Der Schut. Karl May

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Der Schut - Karl May


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geht denn hier vor? Wer wagt es, ohne meine Erlaubnis hier einzudringen?«

      Ich trat dem Frager mit dem Kienspane näher. Die Frau eilte auf ihn zu und begann leise mit ihm zu flüstern. Ich ersah keinen Grund, sie darin zu stören. Als beide fertig waren, wandte er sich an mich:

      »Herr, meine Frau erzählt mir, daß ihr sie bedroht habt. Das darf ich nicht dulden. Wir haben, indem wir diesen Kranken bei uns aufnahmen, ein Werk der Barmherzigkeit getan, und ihr habt kein Recht, uns das vorzuwerfen.«

      »Wer hat einen Vorwurf ausgesprochen?«

      »Du!«

      »Das ist nicht wahr. Sie hat ihn uns verheimlicht.«

      »Was geht das euch an? Können wir nicht tun, was uns beliebt?«

      »Das könnt ihr wohl; aber wenn ich den Schrei eines Menschen höre und es wird mir auf meine Frage gesagt, daß niemand da sei, so muß ich wohl argwöhnisch werden. Ich muß glauben, daß ein Mensch sich in Gefahr befinde, und um ihn zu retten, bin ich hier eingetreten, obgleich deine Frau es mir nicht erlauben wollte.«

      »Weil du sein Todfeind bist!«

      »Auch das ist erlogen. Wir haben ihn geschont, obgleich er uns nach dem Leben trachtete. Ich habe ganz und gar nicht die Absicht, ihm Böses zu erweisen. Ich bin sogar erbötig, ihm beizustehen, wenn es noch möglich ist. Schafft ihn in die Stube! Dort ist es leichter, ihn zu pflegen. Ich werde seine Wunde untersuchen. Kann ihm noch geholfen werden, so soll es mich freuen. Ich raube keinem Menschen das Leben, wenn es nicht in Verteidigung meines eigenen Lebens geschehen muß.«

      »Du wirst ihn ehrlich untersuchen und ihm keine Medizin geben, die ihn vollends umbringt?«

      »Er empfängt gar keine Medizin. Nur kunstgerecht verbunden soll er werden. Also tragt ihn sofort hinein. Ich warte hier auf dich, denn ich habe dann wegen des Pferdes mit dir zu sprechen.«

      Erst jetzt, als er von den Spänen mehr beleuchtet wurde, sah ich, daß er ein Päckchen in der Hand hatte. Ich erkannte es sogleich und machte Halef auf dasselbe aufmerksam, indem ich ihm einen heimlichen Wink gab.

      Der Konakdschi, der Kohlenhändler und dessen Frau hoben den Mübarek vom Boden auf und trugen ihn an uns vorüber. Der Verwundete war ohne Besinnung, schien aber die ihm verursachten Schmerzen zu fühlen, denn er schrie jämmerlich.

      »Herr,« sagte Halef zu mir, »wie nun, wenn der Mübarek sich nicht allein hier befindet!«

      »Ich bin überzeugt, daß die Andern wirklich fort sind, werde aber trotzdem die Maßregeln so treffen, als ob sie sich hier versteckt hätten.«

      »Und was hast du mit dem Kohlenhändler wegen des Pferdes zu besprechen?«

      »Ich will es ihm abkaufen, wenigstens einen Teil des Kadavers.«

      »Bist du des Teufels? Meinst du, daß wir von diesem Fleische essen sollen?«

      »Nein, wir nicht, sondern ein Anderer.«

      »Wer?«

      »Ein Gast von uns. Du wirst ihn hoffentlich noch heute kennen lernen.«

      Halef schwieg.

      »Jetzt leuchtet einmal her und schaut euch den Kadaver des Pferdes an,« sagte ich zu den Gefährten. »Da werdet ihr sehen können, welche Kraft ein Bär in seinen Zähnen und Tatzen hat.«

      Das gewaltige Raubtier hatte dem Pferd die Hirnschale aufgebrochen. Die Schädelhöhle, welche den größten Leckerbissen des Bären, das Gehirn, enthält, war so rein geleert, als sei sie mit einem Schwamm ausgewischt worden. Dann hatte er den Leib angeschnitten. Es fehlten die Eingeweide, welche er verzehrt hatte. Das Backenfleisch war seinem Gelüste zur Beute geworden, und zuletzt wohl hatte er sich die Brust genommen. Dann war er gesättigt gewesen.

