Leos Hände. Andrea Lepri

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Leos Hände - Andrea Lepri


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Der Kater Silvester hatte sich eben etwas zu weit über die Dachrinne gelehnt, so dass er vom Dach eines 26-stöckigen Hochhauses stürzte.

      Liebeskummer

      «Hey, ich spreche mit dir» ermahnte mich mein Begleiter, und wiederum betrachtete ich ihn irritiert. Wenn ich schon kein Audio haben konnte, so wollte ich mir doch zumindest den unglückseligen Sturz des Katers nicht entnehmen lassen. Als dieser benommen wieder aufstand, mit blutunterlaufenen Augen und den Vögelchen, die um seinen Kopf tanzten und alsbald in tausend Stücke zerbröckelten, zerplatzte ich vor Lachen.

      «Ich habe einen neuen Kontakt,» beharrte Steve mit strahlenden Augen, «bald werden wir uns mit einem Vertrauten treffen. Er wird uns konkrete Beweise liefern, damit wir es endlich verhindern können, dass im Polizeirevier extra Geld in Umlauf gebracht werde. Wir werden so viele korrupte Agenten nach Hause schicken, dass die Behörden gezwungen sind, ein neues Auswahlverfahren auszuschreiben, ansonsten wird es in der Stadt zu wenige Polizisten geben…hey, hörst du mir überhaupt zu oder nicht?»

      Ich schnaubte immer ärgerlicher und lenkte den Blick nun definitiv auf ihn, mittlerweile lief bereits der Abspann des Trickfilms. Ich streckte mich und bereitete mich geistig vor, spitzte die Ohren, um ihm zuzuhören und beschloss, dass ich am Ende seiner Geschichte ein Nickerchen machen werde. Aber mein Begleiter, längst beleidigt über mein Verhalten, gab es schließlich auf. Er griff nach hinten und drückte die Taste des Anrufbeantworters auf dem Schrank hinter ihm, um die Freisprechanlage einzuschalten.

       „Steve, mein Schatz, wann kommst du Mamma besuchen? Seit Wochen lässt du nichts von dir hören. Melde dich aber einen Tag vorher, dann koche ich dir einen Auberginen -Auflauf, der dir so gut schmeckt…ah, ich habe dir drei Paar Unterhosen gekauft, von diesen bequemen…und denke bitte daran, dass …“

      Mein Freund schüttelte den Kopf und drückte eine andere Taste.

       „Tschau Champion, ich bin es, Paolo. Lebst du noch? Vergiss bitte nicht, dass wir morgen Abend die Revanche des Boccia-Turniers haben. Bitte komm dieses Mal mit voller Konzentration, nach der schlechten Figur, die wir das letzte Mal gemacht haben, müssen wir dieses mal mehr als gewinnen. Dieses Mal müssen wir sie alle demütigen, oder das ganze Revier wird uns bis zur Pension auf den Arm nehmen.“

      Steve drückte die Taste nochmals, um das Band schneller laufen zu lassen, dabei ignorierte er die Nachrichten, die ihn nicht interessierten. Plötzlich war eine Frauenstimme zu hören.

      „Ich bin es, Mara“ sagte sie in schmeichlerischem Ton, „ich wollte mich für die Blumen bedanken. Es ist wirklich sehr freundlich von dir, dass du an meinen Geburtstag gedacht hast. Ich habe mich sehr darüber gefreut, ehrlich, aber ich nutze dennoch die Gelegenheit, um etwas klarzustellen: in den letzten drei Monaten hast du mir mehrfach das reinste Gewächshaus nach Hause geschickt. Du hast mir am Radio sechzehn Lieder gewidmet, wir haben uns vierzehn Sonnenuntergänge und einundzwanzig Liebesfilme angeschaut, und schließlich hast du mir vier aphrodisisches Abendessen zubereitet… aber an mehr als das, ist wohl kaum zu denken! Hör zu, ich bin nicht Heidi. Ich bin nun fast vierzig Jahre alt, du hättest mir zumindest einen Kuss geben können. Jetzt habe ich jedenfalls das Bedürfnis etwas nachzudenken, also bitte suche mich nicht… ich werde mich dann schon melden.“

      Steve errötete und schaute mich verwundert an. Ohne ein Wort zu sagen, warf ich ihm verlegen einen den Umständen entsprechenden Blick zu, so als ob ich sagen wollte: “Na, keine Sorge, es gibt noch viele andere.“ Dabei fragte ich mich, warum wohl die Beziehungen zwischen Mann und Frau oft so schwierig sind. Der Mensch sind weltweit die einzige Spezies, bei der zwei Elemente unterschiedlichen Geschlechtes eine Menge Regeln einhalten müssen, um eine Beziehung aufzubauen: in erster Linie müssen sie sich aus ästhetischer Sicht gegenseitig gefallen, dann sollten sie einen Dialog finden und den gleichen Geschmack in Sachen Kino und Musik, Hobbys, Lektüre und Kultur haben. Außerdem sollten die entsprechenden Familien Gefallen aneinander finden, ganz zu schweigen von Mundgeruch und Look, oder der Farbe der Augen und der Haare…oder der Arbeit und des Bankkontos, auch wenn alle diese Elemente oft ein unterschiedliches Gewicht haben. Jedenfalls hat jede Regel ihre Ausnahmen, und so kann es vorkommen, dass jemand der sich auf eine Liebesgeschichte einlässt, nur am Bankkonto oder an einer einzigen anatomischen Besonderheit ausreichend Interesse findet. Kaum zu glauben, dass sich alle anderen Rassen, die den Planeten bewohnen, mit einem Geruch oder mit einer Farbe begnügen!

