Aus dem Matrosenleben. Gerstäcker Friedrich

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Aus dem Matrosenleben - Gerstäcker Friedrich


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gebrauchen, die Straße oder alle öffentlichen Häuser zu vermeiden. Von vielen anderen Schiffen war ebenfalls die Mannschaft fortgelaufen, und die ganze Wasserpolizei sollte an diesem Abend auf den Beinen sein. Die beiden Steuerleute des Boreas hatten sich ebenfalls erboten mit den Steuerleuten noch zweier anderen Schiffe, je zwei mit einem Polizeidiener zu gehen, um, falls sie einen der Ihrigen treffen sollten, ihn gleich zu kennen und festhalten zu können.

      Um sieben Uhr setzte sich der ganze Zug in Bewegung, zerstreute sich aber bald nach verschiedenen Richtungen hin, um mehrere Stadttheile auf einmal durchstreifen zu können, und man bestimmte nun einen Platz am entferntesten Ende der Stadt, wo man sich um 12 Uhr Nachts treffen und die gemachten Beobachtungen mittheilen wollte. Bis ein Uhr Morgens ist es auf den Straßen stets lebendig.

      Der erste Mate vom Boreas, der zweite von einer anderen englischen Barke und ein Polizeidiener nahmen den oberen Theil der Stadt Georgestreet, Pittstreet und was dort in der Nähe lag, obgleich in Georgestreet, als der Hauptstraße der Stadt, wohl kaum einer der Weggelaufenen anzutreffen sein mochte. Sie wagten sich schon nicht in diesen Stadttheil, wo eine so zahlreiche Menschenmenge fortwährend hin- und wiederströmte, und zwischen diesen leicht jemand sein konnte der sie kannte und den Händen der überall postirten Constabler übergab. Nichtsdestoweniger gingen die drei Männer Georgestreet hinauf und bogen dann oben links ab, durch Liverpoolstreet in Pittstreet hinein, vor allen Dingen einmal das »goldene Kreuz«, was ihnen als der frühere Hauptaufenthaltsort der Leute des Boreas beschrieben war, zu revidiren.

      Es war noch zu früh am Abend um schon viel Gäste in den Wirthshäusern anzutreffen; die meisten wanderten noch in der Nähe des Markthauses und durch den Markt auf und ab, und erfreuten sich des schönen mondhellen Abends. Dennoch saßen etwa zehn oder zwölf Männer, meistens Matrosen, an den verschiedenen Tischen, und in einem der kleinen Verschläge, wo zwei Seeleute ihre beiden Mädchen mit hineingenommen hatten und ihnen dort zutranken, ging es besonders lustig und auch laut zu.

      Der Mate vom Boreas warf einen schnellen aber forschenden Blick über sämmtliche Gäste hinüber, und trat auch in das kleine »Privatzimmer«, in das er indiscret genug und, von einem »what do you want« der darin Sitzenden angeschnauzt, hineinschaute, konnte aber kein bekanntes Gesicht entdecken. Mrs. und Mr. Mac Carther warfen sich übrigens einen Blick zu, den sie beide zu verstehen schienen, und die »Dame« wandte sich dann mit der größten Freundlichkeit an die Neuangekommenen, und frug was sie zu trinken wünschten. Sie ließen sich eine Flasche Porter und drei Gläser geben, und setzten sich an einen der Tische.

      Polly ging ab und zu, und schien besonders mit dem Polizeidiener, einem jungen, hübschen und schlanken Mann, gut bekannt zu sein. Als Mr. Mac Carther die zweite Flasche auf den Tisch setzte, stand der junge Mann von der Wasserpolizei auf und ging hinaus – wenige Minuten darauf folgte ihm Polly – sie standen beide in der offenen Hausthür.

      »Polly«, sagte der Polizeidiener, und hob ihr mit dem rechten Zeigefinger das Kinn empor – »wo sind die Leute vom Boreas, die Ihr versteckt habt?«

      »Die Ihr versteckt habt?« sagte das Mädchen schnippisch und schnell, und schlug den Finger mit der verkehrten Hand weg – »die Ihr versteckt habt? – was gehen mich die Leute vom Boreas oder irgend einem anderen »aß« an, und was hätt' ich davon, Matrosen zu verstecken? – Wenn Ihr mir weiter nichts zu sagen habt, Mr. Naseweis, dann seid so gut und laßt mich ein andermal zufrieden.« Und damit wollte sie sich von ihm losmachen und wieder ins Schenkzimmer gehen. Charles, wie der junge Mann hieß, faßte aber ihre Hand und sagte schmeichelnd: – »Sey nicht närrisch, Polly – du verstehst wie ichs meine, und daß ich recht gut weiß wie du selber nichts damit zu thun hast – obgleich mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind von einem jungen Franzosen der –«

      »Charles«, sagte das Mädchen, und schien ernstlich böse zu werden, »du hast es heut Abend ordentlich darauf angelegt mich zu ärgern, und ich antworte dir keine Sylbe weiter.«

