Der blaurote Methusalem. Karl May

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Der blaurote Methusalem - Karl May


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antwortete sie.

      »Hieß Ihr Mann Joseph Ferdinand?«

      »Ja.«

      »So stimmt es. Der Brief ist an Sie! Hier ist er.«

      Er reichte ihr denselben hin. Sie nahm und betrachtete ihn, las die Adresse und fragte im Tone der Verwunderung:

      »Nicht von der Post! Wo ist er her?«

      »Aus China. Ye-Kin-Li gab ihn mir.«

      »Aus – — China! Wer könnte mir von dorther schreiben? Es ist ja ganz unmöglich, daß dort ein Bekannter von uns existiert. Dieser Brief kann nicht für mich bestimmt sein.«

      »Er ist für Sie! Die Adresse stimmt ja genau.«

      »Bitte, Mutter, zeig‘ einmal her!« sagte Richard, indem er herbeitrat und nach dem Briefe griff. Er betrachtete die Adresse und entschied sodann:

      »Er ist an den Vater gerichtet. Dieser lebt nicht mehr, folglich hast du das Recht, den Brief zu öffnen. Das ist gar nicht zu bestreiten.«

      Dabei hatte er auch schon das Kouvert mit dem Federmesser aufgeschnitten. Er nahm den eng beschriebenen Bogen, den es enthielt, heraus und warf, nachdem er ihn entfaltet hatte, einen Blick auf die Unterschrift.

      »Vom Onkel Daniel!« rief er schnell.

      »Der war doch in Amerika und ist verschollen,« antwortete seine Mutter.

      »Er ist nicht tot, wie wir bisher geglaubt haben. Welch eine Freude, daß er noch lebt! Hört, was er schreibt! Ich will den Brief vorlesen.«

      Der »Methusalem« wollte sich entfernen, wurde aber aufgefordert, zu bleiben. Vor ihm gab es keine Familiengeheimnisse.

      Der Inhalt des Briefes mußte von großer Wichtigkeit sein, denn der Student blieb weit über eine Stunde bei seiner Wirtin, und als der Wichsier einmal an der Thüre vorüberging und infolge eines frohlockenden Rufes, welcher drinnen ausgestoßen wurde, stehen blieb, hörte er, obgleich er die einzelnen Worte nicht verstehen konnte, daß jedenfalls eine Beratung abgehalten wurde, deren Verlauf ein sehr erregter zu sein schien.

      »Wat da drinnen losjelassen worden ist, dat scheint so eine Art von Kriegsrat zu sind,« murmelte er vor sich hin. »Ich ziehe mir zurück, sonst könnte ich der Avantgarde unter die Pferde geraten.«

      Er that sehr klug daran, denn kaum hatte er sich entfernt, so kam sein Herr in höchster Eile heraus, eilte in seine Wohnung, packte den Wichsier, als er ihn dort erblickte, an den beiden Schultern und rief in freudigem Tone:

      »Gottfried, das Schlaraffenleben hat ein Ende! Wir verreisen!«

      »So! Wohin? Vielleicht wieder mal nach Jüterbogk, um den dortigen Wein zu probieren?«

      Er machte ein sehr saures Gesicht.

      »Nein, nein, weiter, viel weiter! Bist du zur Seekrankheit geneigt?«

      »Unjeheuer sehr!«

      »Woher weißt du das?«

      »Weil mein echt jermanischer Magen kein Wasser vertragen kann. Er will immer noch eins, ehe er jeht, aber natürlich nur kein Wasser!«

      »So bleibst du da, dann gehe ich zur See!«

      »Dat ist ja nicht jefährlich. Zur See kann man jehen, ohne die Seekrankheit zu bekommen. Man muß nur am Wasser stehen bleiben.«

      »Aber ich will über die See, über das Meer hinüber, nach Asien!«

      »Alle juten Jeister!« rief Gottfried, die Hände zusammenschlagend.

      »Nach China!«

      »Da sind wir ja schon!«

      Er zeigte in dem Zimmer herum und hatte dabei nicht gar so unrecht, denn der »Methusalem« war infolge seiner mit dem Theehändler geschlossenen Freundschaft ein passionierter Sammler für chinesische Erzeugnisse geworden. An den Wänden hingen und auf den Tischen lagen Geräte, Gefäße, Waffen, Musikinstrumente und eine ganze Menge ähnlicher Dinge, welche aus dem »Reiche der Mitte« stammten.

