Neue Gedichte. Rainer Maria Rilke

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Neue Gedichte - Rainer Maria Rilke


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      das ewig Kommende das kreist.

      Die tiefen Himmel stehn ihm voll Gestalten,

      und jede kann ihm rufen: komm, erkenn —.

      Gieb seinen leichten Händen nichts zu halten

      aus deinem Lastenden. Sie kämen denn

      bei Nacht zu dir, dich ringender zu prüfen,

      und gingen wie Erzürnte durch das Haus

      und griffen dich als ob sie dich erschüfen

      und brächen dich aus deiner Form heraus.

      Römische Sarkophage

      Was aber hindert uns zu glauben, daß

      (so wie wir hingestellt sind und verteilt)

      nicht eine kleine Zeit nur Drang und Haß

      und dies Verwirrende in uns verweilt,

      wie einst in dem verzierten Sarkophag

      bei Ringen, Götterbildern, Gläsern, Bändern,

      in langsam sich verzehrenden Gewändern

      ein langsam Aufgelöstes lag —

      bis es die unbekannten Munde schluckten,

      die niemals reden. (Wo besteht und denkt

      ein Hirn, um ihrer einst sich zu bedienen?)

      Da wurde von den alten Aquädukten

      ewiges Wasser in sie eingelenkt —:

      das spiegelt jetzt und geht und glänzt in ihnen.

      Der Schwan

      Diese Mühsal, durch noch Ungetanes

      schwer und wie gebunden hinzugehn,

      gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.

      Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen

      jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,

      seinem ängstlichen Sich-Niederlassen —:

      in die Wasser, die ihn sanft empfangen

      und die sich, wie glücklich und vergangen,

      unter ihm zurückziehn, Flut um Flut;

      während er unendlich still und sicher

      immer mündiger und königlicher

      und gelassener zu ziehn geruht.

      Kindheit

      Es wäre gut viel nachzudenken, um

      von so Verlornem etwas auszusagen,

      von jenen langen Kindheit-Nachmittagen,

      die so nie wiederkamen — und warum?

      Noch mahnt es uns —: vielleicht in einem Regnen,

      aber wir wissen nicht mehr was das soll;

      nie wieder war das Leben von Begegnen,

      von Wiedersehn und Weitergehn so voll

      wie damals, da uns nichts geschah als nur

      was einem Ding geschieht und einem Tiere:

      da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre

      und wurden bis zum Rande voll Figur.

      Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt

      und so mit großen Fernen überladen

      und wie von weit berufen und berührt

      und langsam wie ein langer neuer Faden

      in jene Bilder-Folgen eingeführt,

      in welchen nun zu dauern uns verwirrt.

      Der Dichter

      Du entfernst dich von mir, du Stunde.

      Wunden schlägt mir dein Flügelschlag.

      Allein: was soll ich mit meinem Munde?

      mit meiner Nacht? mit meinem Tag?

      Ich habe keine Geliebte, kein Haus,

      keine Stelle auf der ich lebe

      Alle Dinge, an die ich mich gebe,

      werden reich und geben mich aus.

      Die Spitze

I

      Menschlichkeit: Namen schwankender Besitze,

      noch unbestätigter Bestand von Glück:

      ist das unmenschlich, daß zu dieser Spitze,

      zu diesem kleinen dichten Spitzenstück

      zwei Augen wurden? — Willst du sie zurück?

      Du Langvergangene und schließlich Blinde,

      ist deine Seligkeit in diesem Ding,

      zu welcher hin, wie zwischen Stamm und Rinde,

      dein großes Fühlen, kleinverwandelt, ging?

      Durch einen Riß im Schicksal, eine Lücke

      entzogst du deine Seele deiner Zeit;

      und sie ist so in diesem lichten Stücke,

      daß es mich lächeln macht vor Nützlichkeit.

II

      Und wenn uns eines Tages dieses Tun

      und was an uns geschieht gering erschiene

      und uns so fremd, als ob es nicht verdiene,

      daß wir so mühsam aus den Kinderschuhn

      um seinetwillen wachsen —: Ob die Bahn

      vergilbter Spitze, diese dichtgefügte

      blumige Spitzenbahn, dann nicht genügte,

      uns hier zu halten? Sieh: sie ward getan.

      Ein Leben ward vielleicht verschmäht, wer weiß?

      Ein Glück war da und wurde hingegeben,

      und endlich wurde doch, um jeden Preis,

      dies Ding daraus, nicht leichter als das Leben

      und doch vollendet und so schön als sei‘s

      nicht mehr zu früh, zu lächeln und zu schweben.

      Ein Frauen-Schicksal

      So wie der König auf der Jagd ein Glas

      ergreift, daraus zu trinken, irgendeines, —

      und wie hernach der welcher es besaß

      es fortstellt und verwahrt als wär es keines:

      so hob vielleicht das Schicksal, durstig auch,

      bisweilen Eine an den Mund und trank,

      die dann ein kleines Leben, viel zu bang

      sie zu zerbrechen, abseits vom


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