      Der Kontakt

      Plötzlich verfinsterte sich Steves Miene, und er wurde traurig. Ich bemerkte, wie sehr es mir leid tat, nur selten habe ich ihn so verbittert erlebt. Während das Band des Anrufbeantworters mit banalen Nachrichten weiterlief, zog er sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Er nahm ein Foto und ein paar zusammengefaltete Briefe heraus, betrachtete einen Augenblick das Foto und überflog die Briefe, nur schnell, denn er kannte sie ja schon auswendig. Er nahm ihren Duft auf, zerknitterte sie dann und war schon im Begriff, sie wegzuschmeißen, dachte aber nochmals darüber nach. Er ging zum Schrank im Wohnzimmer, steckte den Schlüssel ins Schubladenschloss und öffnete sie. Ich für mich habe sie „die Schublade der verpassten Chancen“ getauft, weil sie von Fotos, Briefen, Schlüsselanhängern, parfümierten, musizierenden und leuchtenden Kuscheltierchen, Kino- und Discotickets, Postkarten, Plüschtieren und verschiedenen Gadgets nur so überquoll. Seufzend schmiss er die Fotos und Briefe hinein und knallte dann die Schublade mit einem zornigen Stoß zu. Genau in diesem Moment machte sich in mir die erschreckende Erkenntnis über das, was mich nun erwarten würde, breit: mindestens zwei Stunden empörten Wutausbruchs, mit einer Zusammenfassung aller Liebesromanzen der letzten neunundzwanzig Jahre seines Lebens… oder mit anderen Worten, seitdem er acht Jahre alt war…, die nie begonnen haben oder bereits im Keime erloschen sind. Das Absurde an der Sache war, dass praktisch alle Frauen des Reviers auf ihn standen, aber er, der so von seiner Arbeit eingenommen war, bemerkte es nicht einmal. Wenn er sich bloß etwas umgeschaut hätte, anstatt stets nur an seine Pflicht zu denken, hätte er in weniger als fünf Minuten eine Freundin gefunden. Ich suchte nach einer bequemeren Position, um mich auf die Tortur vorzubereiten und versuchte, eine aufmerksame und Anteil nehmenden Miene aufzusetzen, schließlich ging es um meinen Kumpel und ich wollte ihn nicht auch noch enttäuschen!

      «Möglich, dass seit dem ersten Mal, als…» begann er eben zu sagen, während er im Wohnzimmer hin und her wanderte, als er plötzlich innehielt.

      Er rannte zum Anrufbeantworter, der inzwischen weiterhin Nachricht um Nachricht herunterrasselte, spulte die letzte Aufnahme zurück und ließ sie erneut von vorne laufen.

       «Wir haben es geschafft, der Kerl von dem ich dir erzählt habe ist zur Mitarbeit bereit aber er will eine Menge Geld. Die Verabredung findet heute Abend um neun Uhr im alten Industrieviertel, vor der einzigen leerstehenden Lagerhalle statt. Versuche pünktlich zu sein und vor allem komm alleine und unbewaffnet, sonst haut er ab und wir spüren ihn nicht wieder auf» sagte eine heisere Stimme, und ich war ihr so dankbar, denn sie bewahrte mich vor einer regelrechten Qual. Steve schaute auf die Wanduhr und sprang auf, ging zum Kleiderständer und nahm den Regenmantel, der inzwischen eine Wasserlache auf dem Boden hinterlassen hat, danach drehte er sich um und schaute mich ernst an: “Verdammt, die ganze Welt hat sich gegen mich verbündet: keine Trickfilme und kein Nickerchen!“ sagte ich mir enttäuscht, sprang von der Couch herunter und folgte ihm widerwillig.

      In der Lagerhalle

      Glücklicherweise hatte es inzwischen aufgehört zu regnen. Steve hatte die schlechte Angewohnheit, alles alleine in Ordnung bringen zu wollen, sodass sein Auto mit Klappverdeck an einem fernen Juniabend definitiv zum Cabriolet geworden ist. Er war der einzige, der an jenen kalten und regnerischen Tagen Ende Februar mit einem Sonnenschirm zwischen den Beinen eingeklemmt herumfuhr. Als Rechtfertigung dafür erklärte er mir wiederholt, dass ihn die Reparatur der automatischen Abdeckung mehrere Monatsgehälter gekostet hätte. Das Problem war nur, dass der Sonnenschirm bei erhöhter Geschwindigkeit jedesmal entweder umkippte oder gar davonflog…mit den Auslagen, die er für die Sonnenschirme


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