Das höllische Automobil: Novellen. Otto Julius Bierbaum
Читать онлайн книгу.Pfarrer, also gewöhnt war, seinen Blick immer aufs Höchste zu richten hat mir mehr als einmal beteuert, daß Rumbo alle seine Begriffe von Länge und Breite übertroffen habe. Übrigens ist es dieser mein Onkel, der mir diese Geschichte erzählt hat, was zu bemerken ich nicht zu ermangeln will, weil man sonst denken könnte, sie hätte keine Moral. Die Wahrheit ist, daß sie mehr Moral hat, als selbst der aufmerksamste Zuhörer beim ersten Male merken kann. Man muß sie sich also ein paarmal erzählen lassen. Es verlohnt sich.
Ich selbst habe sie sehr oft gehört, nämlich immer, wenn mein Onkel meinen Vater zu besuchen kam, um, wie er sagte, ”nach dem Rechten zu sehen.“ Es scheint aber, daß das Rechte sich bei uns im Keller aufhielt. Denn dorthin begaben sich bei solcher Gelegenheit die beiden Brüder sogleich, wenn der ältere beim jüngeren zu Besuch angekommen war. – Dies nebenbei und ohne eigentliche Beziehung zu Rumbo.
Der war also nach der Überlieferung meines Onkels ein übergewaltiger Geselle. – Ich wünschte sehr, seine Größe in Metern angeben zu können, aber in dieser Hinsicht hat es mein Onkel an Exaktheit fehlen lassen. Statt einfach zu sagen: so und soviel Meter oder meinetwegen bayerische Ruten war er lang, liebte er es, die Ausdehnung des Riesen durch Vergleiche oder Bilder anzudeuten, wobei es mir nicht entging, daß dabei nicht immer das gleiche herauskam. Machte ich ihn darauf aufmerksam, so pflegte er zu sagen: ”Mein lieber Junge, bei ganz großen Gegenständen irrt sich selbst die Bibel. Für das, was das gewohnte Maß maßlos überschreitet, haben wir Menschen nicht einmal die Fähigkeit, in Bildern ordentliche Maßstäbe zu finden. Kehre dich nicht daran, wenn ich dir einmal sage: Rumbos Beine waren so dick und lang wie die Türme der Frauenkirche zu München, und ein andermal: Rumbos Nasenlöcher waren so breit und lang wie der Tunnel durch den St. Gotthard. Das stimmt freilich nicht; aber aufs Stimmen kommts auch nicht an, wo sichs um Riesen handelt. Sei froh, zu wissen, und laß es dir genügen, daß Rumbo auf alle Fälle erstaunlich groß war; – wenn du Lust hast, seiner Größe noch ein paar Kilometer hinzuzusetzen, so tu dir keinen Zwang an. Meinetwegen kannst du ihn dir auch ein bißchen kleiner vorstellen, wenn er dir dadurch näher kommt, aber, versteht sich, immer noch so riesig, daß du dich selber darüber wundern mußt. – Darauf kommt es an.“
Ich empfehle euch, es auch so zu halten.
Da Rumbo nicht unter Menschen wohnen konnte, lebte er ständig auf dem Lande, und zwar in der Nähe der Stadt Knödelimkraut, die sich einer sehr waldigen Umgebung erfreut. Dort war aber auch wirklich ein Mordstrum von einem Walde, der für ihn paßte, als wenn er ihm angemessen worden wäre. Tannen wuchsen darin, so dick, daß ein Mensch, der um eine hätte herumgehen wollen, dazu eine gute Stunde gebraucht haben würde. (Wirklich wahr!) Er hätte aber gar nicht drum herumgehen können, weil die Wurzeln dieser Bäume wie Gebirge über die Erde hervorstanden, und weil das Moos, das auf ihnen wuchs, selber wieder so hoch und dicht war, wie das Gebüsch in einem gewöhnlichen Walde.
Für Rumbo aber war der Wald eben darum gerade recht; und er verließ ihn nur einmal in der Woche, nämlich am Sonnabend, wo er sich seine Mahlzeit holen mußte. Denn er aß nur einmal in der Woche, am Sonntag. Das kam daher, weil für ihn eine Woche so viel war, wie für uns ein Tag. (Inwiefern? – das wußte sogar mein Onkel nicht zu erklären, dem doch selbst in der Offenbarung Johannis keine Zeile dunkel war. – Ihr tut also gut, euch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was zu unterlassen übrigens auch anderen Problemen gegenüber ratsam erscheint, da ein Kopf, auch wenn er hohl ist, nicht eigentlich die Bestimmung hat, zerbrochen zu werden. Und eure Köpfe, meine Lieben, sind überdies nicht hohl, – wie würdet ihr sonst meine Zuhörer sein?)