      »Das ist Talmi-China; ich aber will das echte sehen,« antwortete der Student. Die Erregung hatte ihm das Gesicht hochrot, die Nase aber ultramarinblau gefärbt. »Du sollst mitkommen. Fürchtest du dich aber vor der See, so bleibst du da und kannst, um dir die Langeweile zu vertreiben, Mücken vergolden.«

      Da stemmte der Wichsier beide Hände in die Seiten, pflanzte sich gerade vor seinem Herrn auf und meinte:

      »Wat? Wie? Wo? Warum? Ich, als der berühmte Jottfried von Bouillon und ausjesprochener Erbfeind aller Sarazenen soll mir vor das bißchen See fürchten! Wat mache ich mich aus so einem alten Heringsteich! Und etwa von wegen die Haifische? Denen wollte ich mit persisches Insektenpulver ins Jewissen reden! Uebrigens muß ich auf alle Fälle mit, denn Sie brauchen mir. Wer soll Ihnen die Stibbel wichsen, die Kleider klopfen, die Pfeife stopfen, die Uhr aufziehen, tausend andere Sachen versorjen und beim Essen jesegnete Mahlzeit wünschen? Doch ich! Also ich fahre mit, nämlich wenn diese Reise nach China nicht etwa nur ein Ulk ist, den sich Ihr treuer Jottfried streng verbitten muß!

      »Es ist kein Ulk, sondern Ernst, wirklicher Ernst. Ich habe keine Zeit, es dir zu erklären, denn morgen früh geht es mit dem ersten Zuge fort, zunächst nach der Residenz, der Gesandtschaft wegen. jetzt muß ich zum Bankier, zur Polizei und in hundert Läden, um tausend notwendige Sachen einzukaufen. Richard fährt auch mit, und – — – «

      »Rich – — – !« unterbrach ihn der Wichsier, brachte aber vor Erstaunen nur die erste Silbe dieses Namens über die Lippen.

      »Ja! Er ist es ja, um dessentwillen die Reise überhaupt unternommen wird. Wenn ich nicht so sehr eile, daß wir morgen bereits über alle Berge sind, wird aus dieser famosen Reise gar nichts. Ich habe seine Mutter förmlich überrumpelt, und wir müssen reisen, bevor sie sich anders besinnen kann.«

      Er eilte fort. Gottfried schüttelte den Kopf, kratzte sich mit beiden Händen hinter den Ohren, richtete seinen Blick auf einen großen chinesischen Laternendrachen, welcher an der Decke hing und sagte:

      »Da hängst du nun, altes Jötzenbild, und kuckst mich höhnisch ins Jesicht! Dir hab‘ ich nie so recht jetraut. Deine Ehrbarkeit und Moralität ist mich immer ein bißchen problematisch vorjekommen! Wat willst du sind? Tao-lung willst du jenannt sind, wat soviel heißt, wie Drache der Vernunft? Ich sage dir, daß du höchst unvernünftig bist! Seit du hier unsern Zenith jepachtet hast, ist bei uns China und der Teufel losjewesen. Ich habe dir sogar im Verdacht, daß du um Mitternacht als Jespenst und Jeisterspuk hier umherfliegst. Du erscheinst dem Methusalem im Traume; du hast es ihm anjethan und ihm sogar den Jedanken einjeblasen, die traute Heimat zu verlassen, um am Strande des gelben Meeres bei die halben Antipoden jebratene Regenwürmer, jeschmorte Tausendfüße, jebackenen Seetang, marinierte Salamander und jekochte Rattenschwänze zu verspeisen. Schäme dir! Aber du sollst dir doch nicht rühmen können, ihn ins Verderben jeführt zu haben. Ich werde ihn begleiten als sein Morjen- und sein Abendstern. Wir werden siegreich gegen deine Vettern und Basen kämpfen, gegen Drachen, Molche und Chinesen, und wenn wir wiederkehren, so hängen wir sie hier als Trophäen auf, um dir zu ärjern, so wie du mir jeärjert hast. Ich verachte dir!«

      Er ging mit einer theatralischen Geberde ab, um sich bei der Wirtin zu erkundigen, wie sein Herr auf den Gedanken gekommen sei, nach China zu gehen.

      Inzwischen war der »Methusalem« gar nicht weit gekommen. An der Ladenthür des Chinesen hatte er sich besonnen, daß er diesem doch sagen müsse, daß der Brief an die richtige Adresse gelangt sei. Darum trat er bei ihm ein.

      »Nun?« fragte der Sohn der Mitte. »Sie bringen den Brief nicht wieder?«

      »Nein. Meine Wirtin ist die Adressatin. Sie brauchen sich also nicht weiter zu bemühen. Aber, bitte, wie ist er in Ihre Hände gekommen?«

      »Durch meinen Lieferanten in Kuang-tschéu-fu (Kanton), bei dem er für mich abgegeben wurde.«

      »Hat dieser Herr Ihnen mitgeteilt, wer der Absender ist?«

      »Nein. Er hat mir die Weisung gegeben, den Adressaten oder dessen Erben hier ausfindig zu machen, ihnen den Brief zu übermitteln und dafür zu sorgen, daß sie sofort antworten.


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