Waldröschen I. Die Tochter des Granden. Karl May

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Waldröschen I. Die Tochter des Granden - Karl May


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und der andere, den hörte ich gestern Señor Kastellan nennen. Er ist ein Kerl, den eine Mücke in die Flucht treibt. Die Señorita hat sicherlich mehr Geld bei sich, als jeder andere, der hier vorüberkommt. Wollen wir hier auf ihre Rückkehr warten?« – »Ja«, nickte Juanito zustimmend. »Einen besseren Fang können wir ja gar nicht machen. Wir schießen die Pferde nieder, du das Hand- und ich das Sattelpferd. Das Weitere wird der Augenblick ergeben.«

      Während dieser Plan hier besprochen wurde, rollte die Equipage der Gräfin Rodriganda der Stadt im Galopp entgegen. Rosa wußte, daß die Freundin mit der Post kommen werde, und da die Zeit der Ankunft derselben noch nicht gekommen war, so gab sie dem Kutscher Befehl, nach der Locanda zu fahren, die sie als das anständigste Gasthaus des Städtchens kannte.

      Dort angekommen, überließ sie dem Kastellan und dem Kutscher die Sorge für die Pferde und begab sich in das Zimmer, in dem sie bei ihrer jedesmaligen Anwesenheit in Pons abzusteigen pflegte. Es war heute zwar bereits besetzt, aber der Wirt machte es der Gräfin möglich, es für die kurze Zeit des Wartens zu erhalten.

      Als nach einer halben Stunde die mit sechs Maultieren bespannte Post-Diligence in das Städtchen rollte, stand der Kastellan mit dem Kutscher in der Posthalterei bereit, den Gast zu empfangen und seiner Herrin zuzuführen.

      Der große Kasten der Post-Arche entleerte sich nach und nach seines Inhaltes, und ganz zuletzt entstieg ihm auch eine Dame, die so in Schleier und Reisemantel eingehüllt war, daß man von ihr nur erkennen konnte, daß sie von mittelgroßer Figur und gewandtem, selbstbewußtem Benehmen sei. Der Kastellan hatte alle Aussteigenden vergeblich gemustert, jetzt aber trat er mit seiner tiefsten Verbeugung zu der Dame heran und sagte:

      »Guten Tag – willkommen! Nicht wahr, Ihr seid Miß Amy, Señorita Lady Lindsay?«

      Ein ganz kurzes, aber goldig helles Lachen drang durch den Schleier, gerade, als ob ein Rotkehlchen einen abgerissenen Jubelton getrillert hätte, und dann erklang die Antwort auf die seltsame Frage des Kastellans:

      »Ja, mein Freund, ich bin Amy Lindsay. Und wer seid Ihr?« – »Oh, Doña Lady Señorita, ich bin Señor Juan Alimpo, der Kastellan auf Schloß Rodriganda. Das sagt meine Elvira auch.«

      Wieder erklang der kurze, melodische Triller, denn der Nachsatz des wackeren Kastellans war ja ganz geeignet, die Heiterkeit der Dame zu erregen, und sie fragte:

      »Und wer ist diese gute Elvira?« – »Diese Elvira ist meine Frau, Miß Amy Señorita Lindsay.« – »Ach so! Und wollt Ihr mir nun wohl sagen, ob Dir allein hier seid, um mich abzuholen?« – »O nein, Lady Lindsay Doña! Meine gnädige Condesa ist da. Sie ist in einer der ersten Locandas abgestiegen und erwartet Euch dort zum Gruß.« – »So führt mich hin, Señor Alimpo.«

      Der Kastellan gab dem Kutscher einen Wink, sich des Gepäcks anzunehmen, und schritt in stolzer Haltung vor der Engländerin her, um ihr den Weg zu zeigen. Der gute Alimpo war sich bereits jetzt bewußt, daß diese »Miß Lady Amy Señorita Lindsay« seine ganze Verehrung erlangen werde. Sie war gar nicht so stolz wie so manche spanische Dame; ihr Lachen war süß wie das Gezirpe eines Heimchens, und ihre Stimme klang so eigentümlich voll und rein, als sei sie von einem großen Musikmeister partout dazu gestimmt worden, recht tief in alle Herzen zu dringen.

      Rosa stand am Fenster ihres Zimmer und sah die Freundin kommen. Sie eilte ihr entgegen. Draußen vor der Zimmertür trafen sie sich. Die Fremde schlug den Schleier zurück, und nun blickte Alimpo in ein so zauberisch mildes, blondes Mädchenangesicht, daß er ganz vergaß, sich zu entfernen, um nicht Zeuge des Bewillkommnungskusses zu sein. Erst ein fragender Blick aus dem dunklen Auge seiner Herrin machte ihn auf seine Unhöflichkeit aufmerksam. Er drehte sich also schleunigst um und kehrte nach dem Hausflur zurück, wo er auf den Kutscher stieß, der soeben unter der Last des Gepäcks dahergekeucht kam.

