeit des Daseins kam über ihn, wie manchmal, wenn er Wein getrunken hatte. Viele Tage war es her, daß er eine schlecht beleuchtete Treppe in der Paulanergasse hinuntergegangen war, und der Spaziergang mit Heinrich durch die herbstdunkle Allee lag in fernster Vergangenheit. Hingegen erinnerte er sich plötzlich so lebhaft, als wär es gestern gewesen, eines sehr jungen und sehr verdorbenen Wesens, mit dem er vor vielen Jahren ein paar Wochen in heiter-unsinniger Art verbracht hatte, etwa so wie Oskar Ehrenberg jetzt mit Amy. Eines Abends hatte sie ihn auf der Straße zu lange warten lassen, ungeduldig war er fort gegangen und hatte nie wieder etwas von ihr gehört oder gesehen. Wie leicht sich das Leben zuweilen anließ ... Er hörte das leise Lachen


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