      Das Pferd — ein starkknochiges und wohlgenährtes Tier — hatte wohl Kräfte genug gehabt, eine schwere Last zu ziehen. Darum sagte Halef:

      »Aber wie kann ein Bär ein solches Pferd bewältigen? Es vermag doch zu fliehen oder sich mit den Hufen zu wehren!«

      »Das weiß der Bär so genau wie du und richtet seinen Angriff danach ein. Uebrigens ist er ein alter Kerl, der gewiß ein gutes Quantum Erfahrung besitzt.«

      »Aber denke dir, das Pferd ist ein so schnelles Tier, während der Bär ungelenk und täppisch sein soll.«

      »Wer das denkt, der kennt ihn nicht. Ja, für gewöhnlich scheint es, als ob er die Behaglichkeit mehr liebe, als die Eile; aber ich sage dir, daß ich dabei war, als ein grauer Bär einen Reiter einholte, der sich alle Mühe gab, zu entkommen. Ist der Bär angeschossen, so entwickelt er eine Wut und eine Schnelligkeit, die ihn höchst gefährlich machen.«

      »Nun, wie mag es da diesem Bären gelungen sein, sich des Pferdes zu bemächtigen?«

      »Zunächst hat er die Klugheit gehabt, sich gegen den Wind anzuschleichen, um nicht durch die Nüstern bemerkt zu werden. In der Nähe seiner Beute angekommen, hat er einige weite schnelle Sprünge gemacht und dann das Pferd von vorn angenommen. Du siehst es an den Wunden, die es trägt, daß er es vorn niedergerungen hat. Schau die zerrissenen Vorderbeine und die beiden Risse rechts und links im Hals. Er hat mit den Vordertatzen das Pferd am Hals gepackt und ihm die Hinterpranken an die Vorderbeine gestemmt. Bei seiner Bärenkraft, welche ja auch sprichwörtlich ist, bedurfte es nur eines Ruckes, um es vorn niederzubringen. Dann hat er ihm einen Wirbel des Genickes zerknirscht. Das siehst du an den deutlichen Wunden. Wünschest du auch jetzt noch, von ihm umarmt zu werden?«

      »O Beschützer! O Bewahrer! Das fällt mir nicht ein. Den Brustkasten könnte ich ihm nicht eindrücken, wie ich vorhin sagte. Aber fürchten würde ich mich doch nicht vor ihm, wenn es zum Kampf zwischen ihm und mir käme. Nur müßte ich meine Flinte bei mir haben. Das ist doch das Sicherste?«

      »Ja, doch gibt es Jäger, welche dem Bär bloß mit dem Messer zu Leibe gehen.«

      »Ist das möglich?«

      »Gewiß. Nur gehört ruhiges Blut, Körperkraft und ein sicherer Stoß dazu. Trifft das Messer das Herz nicht, so ist es gewöhnlich um den Mann geschehen. Bedient man sich der Büchse, so kann man ihn auf verschiedene Weise erlegen. Nie aber schieße ich auf weite Distanz. Am sichersten ist es, man geht dem Burschen mit dem angelegten Gewehr entgegen. Er richtet sich auf, um den Schützen zu empfangen. Auf zehn Schritte gibt man ihm den tödlichen Schuß grad ins Herz. Da er gewöhnlich den Rachen weit aufreißt, kann man auch da eine tödliche Stelle treffen, indem man ihm die Kugel durch den oberen Teil des Rachens ins Gehirn jagt. Doch selbst dann, wenn er stürzt und ohne Bewegung liegt, ist noch Vorsicht geboten. Bevor man sich bei einem getroffenen Bären häuslich niederläßt, muß man sich ganz genau überzeugen, daß er auch wirklich getötet worden ist.«

      Ich gab diese oberflächliche Belehrung nicht ohne Absicht, denn ich hoffte, den Bären noch am Abend kennen zu lernen.

      Jetzt kehrten die beiden Männer zurück. Die Frau war bei dem Kranken geblieben. Der Kohlenhändler fragte:

      »Was wolltest du wegen des Pferdes mit mir sprechen?«

      »Ich wollte wissen, ob du das ganze Fleisch desselben für dich verwenden willst.«

      »Ja. Ich will es aufheben.«

      »So nimm das beste. Die geringeren Stücke kaufe ich dir ab.«

      »Du? — Wozu?«

      »Für den Bären.«

      »O! Der hat schon genug erhalten. Willst du ihn noch dafür beschenken, daß er mich um mein Pferd gebracht hat?«

      »Nein; ein Geschenk soll es freilich nicht sein. Weißt du vielleicht, ob das Raubtier sich schon seit längerer Zeit in dieser Gegend befindet?«

      »Ich habe noch keine Spur von ihm gesehen. Die Nachbarn wohnen hier weit auseinander, aber wenn er schon einen ähnlichen Raub ausgeführt hätte, so wäre es mir sicher zu Ohren gekommen, da ich als Handelsmann die Ortschaften fleißig besuche.«

      »So ist er also hier fremd und kennt noch nicht die


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