Winnetou 1. Karl May

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Winnetou 1 - Karl May


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war, gehorchte es dem Zügel willig und so feinfühlig wie ein zugerittenes Pferd.

      »Es hat schon einen Herrn gehabt,« meinte der Kleine, »der ein guter Reiter gewesen sein muß; das merke ich schon. Wird ihm davongelaufen sein. Wißt Ihr, wie ich es nennen werde?«

      »Nun?«

      »Mary. Habe schon früher einmal ein Maultier geritten, welches Mary hieß, und brauche mir nicht die Mühe zu geben, einen andern Namen auszusinnen.«

      »Also das Maultier Mary und das Gewehr Liddy!«

      »Ja. Sind zwei allerliebste Namen. Nicht? Und nun muß ich Euch bitten, mir einen großen Gefallen zu tun.«

      »Gern. Welchen?«

      »Sprecht nicht über das, was hier geschehen ist! Werde es Euch hoch anrechnen.«

      »Unsinn! Etwas, was sich ganz von selbst versteht, braucht gar nicht angerechnet zu werden.«

      »Dieses doch. Möchte die Bande da oben im Lager lachen hören, wenn sie erführe, wie Sam Hawkens zu seiner neuen, holden Mary gekommen ist! Würde ein Gaudium für sie sein, ein großes Gaudium. Wenn Ihr den Mund haltet, werde ich«

      »Bitte, seid still!« unterbrach ich ihn. »Es ist gar nicht notwendig, ein Wort darüber zu verlieren. Ihr seid mein Lehrer und mein Freund. Mehr brauch ich doch nicht zu sagen.«

      Da wurden seine kleinen, listigen Aeuglein feucht, und er rief begeistert aus:

      »Ja, Euer Freund bin ich, Sir, und wenn ich wüßte, daß Ihr mir auch ein klein wenig Liebe schenken wolltet, so würde das für mein altes Herz eine große, aufrichtige Freude und Wonne sein.«

      Ich reichte ihm die Hand und antwortete:

      »Diese Freude kann ich Euch machen, lieber Sam. Ihr könnt versichert sein, daß ich Euch lieb habe, so lieb, wie wie na, so, wie man ungefähr einen recht guten, braven und ehrlichen Onkel liebt. Ist Euch das genug?«

      »Vollauf, Sir, vollauf! Ich bin so entzückt darüber, daß ich Euch dafür, womöglich gleich hier auf der Stelle, eine recht große Gegenfreude bereiten möchte. Sagt mir, was ich tun soll! Soll ich soll ich zum Beispiel hier diese neue Mary vor Euern Augen mit Haut und Haar auffressen? Oder soll ich, falls Euch das lieber ist, mich selbst marinieren, frikassieren und verschlingen? Oder soll ich«

      »Haltet ein!« lachte ich. »In jedem dieser beiden Fälle würde ich Euch verlieren, denn in dem einen würdet Ihr zerplatzen und in dem andern an einer bösen Indigestion zugrunde gehen, da Ihr doch Eure Perücke mit verschlingen müßtet, die Euer Magen doch unmöglich verdauen könnte. Ihr habt mir schon genug Gefallen getan und werdet mir wohl auch fernerhin noch manche Liebe zu erweisen haben. Laßt also vorderhand die Mary und auch Euch selbst am Leben, und macht, daß wir bald wieder in das Lager kommen. Ich möchte arbeiten.«

      »Arbeiten! Das habt Ihr doch auch hier getan, denn wenn das keine Arbeit war, so weiß ich nicht, was ich Arbeit nennen soll.«

      Ich band Dick Stones Pferd mit dem Lasso an das meinige, dann ritten wir fort. Die Mustangs waren indessen natürlich schon längst entwichen; das Maultier gehorchte seinem Reiter willig, und Sam rief unterwegs mehreremal freudig aus:

      »Sie hat Schule, diese Mary, eine sehr gute Schule! Ich fühle und bemerke bei jedem Schritte immer mehr, daß ich von heut an vortrefflich beritten sein werde. Sie besinnt sich jetzt auf das, was sie früher gelernt und dann unter den Mustangs wieder vergessen hat. Hoffentlich hat sie nicht bloß Temperament, sondern auch Charakter.«

      »Wenn sie ihn nicht hat, so könnt Ihr ihn ihr noch beibringen. Sie ist noch nicht zu alt dazu.«

      »Wie alt denkt Ihr, daß sie ist?«

      »Fünf Jahre, mehr nicht.«

      »Das ist auch meine Ansicht. Werde sie nachher genau untersuchen, ob dies richtig ist. Habe das Tier Euch zu verdanken, nur Euch. Waren zwei böse Tage für mich, sehr böse, für Euch aber sehr ehrenvoll. Hättet Ihr geglaubt, die Bison- und auch die Mustangjagd so schnell hintereinander kennen zu lernen?«