      »O heilige Madonna! War das ein Gesicht!« rief der Kastellan ganz enthusiastisch. »Und dieses Haar! Nein, so ein Haar! Wie Gold! Nein, noch viel goldener als Gold! Und dieser Kuß! Donnerwetter, ich wollte, den hätte ich bekommen an der Stelle der – hm! Ja! Was stehst du denn da und gaffst mich an? Schaffe Koffer und Schachteln nach dem Wagen und kümmere dich nicht um Dinge, für die du keinen Geschmack haben kannst.«

      Der gute Alimpo hatte erst jetzt bemerkt, daß der Rosselenker mit weit aufgerissenem Mund bereitstand, seine zarten Gefühlsgeheimnisse zu verschlingen. Er schleuderte ihm einen vollständig vernichtenden Blick zu und wandte sich, um in der Nähe des Zimmers seiner Herrin auf die Befehle der letzteren zu warten.

      Wer die beiden Mädchen jetzt hätte belauschen können, hätte wahrlich nicht gewußt, welchem von ihnen er den Preis der Schönheit zuerteilen sollte. Die Engländerin gehörte keineswegs in die Kategorie jener langen, dünnen, starkknochigen und langzähnigen Ladies, die den Kontinent unsicher zu machen pflegen. Sie hatte Schleier und Mantel abgelegt und stand nun da wie ein verkörpertes Märchenbild, wie eine Melusine, die geschaffen ist, ohne es selbst zu wissen alle Herzen gefangenzunehmen. Sie war eine Schönheit, an der sich der Pinsel des Malers und die Feder des Dichters vergebens versucht hätten.

      Die Begrüßung war vorüber und die nötigen ersten Fragen und Antworten ausgetauscht. Nun standen die jungen Damen am Fenster, in heiterem Geplauder das rege Leben musternd, das der Jahrmarktsmorgen vor ihren Augen entfaltete. Da erhob die Engländerin den Finger und sagte, hinauszeigend:

      »Sieh, Rosa, wer ist das?« – »Ah, ein Offizier! Ein Husar!« – »Kennst du ihn?« – »Nein. Es ist kein Spanier; der Uniform nach muß es ein Franzose sein.«

      Es war Mariano, der auf seinem Weg nach Rodriganda jetzt durch Pons kam. Wer ihn in der kleidsamen Husarentracht und in so stolzer, sicherer Haltung auf seinem feurigen Hengst sitzen sah, hätte nie vermutet, daß dieser junge Mann das Ziehkind einer Räuberbande sei. Ein als Diener verkleideter Brigant folgte ihm in vorgeschriebener Entfernung.

      Er ritt auf die Locanda zu, um sich und dem Pferd hier eine Erholung zu gönnen; aber gerade quer vor seiner Richtung stand ein ziemlich hoher Karren, auf dem der Besitzer desselben Apfelsinen verkaufte. Anstatt auszubiegen, nahm Mariano seinen Hengst empor und flog so graziös über den Karren hinweg, als sei dieser nur ein wenige Zoll hohes Hindernis gewesen.

      »Herrlich!« rief Rosa, in die Hände klatschend. – »Welch ein Reiter!« meinte auch Amy, während ihre Augen bewundernd auf dem Jüngling ruhten.

      Dieser musterte das Haus, in dem er einzukehren gedachte, und dabei schweifte sein Blick über das Fenster, an dem die beiden Mädchen standen. Sie sahen, wie er zusammenzuckte, als sei er auf das freudigste überrascht worden, sie sahen sogar, daß er ganz unwillkürlich den Zügel anzog, als ob er halten wollte, sich aber sofort zusammenraffte. Aber noch einen zweiten, blitzschnellen Blick warf er hinauf, und dann sprang er vom Pferd.

      »Hast du gesehen«, fragte Amy, deren Wangen sich gefärbt hatten, »daß er nach dir blickte?« – »Nach mir? O nein. Dieser Blick galt dir. Ich habe es ganz genau gesehen.« – »Das ist unmöglich!« lächelte die Engländerin, beinahe ein wenig befangen. »Du bist so schön, so stolz, auf dich muß jedes Auge fallen.« – »Weißt du, meine gute Amy, daß du noch viel schöner bist als ich? Du glaubst es nicht? Nun gut, so werde ich es dir beweisen.« – »Womit, Rosa? Du machst mich neugierig.« – »Durch einen Schiedsrichter.« – »Ach, das ist ja herrlich!« lachte die Engländerin. »Wer soll dieser Schiedsrichter sein? Doch nicht etwa dieser gute Señor Alimpo, der mich Miß Señorita Amy Doña Lady Lindsay nennt?« – »Nein, dieser nicht, meine Liebe. Unser Alimpo ist ein sehr treuer Diener, den ich deiner Freundlichkeit empfehle, aber für das schwierige Amt eines Schiedsrichters ist er nicht geschaffen, er hat ohne ›seine Elvira‹ kein Urteil. Aber wir haben jetzt jemand auf Schloß Rodriganda, der dir sagen wird, daß du schöner bist als ich.« – »Wer ist das?« – »Unser Arzt.« – »Ein Arzt? Ach, was versteht ein Arzt von Schönheit? Er hat seine Tinkturen, Mixturen und Salben. An ihnen übt er sein Urteil.«

      Amy sagte das mit einem so hübsch gelungenen, allerliebsten Rümpfen ihres feinen, zartbeflügelten Näschens, daß Rosa lachen mußte, dann aber schnell entgegnete:

      »Oh, ein Arzt braucht nicht stets an seine Salben zu denken; Doktor Sternau ist …« – »Sternau?« wurde sie von der Freundin unterbrochen. »Sternau ist ja ein


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