In der Hauptsache bestand seine Mahlzeit aus Gemüse. Birkenbäume waren für ihn Spargel, Eichenbäume Spinat, aus jungen Tannen machte er sich Sauerampferbrei. Kuchen und andere süße Speisen konnte er sich nicht verschaffen, außer wenn er gerade einmal bei einem Bienenzüchter vorbeikam. Da fraß er dann gleich sämtliche Bienenstöcke mit dem Honig, aber auch mit den Bienen auf, und wenn ihn die Bienen im Munde und im Magen stachen, sagte er: ”Ei, das prickelt recht angenehm.“ Sonst bestand seine Nachspeise immer aus einem Menschen, und er meinte, das Menschenblut sei süßer als aller Honig; nur schade, daß man nicht viel davon vertragen könne, weil es dusselig mache. Soviel von seiner Speisekarte.
Da Rumbo dumm war, war er auch faul, und so kam es, daß er meistens der Länge lang auf dem Boden lag und schlief.
Wie er nun einmal so da lümmelte, fühlte er ein Jucken in seiner Nase und mußte niesen; – hatzi! flog ein Mensch aus seinem Nasenloch und mitten auf die ganz mit zottigen Haaren bedeckte Brust.
”Hahaha!“ lachte der Mensch; ”da bin ich aber mal schön weich gefallen.“
”Was! Du lachst noch?“ brüllte Rumbo, ”dich werde ich übermorgen fressen.“
”Mich?“ rief der Mensch, – ”dazu bist du ja viel zu dumm. Ehe du mich ergreifst, bin ich schon ganz wo anders.“
Und richtig, wie Rumbo nach ihm fassen wollte, saß der Mensch schon in seinem linken Ohre und schrie hinein: ”Du großer Esel!“
Rumbo begriff, daß das eine Majestätsbeleidigung war und wollte ihn sich mit seinem kleinen Finger (Klein! – Du lieber Gott! Er hatte die Ausdehnung von Frau Klara Ziegler!) aus dem Ohre trillern, aber da war der Mensch schon lange weg. Und wo saß er? Im Winkel des linken Auges und kitzelte den Riesen.
”Geh weg!“ schrie Rumbo, ”das kann ich nicht leiden.“ (Es war ihm, wie wenn uns eine Mück ins Auge gekommen ist.)
Der Mensch aber sagte: ”Nicht eher, als bis du mir versprichst, mich in Ruhe zu lassen.“
”Ja doch, ja doch,“ brüllte der Riese, ”mach nur, daß du aus meinem Auge 'rauskommst. Das ist zu widerwärtig.“
”Siehst du wohl?“ sagte der Mensch, ”was Kleines kann auch unangenehm werden“, und er setzte sich auf eine Warze, die sich wie ein mit Gras bewachsener Hügel, über und über mit Haaren bedeckt, auf des Riesen Nasenspitze erhob.
”Das ist ein angenehmer Aussichtspunkt,“ sagte er, wie er dort saß, indem er vergnüglich mit den Beinen baumelte und sich eine Zigarre anzündete. ”Ich habe zwei Seen vor mir, die von Tannen umgeben sind, und dahinter ist ein Gebirge mit vielen Schluchten, und hoch oben ein Wald von roten Bäumen. Diese Landschaft verdient einen Stern im Bädeker; ich werde hier ein Aktienhotel gründen.“
”Na ja: Meine Augen, meine Stirne und mein roter Haarschopf,“ sagte der Riese geschmeichelt; ”aber was ist dir denn eingefallen, daß du in meine Nase gekrochen bist? Dort zieht es doch?!“
”Eben darum, es ist infam heiß heute und ich dachte es mir gleich, daß in diesem Blasebalgfang ein guter Wind ginge“, antwortete der Mensch.
”Ja, hast du denn keine Furcht?“
”Vor wem denn?“
”Na, vor mir!“
”Vor dir? Dazu bist du mir zu dumm.“
Da merkte der Riese, daß dieser Mensch, wenn nicht gar ein Genie, so doch ganz gewiß ein brauchbares Talent war, und er sprach:
”Du gefällst mir, Mensch, du kannst als Gehilfe bei mir eintreten. Wie heißt du denn?“
”Frechdachs,“ antwortete der Mensch.
”Das ist ein schöner und passender Name für einen Menschen von dieser Begabung,“ meinte der Riese; ”also, willst du?“
”Meinetwegen,“ sagte Frechdachs, ”wenn es nur was Ordentliches zu tun gibt und nicht so gewöhnliche Hantierungen wie in der Stadt. Dort haben sie nichts mit mir anfangen können und wollten mich deshalb ins Gefängnis sperren. Ich bin aber ausgerissen.“
”Na, dann paßt du ja famos zu mir, Frechdachs!“ sagte Rumbo. ”Du sollst dich nicht zu beklagen haben. Bei mir gibt's nur solche Sachen zu tun, die in der Stadt verboten sind.“
”Das kann ich mir denken,“ sagte Frechdachs, ”denn du selber würdest in der Stadt verboten werden, wenn sie dich verbieten könnten. – Aber sag mal, wozu brauchst du denn einen Gehilfen, du großer Schuft und Schlagtot? Ein Kerl, wie du, braucht ja bloß irgendwo hinzufallen, und gleich liegt rechts und links von ihm, was er braucht.“
”Das