Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1. Karl May

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Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1 - Karl May


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Bahndamm war wirklich durchbrochen. Die Lokomotive war in den Riß hinabgestürzt und hatte sich jenseits desselben in die Erde hineingewühlt. Die vordersten Wagen waren ihr gefolgt die hinteren aber hatten nicht mit hinab gekonnt. Im Zusammenprall waren sie teils zertrümmert, teils umgeworfen worden, und nur die allerletzten standen noch aufrecht auf den Schienen.

      Der Zug war ein gemischter, und es war ein Glück, daß sich die Güterwagen vorn, die Personenwagen aber hinten befunden hatten.

      Die Passagiere, die in den unversehrten Waggons gesessen hatten, waren ausgestiegen, um den Stand der Dinge zu untersuchen. Sie hatten die Wagenlampen genommen und leuchteten über die Unglücksstätte hin. Jetzt kam der Wärter mit dem Jägerburschen dazu, auch der andere war bereits da.

      »Ist es schlimm?« fragte der erstere. – »Sehr. Drei Personenwagen zertrümmert zwei umgeworfen und zwei nebst dem Postwagen unversehrt«, antwortete der letztere. »Das andere liegt alles im Wasser.«

      Man suchte an Menschenleben zu retten, was zu retten war; aber das war nicht viel. Diejenigen, die in den zertrümmerten Wagen gesessen hatten, waren zermalmt worden, der Maschinist, der Heizer, die Bremser, sie waren tot. Alle, die sich in den umgestürzten Waggons befunden hatten, waren mehr oder weniger, meist aber schauderhaft verletzt. Man suchte ihre Körper in das Freie zu bringen. Zu dem, was im Wasser lag, konnte man nicht kommen, da die Flut zu reißend war, als daß Menschenkräfte hier etwas vermocht hätten.

      Da kam die Frau des Wärters und brachte Verbandszeug.

      »Spring zurück und gib das Zeichen, damit Hilfe kommt!« gebot ihr Mann.

      Auch der jenseitige Bahnwärter kam jetzt. Das Unglück war hart an seiner Grenze geschehen; er hatte sofort gewußt, woran er war, und seinerseits bereits das Signal nach Bingerbrück gegeben.

      Es wurde jetzt nicht gefragt, wer Schuld sei; an diese Frage zu denken, hatte kein Mensch die Zeit; man bemühte sich nur, zu retten und zu bergen, was möglich war.

      Ein junger Mann in der Livree eines Bedienten machte sich an einem der umgestürzten Waggons zu schaffen.

      »Hier ist es, mein Herr«, sagte er zu einem der unverletzten Passagiere, der mit ihm ein und dasselbe Kupee innegehabt hatte und ihm nun behilflich war. – »Ist es das richtige Kupee?« fragte dieser. – »Ja.« – »Das Fenster ist zertrümmert. Öffnen wir die Tür.«

      Sie taten es, und es ertönte ihnen ein erschütterndes Ächzen und Stöhnen entgegen. Der Bahnwärter trat mit seiner Laterne heran und leuchtete hinein.

      »Drei Passagiere!« sagte er. – »Alle tot?« rief der Diener. – »Nein. Sie hören ja das Ächzen.« – »Ich denke, es kommt aus dem Nachbarkupee. Da liegt mein Herr; heraus mit ihm.«

      Der Diener faßte eine der drei Personen behutsam an und hob sie heraus. Als er sie langgestreckt auf die Erde legte, sah man, daß der Verletzte sehr fein gekleidet war; aus diesem Umstand und dem weiteren, daß er einen Diener hatte und in einem Kupee erster Klasse fuhr, konnte man schließen, daß er ein Herr von Distinktion sei.

      »Und hier ist auch sein Koffer«, sagte der Diener, indem er ein kleines, feines Handköfferchen zum Vorschein brachte. – »Nun auch noch die beiden anderen«, mahnte der Wärter.

      Ludwig war hinzugetreten und half. Es stellte sich heraus, daß der eine von ihnen tot und der andere innerlich schwer verletzt war. Der Herr des Dieners befand sich in einer tiefen Ohnmacht, aus der er erst erwachte, als der Diener ihm die Glieder bewegte, um zu sehen, ob er verletzt sei. Er schlug die Augen auf und stieß einen Ruf des Schmerzes aus.

      »Oh!« sagte er. »Hier nicht!« – »Der Arm ist gebrochen«, meinte der Diener.

      Er probierte weiter, und es fand sich, daß sonst nichts verletzt sei.

      Mittlerweile war von den Nachbarstationen Hilfe angelangt Auch einige Ärzte waren gekommen. Als einer derselben den fremden Herrn untersuchte, erklärte er, daß der Arm zweimal gebrochen sei.

      »Wer ist der Herr?« fragte er.

