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die Handlungen ihres Vaters aufbringen. Aber obwohl ein Teil von ihr verstand, dass er ein gebrochener Mann war, der eines Tages zerbrochen war, konnte die Qualen, die seine Handlungen verursacht hatten, damit nicht erklärt werden.

      „Warum hast du dich nicht einmal verabschiedet?“, fragte Emily, während ihr die Tränen in Strömen über die Wangen liefen. „Wie konntest du einfach so gehen?“

      Auch Roy schien von Emotionen überwältigt zu werden. Emily bemerkte, dass seine Hände zitterten. Auch seine Lippen zitterten, als er sprach. „Es tut mir so leid! Diese Entscheidung hat mich seitdem immer verfolgt.“

      „Dich verfolgt?“ Emily weinte. „Ich wusste nicht, ob du tot oder lebendig bist! Du hast mich mit dieser Unwissenheit zurückgelassen. Hast du eine Ahnung, was das mit einer Person anstellt? Mein ganzes Leben hat wegen dir stillgestanden! Nur, weil du zu feige warst, auf Wiedersehen zu sagen!“

      Roy empfand ihre Worte wie wiederholte Schläge ins Gesicht. Sein Gesichtsausdruck war schmerzerfüllt, als wären es wirklich körperliche Schläge, die sie auf ihn losließ.

      „Es war unentschuldbar“, sagte er mit kaum mehr als einem Flüstern. „Also werde ich nicht versuchen, es zu entschuldigen.“

      Emily spürte, wie wild ihr Herz in ihrer Brust raste. Sie war so wütend, dass sie nicht mehr klarsehen konnte. All diese Jahre der Emotionen überfluteten sie mit der Kraft eines Tsunami.

      „Hast du überhaupt darüber nachgedacht, wie sehr es mich verletzen würde?“ Sie weinte und ihre Stimme schwoll in Tonhöhe und Lautstärke noch mehr.

      Roy schien vor Angst gelähmt zu sein, sein ganzer Körper war angespannt, sein Gesicht vor Reue verzerrt. Emily war froh, ihn so zu sehen. Sie wollte, dass es ihm genauso weh tat wie ihr.

      „Zuerst nicht“, gestand er. „Weil ich nicht ganz bei Sinnen war. Ich konnte an nichts und niemanden außer mich selbst denken, an meinen eigenen Schmerz. Ich dachte, du wärst ohne mich besser dran.“

      Dann brach er zusammen. Schluchzer durchfuhren seinen Körper, bis er von Emotionen überwältig zitterte. Ihn so zu sehen war wie ein Stich ins Herz. Emily wollte ihren Vater nicht vor ihren Augen brechen und zerbröseln sehen, aber er musste es wissen. Es würde keine Zukunft geben, keine Wiedergutmachung, ohne dass alles ausgesprochen wurde.

      „Also dachtest du, dass du mir einen Gefallen tun würdest, wenn du mich verlässt?“, schnappte Emily und verschränkte schützend die Arme vor ihrer Brust. „Weißt du wie mies das ist?“

      Roy weinte bitterlich in seine Hände. „Ja. Ich war damals so durch den Wind und das Durcheinander in meinem Kopf hielt sehr lange an. Als ich realisierte, welchen Schaden ich angerichtet hatte, war zu viel Zeit vergangen. Ich wusste nicht, wie ich wieder dahin zurück gelangen konnte, wie es einmal war, wie ich den Schmerz ungeschehen machen konnte.“

      „Du hast es nicht einmal versucht“, beschuldigte Emily ihn.

      „Ich habe es versucht“, sagte Roy, und das Flehen in seinem Tonfall ärgerte Emily noch mehr. „So oft. Ich kam mehrmals zum Haus zurück, aber jedes Mal überwältigte mich die Schuld an dem, was ich getan hatte. Es gab zu viele Erinnerungen. Zu viele Geister.“

      „Sag das nicht“, blaffte Emily, und in Gedanken stellte sie sich sofort Charlotte vor, die als Geist das Haus heimsuchte. „Wag es nicht.“

      „Es tut mir leid“, wiederholte Roy keuchend vor Schmerz.

      Er sah auf seinen Schoß, indem seine alten Hände zitterten.

      Auf dem Tisch vor ihnen wurden der unangerührte Kaffee in den Tassen kalt.

      Emily atmete tief durch. Sie wusste, dass ihr Vater Depressionen gehabt hatte - sie hatte die Medikamentenverschreibung in seinem Hab und Gut gefunden - und dass er nicht er selbst war, dass die Trauer ihn dazu brachte, sich auf unverzeihliche Weise zu benehmen. Sie sollte ihm dafür keine Vorwürfe machen, und doch konnte sie nicht anders. Er hatte sie so sehr enttäuscht. Sie mit ihrer Trauer allein gelassen. Mit ihrer Mutter. In Emilys Herzen gab es so viel Wut, selbst wenn sie wusste, dass Schuldvorwürfe hier keinen Platz hatten.