      »Warum nicht? Man muß hier im Westen auf alles gefaßt sein. Ich hoffe auch noch andere Jagden kennen zu lernen.«

      »Hm, ja. Will wünschen, daß Ihr dann ebenso davon kommt wie gestern und heut. Gestern besonders hing Euer Leben an einem Haare. Habt zuviel gewagt. Ihr dürft nie vergessen, daß Ihr ein Greenhorn seid. Läßt dieser Mensch den Büffel ruhig an sich kommen und schießt ihn dann in die Augen! Hat man je so etwas erlebt! Ihr seid noch unerfahren und habt die Bisons unterschätzt. Nehmt Euch in Zukunft mehr in acht, und traut Euch nicht zuviel zu! Die Jagd auf den Bison ist höchst gefährlich. Es gibt nur eine einzige, welche noch gefährlicher ist.«

      »Welche?«

      »Auf den Bären.«

      »Da meint Ihr doch nicht etwa den schwarzen Bären mit gelber Schnauze?«

      »Den Baribal? Fällt mir nicht ein! Der ist ein sehr gutmütiges und friedfertiges Viehzeug, welchen man Wäscheplätten und Filetstricken lehren könnte. Nein, ich meine den Grizzly, den grauen Bären der Felsengebirge. Da Ihr von allem gelesen habt, so wohl auch von ihm?«

      »Ja.«

      »So seid froh, wenn Ihr keinen zu sehen bekommt. Wenn er sich aufrichtet, ist er über zwei Fuß länger als Ihr; mit einem einzigen Bisse verwandelt er Euern Kopf in Knochenbrei, und wenn er einmal angegriffen und in Wut versetzt worden ist, so ruht er nicht, bis er seinen Feind zerrissen und vernichtet hat.«

      »Oder dieser ihn!«

      »Oho! Seht, da tritt schon wieder Euer großer Leichtsinn zutage! Ihr redet von dem mächtigen, unüberwindlichen grauen Bären mit einer Geringschätzung, als ob es sich um einen kleinen, ungefährlichen Waschbären handle.«

      »Das nicht. Es fällt mir gar nicht ein, ihn gering zu schätzen; aber unüberwindlich, wie Ihr sagt, ist er jedenfalls nicht. Kein Raubtier ist unüberwindlich, auch der Grizzly nicht.«

      »Das habt Ihr wohl auch gelesen?«

      »Ja.«

      »Hm! Ich glaube, die Bücher, welche Ihr gelesen habt, sind an Euerm Leichtsinn schuld. Ihr seid doch sonst ein ganz verständiger Kerl, wenn ich mich nicht irre. Ihr wäret imstande und gingt auf einen grauen Bären grad so los wie gestern auf die Bisons.«

      »Wenn ich nicht anders könnte ja.«

      »Nicht anders könnte! Unsinn! Was meint Ihr mit diesen Worten? Jeder Mensch kann anders, wenn er will!«

      »Das heißt, er kann ausreißen, wenn er feig ist. Das meint Ihr doch?«

      »Ja; aber von feig sein ist dabei keine Rede. Es ist keine Feigheit, den Grizzly zu fliehen; im Gegenteile, es ist geradezu Selbstmord, der reinste Selbstmord, ihn anzugreifen.«

      »Da gehen unsere Ansichten auseinander. Wenn er mich überrascht und mir keine Zeit zur Flucht läßt, muß ich mich wehren. Wenn er sich über einen Kameraden von mir hermacht, muß ich diesem zu Hilfe kommen. Das sind zwei Fälle, in denen ich nicht fliehen kann oder darf. Und außerdem kann ich es mir ganz gut denken, daß ein kühner Westmann es mit dem grauen Bären auch ohne Not aufnimmt, um seinen Mut zu betätigen, ein so gefährliches Raubtier unschädlich zu machen und nebenbei sich dann die Schinken und die Tatzen ausgezeichnet schmecken zu lassen.«

      »Ihr seid ein ganz unverbesserlicher Mensch, und es wird mir himmelangst um Euch. Dankt lieber Gott, wenn Ihr diese Schinken und Tatzen niemals kennen lernt! Dabei will ich freilich nicht verhehlen, daß es keine größere Delikatesse gibt, soweit die Erde reicht; sie gehen sogar noch weit über die feinste Büffellende.«

      »Wahrscheinlich braucht Ihr jetzt noch nicht um mich besorgt zu sein. Oder sollte es auch hier in dieser Gegend graue Bären geben?«

      »Warum nicht? Der Grizzly kommt im ganzen Gebirge vor; er folgt den Flüssen und geht zuweilen sogar weit in die Prärie hinein. Wehe dem, auf den er trifft! Reden wir nicht mehr davon!«

      Er ahnte ebensowenig wie ich, daß schon am nächsten Tage dieses Thema wieder und noch ganz anders als heut zur Sprache kommen und dieses so gefürchtete Tier uns in den Weg treten werde. Es


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