      Der Fremde war während der Untersuchung in eine neue Ohnmacht gefallen. Der Diener antwortete:

      »Marchese d‘Acrozza, ein Italiener.« – »Wünschen Sie, daß ich für ihn sorge?« – »Ich bitte darum.« – »Sie sind sein Diener?« – »Ja.« – »Sehen Sie jene Lichter da drüben?«

      Der Arzt deutete in das Dunkel des Abends hinein; man erblickte aus weiter Ferne den Schein einiger Lichter.

      »Ja«, antwortete der Diener. – »Das ist das Dorf Genheim. Ich kenne den Lehrer dort Er wird den Herrn Marchese recht gern aufnehmen.« – »Wer soll ihn benachrichtigen?« – »Sie.« – »Ich weiß keinen Weg und bin dem Herrn vielleicht sehr nötig.« – »Ihr Herr braucht Sie jetzt nicht und wir anderen sind hier nötiger als Sie. Getrauen Sie sich, durch das Wasser zu kommen?« – »Weiter unten, ja.« – »So gehen Sie. Sie brauchen nur die Lichter fest im Auge zu behalten.«

      Gerard Mason, denn dieser war der Diener, glitt von der Böschung des Bahndamms hinab und schritt dann vorsichtig an dem sich hier weit ausbreitenden Wasser hin. Er kam nur langsam vorwärts, und daher war er hocherfreut als er Stimmen hörte, die sich ihm näherten. Er rief.

      »Holla!« antwortete es ihm. »Wer ruft?« – »Ein Fremder. Kommen Sie näher.«

      In kurzer Zeit standen mehrere Männer vor Gerard, die Decken und Tragbahren trugen.

      »Wir hörten ein Krachen und Prasseln«, sagte ihr Anführer. Der Zug ist verunglückt, wie wir vermuteten. Wir sind sofort aufgebrochen, und hinter uns kommen noch andere, sie sind aus Genheim.« – »Ah, das ist gut; dahin wollte ich.« – »Zu wem?« – »Zum Lehrer.« – »Das paßt; der bin ich.« – »Ah, das trifft sich glücklich. Einer der Ärzte, die sich an der Unglücksstätte befinden, sendet mich zu Ihnen. Mein Herr, der Marchese d‘Acrozza, gehört zu den Verunglückten, er hat einen Doppelbruch am Arm, und der Arzt meinte, daß Sie vielleicht die Güte haben würden, ihn bei sich aufzunehmen.« – »Das versteht sich ganz von selbst. Aber ein Marchese …?« – »Das ist er.« – »Wird er mit einem armen Dorflehrer vorliebnehmen?« – »Oh, gewiß.« – »Und Sie werden auch bei ihm sein?« – »Ich wünsche es.« – »Nun, so wollen wir sehen, ob sich Platz schaffen läßt. Kehren Sie also wieder um.«

      Der Lehrer schien ein sehr resoluter Mann zu sein. Er schritt voran und trat, als sie an der Unglücksstätte ankamen, zu dem Arzt, den er sogleich bemerkt hatte.

      »Da bin ich, Herr Doktor«, sagte er. – »Ah, so rasch!« – »Ich traf den Diener unterwegs.« – »Gut, kommen Sie, mir zu helfen!« – »Die Brüche einrichten?« – »Nein, nur einen Notverband anlegen. Sobald ich hier entbehrt werden kann, komme ich zu Ihnen nach Genheim, wo das andere dann besser geschehen kann.« – »Er ist nicht weiter verwundet?« – »Vielleicht noch eine Kontusion, die ich in der Eile nicht bemerkte.« – »So ist ja keine Gefahr.«

      Als sie zu Alfonzo traten, lag dieser wieder in einer Ohnmacht. Der Arzt schüttelte den Kopf und sagte:

      »Hm, ich scheine mich doch geirrt zu haben.« – »Wieso?« fragte der Lehrer. – »Er fällt aus einer Ohnmacht in die andere, es scheint also doch eine innerliche Verletzung vorzuliegen. Kommen Sie!«

      Die beiden Männer legten den Arm in Verband, wobei Alfonzo erwachte und Zeichen des Schmerzes gab.

      »Was fühlen Sie?« fragte der Arzt. – »Im Arm sowie auch im Kopf Schmerz, ein schreckliches Drücken und Zusammenpressen.« – »Hm! Es müssen während der Nacht fleißig Umschläge gemacht werden, kalt natürlich.« – »Wollen Sie sich mir anvertrauen, Herr Marchese?« fragte der Lehrer. – »Wer sind Sie?« – »Ich bin der Lehrer aus Genheim.« – »Werde ich dort einen Arzt haben?« – »Ja, diesen Herrn hier.« – »So nehmen Sie mich mit, ich werde es Ihnen lohnen.«

      Natürlich war diese Unterhaltung von Seiten Alfonzos nicht in deutscher Sprache geführt worden, sondern Gerard Mason machte den Dolmetscher.

      Der Verletzte wurde mittels Decken auf eine der Tragen gebettet. Gerard legte auch das Köfferchen darauf, griff dann mit einem


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