Der Schatz im Silbersee. Karl May

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Der Schatz im Silbersee - Karl May


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      Es war ein fast mitleidiger Blick, den der Buckelige auf den Lord warf, als er antwortete: »Ein Prairiejäger und schießen! Das ist fast noch schlimmer, als ob Ihr fragt, ob ein Bär fressen könne. Beides ist genau so selbstverständlich wie mein Buckel.«

      »Möchte aber doch eine Probe sehen. Könnt ihr die Geier von da oben herunterholen?«

      Humply maß die Höhe, in welcher sich die beiden Vögel wiegten, mit den Augen und antwortete. »Warum nicht? Ihr freilich würdet es uns mit Euren beiden Sonntagsflinten nicht nachmachen.«

      Er deutete auf das Pferd des Lords. Die Gewehre hingen noch an den Bügelriemen; sie waren blank geputzt, so daß sie ganz wie neu aussahen, was dem Westmann ein Greuel ist.

      »So schießt!« gebot der Lord, ohne auf die letzte Behauptung des Buckeligen zu achten.

      Dieser stand auf, legte sein Gewehr an, zielte kurz und drückte ab. Man sah, daß der eine der Geier einen Stoß erhielt; er schlug flatternd die Flügel, suchte sich zu halten, doch vergebens; er mußte nieder, erst langsam, dann schneller; endlich zog er die Flügel an den Leib und fiel wie ein schwerer Klumpen senkrecht zur Erde nieder.

      »Nun, Mylord, was sagt Ihr dazu?« fragte der kleine Schütze.

      »Nicht übel,« lautete die kalte Antwort.

      »Was? Nicht übel nur? Bedenkt diese Höhe, und daß die Kugel den Vogel gerade ins Leben traf, denn er war schon in der Luft tot! Jeder Kenner hätte das einen Meisterschuß genannt.«

      »Well, der zweite!« nickte der Lord dem langen Jäger zu, ohne auf den Vorwurf des Kleinen einzugehen.

      Gunstick-Uncle erhob sich steif vom Boden, stützte sich mit der Linken auf seine lange Rifle, erhob die Rechte wie ein Deklamierender, wendete das Auge gen Himmel zu dem zweiten Geier und sprach in pathetischem Tone: »Wandelt der Aar in Gefilden der Lüfte — blickt er herab auf die Grüfte und Schlüfte — denket mit Sehnsucht des Aases voll Düfte — ich aber schieße ihn tot in die Hüfte!«

      Bei diesen improvisierten Reimen war seine Pose so steif und eckig wie diejenige eines Gliedermannes. Er hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen, desto größeren Eindruck mußte dieses herrliche Poem machen. So dachte er. Darum ließ er den erhobenen Arm sinken, wendete sich gegen den Lord und blickte diesen mit stolzer Erwartung an. Der Engländer hatte längst wieder sein dummes Gesicht angenommen; jetzt zuckte es in und auf demselben, als ob das Lachen mit dem Weinen kämpfe.

      »Habt Ihr es richtig gehört, Mylord?« fragte der Buckelige. »Ja, der Gunstick-Uncle ist ein feiner Kerl. Er war Schauspieler und ist noch jetzt ein Dichter. Er spricht blutwenig, aber wenn er einmal den Mund aufthut, so redet er nur in Engelszungen, das heißt in Reimen.«

      »Well!« nickte der Engländer. »Ob er in Reimen oder in Gurkensalat redet, das ist nicht meine, sondern seine Sache, aber kann er schießen?«

      Der lange Dichter zog den Mund bis an das rechte Ohr und warf die Hand weit von sich, was eine Bewegung der Verachtung sein sollte. Dann erhob er seine Rifle zum Zielen, setzte sie aber wieder ab. Er hatte den rechten Augenblick versäumt, denn während seines dichterischen Ergusses hatte das Geierweibchen, erschrocken über den Tod ihres Männchens, beschlossen, sich davon zu machen. Der Vogel hatte sich schon weit entfernt.

      »Er ist unmöglich zu treffen,« sagte Humply. »Meinst du nicht, Uncle?«

      Der Gefragte erhob beide Hände gen Himmel nach dem Punkte, an welchem man den Geier erblickte, und antwortete in einem Tone, als ob er Tote erwecken wolle: »Es tragen ihn die Flügel — fort über Thal und Hügel — er ist mit großen Wonnen — nun leider mir entronnen — und wer ihn nun will kriegen — schnell hinterdrein mag fliegen!«

      »Unsinn!« rief der Lord. »Meint ihr wirklich, daß er nicht mehr zu treffen ist?«

      »Ja, Sir,« antwortete Humply. »Kein Old Firehand, kein Winnetou und kein Old Shatterhand vermöchte ihn jetzt noch herunterzuholen, und das sind doch die drei besten Schützen des fernen Westens.«

