Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig: Eine Novelle. Franz Werfel

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Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig: Eine Novelle - Franz Werfel


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Augenglas viel zu oft zerbrochen.

      Einmal befahl mich der Oberst zu einem privaten Rapport.

      „Herr Leutnant,“ begann er scharf, „das geht nicht so weiter. Es ist vom Oberstbrigadier nun zum zweiten Mal ein Dienstzettel gekommen, in dem er Ihre Adjustierung beanstandet. Man muß Sie ja nur ansehen und es wird einem übel. Rasieren Sie sich besser und öfter!“

      „Jeder Gefreite sieht adretter aus als Sie. Wollen Sie dem Herrn Feldmarschallleutnant (er meinte meinen Vater) Schande machen?“

      „Lieber Duschek,“ fuhr der Kommandant begütigend und außerdienstlich fort, – „Du mußt mehr auf Dich halten. Geh zum Schneider! Equipier’ Dich! Herrgott, wenn ich noch einmal so jung sein könnte!“

      Solche Reden machten trotz der gehässigen Nervosität, die ich immer angesichts eines Vorgesetzten empfand, wenig Eindruck auf mich.

      Unter guten Figuren – eine gute Figur zu sein, das war mein Ehrgeiz nicht. Was aber war mein Ehrgeiz?

      Ich wohnte in der Wirtschaft einer Frau Koppelmann, über deren Höhleneingang auf einer Tafel das viel verheißende Wort „Restauracya“ geschrieben stand. Ich vermied es am Abend, den Gelagen in der Offiziersmesse beizuwohnen. Nach dem Dienst um fünf Uhr setzte ich mich in die „Herrenstube“ der Frau Koppelmann. Selbst hier, unter hustenden und spuckenden polnischen Fuhrleuten, unter den die Heiligen beschwörenden ruthenischen Bauern, unter schreienden und haareraufenden Juden fühlte ich mich glücklicher, als unter den Kameraden. Bei dem grünen Pfefferminzschnaps der Wirtin starrte ich, der Herr Offizier, um dessen Tisch die Bauern und Juden mit „ai“ und „oi“ und tausend Bücklingen dienerten, – ja ich starrte in erregter Beobachtung auf diese freien vielbewegten Gestalten und fühlte mit einem gewissen Triumph in der Seele: Hierher, zu diesen da gehörst du! Um sieben Uhr leerte sich die Stube und ich blieb allein mit den surrenden Völkern der galizischen Fliegenplage. —

      Das kleine schmutzige Fenster bräunte sich in der Abendröte. Draußen schnatterten die Gänse, und die Schritte der barfüßigen Bäuerinnen patschten in dem ewigen Sumpf der Straße. Nun kam meine Stunde. Ich setzte mich an das zerbrochene Klavier der Frau Koppelmann und siehe, es waren dennoch Töne, dennoch Akkorde, Verzückungen der schwingenden Luft, die meine Hand griff. Wenn nichts meine renitente Gleichgültigkeit lösen konnte, jetzt stürzten nie gefundene Tränen aus meinen Augen, Boten und Herolde einer Heimat, die ich nicht kannte, meine Seele dehnte sich, als empfänge sie Liebe und Mütterlichkeit. Der Zustand steigerte sich fast zur Epilepsie, denn die verhemmte Leidenschaft pochte an alle Tore meiner Verschlossenheit. Damals wußte ich noch nicht, daß mein natürlicher Beruf die Musik sei!

      Wie hätte ich das auch wissen sollen, ich, der Sprößling einer ärarischen Familie, Sohn eines Generals, Enkel eines Oberstleutnants, Urenkel eines Stabsprofosen, ich, dem die Scheu vor Anmut und Geist schon seit dem sechsten Lebensjahr eingeprügelt worden war.

      Mit meinem Vater wechselte ich jedes halbe Jahr einen Brief. Meine Mutter war schon lange gestorben. Ihr dumpfes und kleines Licht, vor der Zeit war es zugrunde gegangen. In ihren letzten Jahren soll sie recht seltsam gewesen sein. Sie wurde von zwei krankhaften Trieben beherrscht. Der eine war ein Reinlichkeitstrieb ohnegleichen. Sie schmierte und putzte die Türklinken bis tief in die Nacht, sie wusch die Fenster zwei und dreimal des Tages, sie lag immer auf dem Boden und scheuerte die Dielen, die vom vorigen Tage noch blank waren. Immer spähte sie nach Flecken und Schmutzspuren, auf die sie sich stürzen konnte. Ihre zweite Krankheit war eine Art Beichtfieber. Sie ging täglich in drei Kirchen zur Beichte und wird gewiß schreckliche Sünden erfunden haben, die Arme, um ja ihr Leben nur mit etwas auszufüllen.

      Oft dachte ich an jene Nacht, wo meine Mutter mit offenem Haar, die Kerze in der Hand, wie aus schwerem Schlaf erwacht, weinend an mein Bett getreten war und mich leidenschaftlich umarmt hatte. Damals und niemals mehr, ist sie mir als Frau erschienen. Heute verzeihe ich ihr, der Unerweckten, alle Härte. Sie hat gelitten, ohne zu wissen, daß sie leidet.