      „Was kann ich tun, um es wieder gut zu machen, Emily Jane?“, fragte Roy, seine Hände wie zum Gebet gefaltet. „Wie kann ich anfangen, den Schaden zu heilen, den ich verursacht habe?“

      „Warum fängst du nicht damit an, die Lücken zu füllen“, antwortete Emily. „Erzählst mir, was passiert ist? Wo du hingegangen bist. Was du all die Jahre gemacht hast?“

      Roy blinzelte, als wäre er von Emilys Art der Befragung überrascht worden.

      „Es war die Ungewissheit, die mich umgebracht hat“, erklärte Emily traurig. „Wenn ich nur gewusst hätte, dass du irgendwo in Sicherheit bist, hätte ich damit umgehen können. Du hast keine Ahnung, wie viele Szenarien ich mir ausgemalt habe, wie viele verschiedene Leben ich mir vorgestellt habe. Ich konnte jahrelang nicht gut schlafen. Es war so, als würde mein Verstand nicht aufhören, immer weitere Optionen heraufzubeschwören, bis er die richtige gefunden hatte, obwohl das gar nicht möglich war. Es war eine unmögliche, sinnlose Aufgabe, aber ich konnte nicht aufhören. Damit könntest du mir also helfen. Fange damit an, mir die Wahrheit zu sagen, indem du mir erzählst, was ich all die Jahre nicht wusste. Wo warst du?“

      Roys Tränen versiegten schließlich. Er schniefte und tupfte sich mit dem Ärmel die Augen ab. Dann räusperte er sich.

      „Ich habe meine Zeit zwischen Griechenland und England aufgeteilt. Ich habe mir in Falmouth, Cornwall, an der englischen Küste ein Zuhause geschaffen. Es ist ein schöner Ort, Klippen und eine wunderschöne Landschaft. Dort gibt es eine fantastische Künstlerszene.“

      Wie passend, dachte Emily und erinnerte sich an seine Obsession mit Tonis Kunstwerken, an die Art, wie er eines ihrer Leuchtturm-Gemälde in dem Zuhause in New York City, das er mit Patricia geteilt hatte, aufgehängt hatte, und wie ärgerlich sich Emily gefühlt hatte, als sie bemerkte, wie unverschämt er gewesen war, wie respektlos.

      „Wie hast du dir das leisten können?“, konfrontierte ihn Emily. „Die Polizei sagte, auf deinen Bankkonten hätten keine Aktivitäten stattgefunden. Das war einer der Gründe, warum ich dachte, du wärst tot.“

      Bei dem Wort zuckte Roy zusammen. Emily konnte sehen, wie schlecht er sich fühlte, als er mit dem Schmerz konfrontiert wurde, den er ihr bereitet hatte. Aber er musste das hören. Und sie musste es sagen. Nur so konnten sie vorwärtskommen.

      „Ich habe keine meiner Antiquitäten verkauft, wenn du das meinst“, begann er. „Ich habe das alles für dich gelassen.“

      „Dafür soll ich dir vermutlich dankbar sein?“, fragte Emily bitter. „Es ist nicht so, als könnte ein Diamant die jahrelange Vernachlässigung wettmachen.“

      Roy nickte traurig und ertrug die volle Wucht ihrer wütenden Worte. Emily begann zu akzeptieren, dass er seine Schuld anerkannte, dass er nicht länger versuchte, seine Handlungen zu rechtfertigen, sondern stattdessen auf den Schmerz zu hören, den er ihr verursacht hatte.

      „Du hast Recht“, sagte er leise. „Ich wollte damit nicht unterstellen, dass es möglich ist.“

      Emily spannte ihren Kiefer an. „Nun, dann mach weiter“, sagte sie. „Sag mir, was passiert ist, nachdem du gegangen bist. Wie du dich über Wasser gehalten hast.“

      „Zuerst habe ich von einem Tag zum anderen gelebt“, erklärte Roy. „Ich habe mit allem Möglichen Geld verdient. Mit sonderbare Jobs. Auto- und Fahrradreparaturen. Basteln. Ich habe mich darauf spezialisiert, Uhren herzustellen und zu reparieren. Das mache ich auch jetzt noch. Ich bin ein Uhrmacher. Ich mache kunstvoll verzierte Uhren mit versteckten Schlüsseln und Geheimfächern.“

      „Natürlich tust du das“, sagte Emily bitter.

      Der


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