      »So!«

      Während der Lord dies mehr hervorstieß als deutlich aussprach, ging ein helles, blitzartiges Zucken über sein Gesicht. Er trat schnell zum Pferde, nahm eins der Gewehre vom Riemen, entfernte die Sicherung, legte an, zielte, drückte ab, alles wie in einem einzigen kurzen Augenblicke, ließ das Gewehr wieder sinken, setzte sich nieder, griff nach der Rehkeule, um sich noch ein Stück von derselben zu schneiden, und sagte: »Nun, war er zu treffen oder nicht?«

      Auf den Gesichtern der beiden Jäger lag der Ausdruck des höchsten Erstaunens, ja der Bewunderung. Der Vogel war getroffen, und zwar gut, denn er fiel mit zunehmender Schnelligkeit in einer sich verengenden Schneckenlinie zur Erde nieder.

      »Wonderful!« rief Humply ganz begeistert aus. »Mylord, wenn das nicht ein Zufall — — —«

      Er hielt inne. Er hatte sich nach dem Engländer umgedreht und sah diesen kauend am Boden sitzen, den Rücken nach der Seite gerichtet, wohin der Meisterschuß gerichtet gewesen war. Das war doch kaum zu glauben!

      »Aber, Mylord,« fuhr er fort, »dreht Euch doch um! Ihr habt den Geier nicht nur getroffen, sondern wirklich erlegt!«

      »Das weiß ich,« antwortete der Englishman, indem er, ohne sich umzusehen, ein Stück Fleisch in den Mund schob.

      »Aber Ihr habt es ja gar nicht beobachtet!«

      »Ist nicht nötig; ich weiß es doch. Meine Kugel geht nie fehl.«

      »Aber dann seid Ihr ja ein Kerl, der es, wenigstens was das Schießen betrifft, mit den drei berühmten Männern, deren Namen ich vorhin nannte, getrost aufnehmen kann! Oder nicht, Uncle?«

      Der famose Ladestock-Onkel stellte sich abermals in Positur und antwortete, mit beiden Händen gestikulierend: »Getroffen ist der Geier — der Schuß war ungeheuer — ich muß auf Ruhm verzichten — — —«

      »Und höre auf, zu dichten!« fiel der Engländer ihm in die Rede.

      »Wozu diese Reime und das Geschrei! Ich wollte wissen, was für Schützen ihr seid. Nun setzt euch wieder her, und laßt uns weiter verhandeln. Also ihr geht mit mir, und ich bezahle euch die Reise. Einverstanden?«

      Beide blickten einander an, nickten sich zu und antworteten mit einem beistimmenden Ja.

      »Well! Und wieviel verlangt ihr?«

      »Ja, Mylord, mit dieser Frage bringt Ihr mich in Verlegenheit. Wir haben noch nie im Dienste eines Mannes gestanden, und von einer sogenannten Bezahlung kann bei Scouts, die wir sein sollen, doch wohl nicht gesprochen werden.«

      »All right! Ihr habt euren Stolz, und das gefällt mir. Es kann hier nur von einem Honorare die Rede sein, dem ich, wenn ich mit euch zufrieden bin, eine Extragratifikation zufüge. Ich bin hierher gekommen, um etwas zu erleben, um berühmte Jäger zu sehen, und mache euch also folgendes Anerbieten: Ich bezahle euch für jedes Abenteuer, welches wir erleben, fünfzig Dollar.«

      »Sir,« lachte Humply, »da werden wir reiche Leute, denn an Abenteuern gibt‘s hier keinen Mangel, erleben thut man sie, ja, ob aber überleben, das ist eine andre Frage. An uns beiden soll es da nicht fehlen; aber für einen Fremden ist es geratener, die Abenteuer zu fliehen, anstatt sie aufzusuchen.«

      »Ich aber will sie haben! Verstanden! Auch will ich mit berühmten Jägern zusammentreffen. Ihr nanntet vorhin drei Namen, von denen ich schon viel gehört habe. Sind diese drei Männer jetzt im Westen?«

      »Da fragt Ihr mich zu viel. Diese berühmten Personen sind überall und nirgends. Man kann sie nur durch Zufall treffen, und selbst wenn man ihnen einmal begegnet, ist es die Frage, ob sich so ein König der Westmänner herbeiläßt, einen zu beachten.«

      »Man soll und wird mich beachten! Ich bin Lord Castlepool, und was ich will, das will ich! Für jeden von diesen drei Jägern, dem wir begegnen, zahle ich euch hundert Dollar.«

      »Alle Teufel! Habt Ihr denn gar so viel Geld bei Euch, Mylord?«

      »Ich


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