      »Was das betrifft, mein Schatz«, lachte der andere, während er jedoch die Hand des Mädchens noch immer fest dabei hielt – »so hast du mir auch noch gar keine Sylbe geantwortet. – Ich weiß aber, daß du ein vernünftiges Mädchen bist – du hast mir davon schon zu viele Proben gegeben, so laß uns denn auch ohne weitere Umschweife ein vernünftiges Wort miteinander reden. Auf das Einfangen der Leute vom Boreas wird in der nächsten Woche, wenn der Capitän erst einmal weg muß, ein sehr bedeutender Preis gesetzt werden – wenn du die Hälfte davon verdienen kannst, wirst du doch vielleicht zusehen, ob du mir ein oder das andere von Mr. und Mrs. Mac Carther herausbekommen kannst?«

      »Du glaubst doch nicht etwa«, fiel ihm das Mädchen rasch in die Rede, »daß Mr. und Mrs. Mac Carther weggelaufenen Matrosen in ihrem eigenen Hause …«

      »Gott bewahre«, unterbrach sie Charles lachend »da sind sie beide viel zu vernünftig dazu, als daß sie sich einer solchen Gefahr aussetzen sollten – es stehen 50 Pfund Sterling Strafe darauf. – Nein, aber sie – haben doch manches – oh hol's der Henker, du bist klug genug, und dir brauch ich doch weiter keine Erklärung zu geben.«

      Das Mädchen sah einen Augenblick vor sich nieder und sagte dann leise –

      »Wie hoch wird die Belohnung etwa sein?«

      »Wie hoch? nun unter vier Pfund Sterling per Mann auf keinen Fall, wahrscheinlich aber sechs, und wie viel sind es gleich – vier, sieben – neun, nicht wahr?«

      Das Mädchen sah zu ihm auf und schüttelte verschmitzt mit dem Kopf – die Falle war ein klein wenig zu plump gewesen. Charles mochte das auch wohl fühlen, denn er wurde bis über die Ohren roth, sagte aber gleich darauf lachend – »bitt' um Entschuldigung, ich hatte ganz vergessen, daß du gar nichts davon weißt. Doch genug für jetzt. Mir liegt selber nichts daran, daß wir sie heut Abend erwischen sollten, und sind sie in der Nähe, so thäten sie sehr wohl sich ein wenig von den Straßen oder aus den öffentlichen Trinkhäusern zu halten, sie könnten sich sonst leicht morgen an einem Orte finden, auf den sie Heute schwerlich gerechnet haben. Also good bye, Polly, sei ein gut Mädchen und halte die Augen offen.«

      Damit trat er mit ihr in den dunklen Gang zurück, zog sie etwas näher an sich und – doch es war zu dunkel etwas weiter zu erkennen. Als aber gleich darauf die Thür aufging, stand Charles vorn im Haus, und Polly kam, allem Anschein nach eben vom Hof, und trat in die Schenkstube.

      Als Charles wieder in die Stube kam, hatten die beiden Steuerleute schon die Zeche bezahlt und sich zum Fortgehen gerüstet. – Sie hielten sich erst einmal vor allen Dingen nach der Rowson oder Rosenstraße hinüber, wo ein freier eingezäunter Platz die eine Reihe Straßen begrenzt und die Matrosen, in der Nähe zahlreicher verrufener Häuser gern umherschlendern. Obgleich sie aber manchen von diesen begegneten, und alle scharf ins Auge faßten, war doch keiner der rechten darunter. Einmal freilich glitt eine dunkle Gestalt rasch und flüchtig vor ihnen hin, verschwand aber auch gleich darauf durch die dort hohe Pallisadenfenz, in eine kleine Thür, die sich hinter ihm schloß. Es war dies kein öffentliches oder Kosthaus, und der Polizeimann hätte erst einen »warrant« ausnehmen müssen, ehe er ein Privathaus untersuchen durfte. Oft blieb Charles aber eine kurze Strecke zurück, und flüsterte hie und da mit einer, im Schatten irgend eines niedern Hauses, neben einem erleuchteten Fenster stehenden weiblichen Gestalt – er schien mit allen Winkeln und Höhlen der ganzen Stadt bekannt zu sein.

      Es war etwa neun Uhr als sie nach Pittstreet zurückkamen; hier hatte sich indessen manches verändert, und die im Anfang noch ziemlich öde Straße wimmelte jetzt, besonders in der Nähe des Theaters, von Menschen. Dem Theater gerade gegenüber sind eine Anzahl kleiner Spelunken oder Trink- und Tanzhäuser nur von liederlichen Dirnen besucht, zu denen sich die Menschen förmlich drängten. Unsere drei Wanderer traten ebenfalls ein, und zwar zuerst in das bedeutendste, das sogenannte »Shakespeare Haus.«

      Unten befand sich die sogenannte Bar – ein Schenktisch mit den dazu gehörigen Vorräthen von Flaschen und Gläsern; dahinter ein kleines Zimmer für solche die ruhig ein Glas Bier trinken wollten. Beide Locale waren aber fast leer von Gästen, und doch sollte dies Haus ungemein großen Absatz haben. Außer diesen beiden Zimmern hatte es aber auch noch andere Räume. Gleich neben der Bar, von dieser nur durch eine Mauer getrennt, und mit einem aparten Eingang von der Straße, ging eine schmale Treppe in die erste Etage hinauf,


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