Von Bagdad nach Stambul. Karl May

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Von Bagdad nach Stambul - Karl May


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später hörten wir einen Schrei, und dann erscholl jener kurze Laut, welcher mir sagte, daß Dojan einen Menschen unter sich liegen habe.

      »Halef, komm!«

      Wir sprangen von den Pferden, warfen den Andern die Zügel zu und folgten dem Hunde. Wahrhaftig, neben einem stacheligen, heckenrosenartigen Busche lag ein Mann, und der Hund stand über ihm und hatte seine Zähne an dessen Gurgel.

      »Dojan, geri!«

      Der Hund ließ ab, und der Mann erhob sich.

      »Was tust du hier?«

      Er blickte mich an, als ob er sich die Antwort erst überlegen wolle, gab sie aber nicht, sondern tat einen plötzlichen Seitensprung und verschwand.

      Auf meinen Wink setzte der Hund dem Fremden nach. Keine Minute später hörten wir wieder den Angstschrei des Mannes und den bezeichnenden Laut des Hundes. Neben der Stelle, wo der Mann gelegen hatte, hing seine Flinte an einem abgebrochenen Zweige. Ich winkte Halef, sie zu nehmen, und dann drangen wir weiter vor. Wir fanden Mensch und Hund genau wieder in der vorherigen Lage. Der erstere wagte gar nicht, sich zu rühren und von dem Messer Gebrauch zu machen, welches er im Gürtel hatte.

      »Ich werde dir noch einmal erlauben, dich zu erheben, aber ich sage dir: wenn du abermals zu entfliehen suchst, so wird der Hund dich zerreißen,« warnte ich ihn.

      Dann rief ich Dojan abermals zurück. Der Fremde stand auf und blieb in demütiger Haltung vor mir stehen.

      »Wer bist du?«

      »Ich bin ein Bewohner von Soota,« antwortete er.

      »Ein Bebbeh?«

      »Nein, Herr. Wir sind Feinde der Bebbeh, denn ich bin ein Dschiaf.«

      »Woher kommst du?«

      »Aus Achmed Kulwan.«

      »Das ist weit. Was hast du dort getan?«

      »Ich sorge für die Herden des dortigen Kiaja.«

      »Wohin willst du?«

      »Nach Soota zu meinen Freunden. Die Dschiaf feiern ein großes Fest, welches wir mitmachen wollen.«

      Das stimmte.

      »Haben die Dschiaf auch Gäste bei diesem Feste?«

      »Ich habe gehört,« antwortete er, »daß Khan Heider Mirlam mit seinen Bejat kommen will.«

      Auch das stimmte. Dieser Mann schien kein Lügner zu sein.

      »Warum versteckst du dich vor uns?«

      »Herr, muß ein einzelner Mann sich nicht verstecken, wenn er sechs Reiter kommen sieht? Er weiß hier in den Bergen doch niemals, ob es Freunde oder Feinde sind.«

      »Aber warum versuchtest du, mir zu entfliehen?«

      »Weil ich dachte, du seist ein Feind, denn du hetztest deinen Hund auf mich.«

      »Bist du wirklich ganz allein hier?«

      »Ganz allein; das kannst du mir beim Barte des Propheten glauben!«

      »Ich will es dir glauben. Gehe voran!«

      Wir kehrten mit ihm zu den Gefährten zurück, wo er seine Aussage wiederholen mußte. Sie stimmten mit mir darin überein, daß der Mann ungefährlich sei. Er erhielt seine Flinte wieder und durfte gehen. Nachdem er sich bedankt und den Segen Allahs auf unsere Häupter herabgewünscht hatte, setzten wir den unterbrochenen Ritt weiter fort.

      Ich hatte bemerkt, daß Allo den Fremden recht nachdenklich betrachtet hatte; auch jetzt saß er sinnend auf dem Rappen, und eben wollte ich ihn nach dem Gegenstande seines Grübelns fragen, als er, wie sich endlich besinnend, aufblickte und schnell an meine Seite kam.

      »Chodih, dieser Mann hat euch belogen! Ich kannte ihn, aber ich wußte nicht mehr, wer er war. Jetzt nun habe ich mich besonnen. Er ist kein Dschiaf, sondern ein Bebbeh. Er muß ein Bruder oder Verwandter des Scheik Gasahl Gaboya sein. Ich habe sie beide in Nweizgieh gesehen.«

      »Wenn dies wahr wäre! Irrst du dich nicht?«

      »Es ist möglich, aber ich meine, recht gesehen zu haben.«

      Ich teilte den andern die Vermutung des Köhlers mit und fügte hinzu:

      »Fast möchte ich diesem Manne nachreiten!«

      Mohammed Emin schüttelte den Kopf.