      Die Briefe, die ich an meinen Vater richtete, begannen mit der Anrede „Lieber Vater“, enthielten einen trockenen Abriß über Dienstverhältnisse, Veränderungen, Avancements, taktische Aufgaben, die mir gestellt worden waren, und schlossen mit der Floskel: „Verehrungsvoll grüßt Dich Dein dankbarer Sohn Karl.“

      Diese Briefe zu schreiben war eine Qual, die mir regelmäßig Kopfschmerzen machte. Hingegen mochte es geschehen, daß, wenn ein Brief meines Vaters fällig war, ich in Unruhe und erwartungsvolle Aufregung geraten konnte; kam dann dieser Brief, so wirkte er wie ein kalter Guß. Auch er brachte nur trockene Daten, aber aus seinem Ton spürte ich eine ärgerliche Mißachtung. Alles, was der Vater schrieb, jede harmlose Aussage, klang wie ein Befehl. Die Briefe waren in die Schreibmaschine diktiert und trugen nur die eigenhändige Unterschrift: „Dein Vater Karl Duschek, Edler von Sporentritt, Feldmarschallleutnant“.

      Der frühere Frontoffizier hatte eine glänzende Karriere gemacht. Die Stufenleiter des Generalstabs, spielend war sie von ihm erstiegen worden. Als Befehlshaber einer der glänzendsten Divisionen zum Frontdienst zurückgekehrt, war er neuerdings zum Korpskommandanten der Residenz ernannt worden.

      Er gehörte zu den einflußreichsten Militärs des Reiches, hatte den starräugigen, jägerbösen Thronfolger zum Freund, ohne deshalb am greisenhaft eigensinnigen Hofe mißbeliebt zu sein, und es war ein offenes Geheimnis, daß im Kriegsfalle ihm die Führung einer Armee zuteil werden würde.

      Von allen Seiten hörte ich, daß die Stellung meines Vaters die beste Prognose meiner eigenen Laufbahn sei und, daß ich ein Schlemihl und Schwachkopf sein müßte, wenn ich nicht vorwärts käme.

      Schon sieben Jahre hatte ich den General nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen – doch dafür verging keine Nacht, in der ich ihn nicht (allerdings war er da fast immer nur Hauptmann) in meinen qualvollen Träumen sah. Ein Traum kehrte oft wieder.

      Es ist Krieg. Ich liege schwer verwundet mit aufgerissener Bluse auf der Erde. Mein Blut dringt langsam durch den dicken Stoff. Die Generalität ist um mich versammelt. Grüne Federbüsche wehen. Da tritt ein knieweicher Greis in purpurroten Hosen und schneeweißem Galarock, eine goldstrotzende Feldbinde um die Hüfte, auf mich zu und heftet mir ein großes weißes Kreuz (Maria Theresienorden) an die Brust. Auch mein Vater kommt auf mich zu. Er trägt die Uniform eines Feldwebels und raucht eine Pfeife. Kaum sieht er mich, so wird er blaß, schwankend, durchsichtig und fällt auf den Rücken. Er liegt nun da und ich erhebe mich. Furchtbare Wonne durchströmt mich. Versöhnung! Versöhnung! Von diesem Begriff bin ich ganz durchtönt. Ganz allein sind wir nun.

      Klein und gelb in einer Mulde liegt er hingestreckt. Von Schluchzen durchschüttelt reiche ich ihm die Hand.

      Donnerschlag! Weltuntergang!

      Wir beide schweben im formlosen, grauen Raum. Stimmen zirpen von allen Seiten:

      Vater, Sohn und Geist.

      Geist, Sohn und Vater.

      Dies ist noch der gelindeste meiner Träume. Dennoch ist mir der Tag, der ihm folgt, ein rasselndes Gespenst.

      Der Vater, der inzwischen eine zweite Frau, eine sehr begüterte Dame der hohen Aristokratie geheiratet hatte, schickte mir keine Zulage zu meiner Leutnantsgage. So lebte ich schlechter als die andern Herren unseres Regiments, dessen Offizierkorps nicht zu den armseligen Kommisschluckern der übrigen Infanterie gehörte und an Geltung den Artilleristen gleichkam. Nur zu meinem Geburtstag erhielt ich ein väterliches Geschenk, eine Hunderter-Note, auf den Tag, ohne Glückwunsch und Brief, mit Postanweisung zugestellt. Dagegen schrieb ich zum Geburtstag des Vaters einen Brief, der mit jener Phrase anfing, die mich die Mutter gelehrt hatte, wenn ich auf einen großen, glänzenden Bogen, dessen Kopf einen gemalten Alpenblumenstrauß zeigte, meinen Glückwunsch schreiben mußte:

      „Lieber Vater, zu Deinem Wiegenfeste…“

      So begann die lange, stereotype Formel!

      Da geschah es, daß ich in eine höchst peinliche Geschichte hineingezogen wurde. Ich hatte, schwach und leicht zu überreden, wie ich bin, für die Ehrenschuld eines mir im übrigen recht widerlichen Kameraden gebürgt. Der Mann, ein Intrigant und Feigling, hatte sich vor der Zeit aus dem Staube gemacht und in kurzer Frist zu verschiedenen


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