      »Warum willst du die Zeit verschwenden und wieder umkehren? Wenn dieser Mann wirklich ein Bebbeh wäre, wie wollte er wissen, daß Heider Mirlam von den Dschiaf eingeladen ist? Solche Dinge werden vor dem Feinde stets geheim gehalten.«

      »Und,« fügte Amad el Ghandur hinzu, »wie könnte uns dieser Mann Schaden bringen? Er geht nach Norden, und wir reiten nach Süden. Man würde uns nicht einholen können, selbst wenn er in Banna von uns erzählte.«

      Diese Gründe waren allerdings sehr triftig, und daher gab ich es auf, wieder umzukehren. Nur der Engländer schien nicht befriedigt zu sein.

      »Warum den Kerl laufen lassen?« zürnte Sir David, als ich ihm alles erklärt hatte. »Hätte den Kerl erschossen. Ist nicht schade darum. Jeder Kurde ist ein Spitzbube! Yes!«

      »War der Bey von Gumri auch einer?«

      »Hm! Ja!«

      »Sir, Ihr seid sehr undankbar!«

      »Geht Euch nichts an! Dieser gute Bey hätte uns nicht so gut empfangen, wenn er nicht durch Marah Durimeh von uns gehört hätte. Gutes Weib, einziges Weib, diese alte Grand-mother[22]

      Durch den Namen Marah Durimeh wurden Erinnerungen in mir erweckt, welche mich für den Augenblick die Gegenwart vergessen ließen. Ich gab mich denselben schweigend hin, bis der Engländer daran mahnte, daß es Zeit sei, die Mittagsrast zu halten.

      Er hatte recht. Es war heute trotz des schlechten Weges eine tüchtige Strecke zurückgelegt worden, und so konnten wir uns und den Pferden die verdiente Ruhe gönnen. Wir fanden einen Platz, welcher ganz dazu geeignet war; da stiegen wir ab und legten uns, die Wache abgerechnet, zu einem kurzen Schlummer hin.

      Zweites Kapitel: Ein Ueberfall

      Als wir geweckt wurden, hatten sich die Tiere wieder erholt. Ich beschloß, einen Versuch zu machen, ob das neu erworbene Pferd den Köhler nun aufsitzen lasse. Er gelang. Das Tier mochte gemerkt haben, daß es bei uns nicht gequält werde. So konnte ich meinen Rih wieder besteigen, und dies war ein Glück, wie ich bald einsehen sollte.

      Die vorher so kahlen Höhen bewaldeten sich immer mehr, je weiter wir nach Süden kamen; es gab mehr Wasser hier. Infolgedessen wurde unser Ritt beschwerlicher. Von einem gebahnten Wege war keine Rede. Bald mußten wir eine schroffe Höhe erklettern, bald drüben wieder hinuntersteigen; bald ging es zwischen Felsen hindurch, bald durch sumpfiges Land oder über halb verfaulte Bäume hinweg. So gelangten wir am Nachmittag in ein schmales Tal, das nur in seiner Mitte einen wiesenähnlichen Streifen zeigte, hüben und drüben aber mit üppigem Baumwuchse bestanden war. In der Ferne erhob sich in bläulicher Färbung ein großer Berg, der uns mit seinen Vorhügeln den Weg zu verlegen schien.

      »Kommen wir dort vorüber?« fragte ich Allo.

      »Ja, Herr. Links gehen wir an seinem Fuße hin.«

      »Was sagt der Mann?« fragte Lindsay.

      »Daß unser Weg dort am linken Fuße des Berges vorüber gehe.«

      »Brauchen wir nicht zu wissen!« brummte er mürrisch.

      Er sollte sehr bald einsehen, daß diese Bemerkung des Führers für ihn von der größten Wichtigkeit gewesen war; denn kaum öffnete ich die Lippen, um eine Entgegnung auszusprechen, so krachten von beiden Seiten viele Schüsse, und zu gleicher Zeit sprengten mehr als fünfzig Reiter rechts und links unter den Bäumen hervor, um uns zu umzingeln.

      Das war eine fürchterliche Ueberraschung! Die sämtlichen Pferde meiner Gefährten waren getroffen und nur das meinige nicht. Ich hatte dies, wie ich später erfuhr, nicht dem Zufalle zu verdanken. Die Reiter suchten sich von den Bügeln zu befreien und zu ihren Waffen zu kommen.


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<p>22</p>

Großmutter.