Pjotr. Klabund
Читать онлайн книгу.dem Fuß auf.
»Sie haben sich einen sonderbaren, einen Ihrer wenig würdigen Kavalier erkoren, Sofija. Er versuchte, Sie auf eine wunderliche Art zu beschützen. Was haben Sie sich dabei gedacht, Sofija?«
Sofija lockerte die Zähne. Sie scharrte mit dem Fuß wie ein Hahn, der nach Würmern sucht. Dann sah sie den Fürsten blitzend an. Er erschrak vor dem Strahl dieser Augen.
»Ich liebe Sie, Andrej. Sie haben mir die Liebe und das Leben erst gezeigt.«
Der Fürst streichelte ihren mit einem ledernen Handschuh bekleideten rechten Unterarm.
»Vielleicht, Sofija. Aber mehr als mich lieben Sie ein anderes: die Macht.«
»Ja,« jubelte Sofija auf, »ja, ich liebe die Macht. Ich will herrschen. Ich will Zarin sein. Du sollst der Zar werden. Der Narr kümmert uns nicht. Aber Pjotr steht uns im Wege. Laß ihn töten, Andrej, töte Pjotr«
Sie war unter Tränen vor ihm niedergesunken und umklammerte flehend seine Knie.
Die Geisteskrankheit Iwans war von einem Konsortium europäischer Ärzte als unheilbar erklärt worden. Ein Ukas des Reichsverwesers, Fürsten Galizyn, verkündete es dem Volk. Das freilich sah darin nur die Machenschaft einer Hofkamarilla und wollte an Iwans Wahnsinn nicht recht glauben. Man sah den Achtzehnjährigen zuweilen hinter den Gartengittern im Park von Preobraschensk gemessen, verträumt und nachdenklich Spazierengehen. Er trug über einer weißen gestärkten Halskrause ein unnatürlich bleiches, engelhaft schönes Gesicht. Je mehr sein Gehirn zerfiel und zerblättertc, desto milder wurden seine ehemals wilden Sitten, und schließlich verliebte sich noch in ihn die gesamte männliche und weibliche Dienerschaft des Schlosses, die sich früher über ihn lustig gemacht oder ihn verachtet hatte.
»Du siehst,« sagte Fürst Galizyn, »wie du dich getäuscht hast, meine Liebe. Der Narr ist ein viel gefährlicherer Nebenbuhler für dich als dieser bärbeißige Bursche Pjotr. Vielleicht ist der Idiot sogar gescheiter als der vernünftige Pjotr. Vielleicht sogar gescheiter als wir. Wer weiß. Was machen wir nun mit Pjotr? Schade, daß er nicht als Bauer geboren ist.«
»Nun,« meinte Sofija ein wenig hinterhältig und spielte mit einer Bernsteinkette, die ihr um den Hals hing, ein Geschenk des Fürsten, »erziehen wir ihn als einen Bauern. Das wird ihm am gesundesten sein und am meisten wohltun. Was braucht er als zukünftiger Zar schon viel zu lernen? Ich habe auch nichts gelernt und regiere ganz passabel.«
»Nun, nun,« der Fürst lächelte, »sollte sich das nicht so glatt erledigen, weil ich einiges gelernt habe? Lesen und Schreiben muß der zukünftige Zar wenigstens lernen. Was soll Europa sonst von uns denken, dessen Blicke erwartungsvoll auf uns gerichtet sind?«
Der Fürst schlug ein scherzhaftes Pathos an.
Sofija kräuselte die Stirn:
»Ach was – Europa. Seine Blicke sind gar nicht auf uns gerichtet. Denn es ist ein blindes, altes Huhn. Jawohl,« wiederholte sie, als der Fürst schallend zu lachen begann, »Europa ist ein blindes, altes Huhn. – Küsse mich, Andrej.«
»Und Rußland?« er küßte sie zärtlich auf die unnatürlich roten Lippen – »was ist dann Rußland für ein Vogel?«
»Ein Adler« – Sofija breitete die Arme aus wie ein Raubvogel seine Schwingen, ehe er auf seine Beute niederstößt.
Der Fürst, halb für sich:
»Auch ein junger Adler wie Pjotr muß einiges lernen: nicht aus dem Nest zu fallen, ruhig und sicher zu schweben, den Feind von weitem zu erkennen, den Tod im Kampf und auch den Opfertod für seine Sippe nicht zu fürchten. Man wird ihm das beibringen müssen.«
Sofija ließ ihre Arme unwillig niederfallen.
»Was du immer mit Pjotr hast. Ich glaube, du liebst ihn, nicht mich. So lehre mich doch das Fliegen«
Sie flog an seine Brust.
Der preußische Leutnant außer Dienst Felix Timmermann wurde dem jungen Pjotr als Gouverneur beigegeben. Pjotr lernte notdürftig Schreiben und Lesen und Deutsch radebrechen. Zu einer orthographisch richtigen Schreibweise hat er es nie gebracht. Rechnen und Geometrie lagen ihm schon besser. Darin vermochte auch Timmermann, ein begabter Mathematiker, ihn eher fcu fördern. Seine Lieblingsfächer aber waren Militärwissenschaft, Nautik und Geschichte, die Timmermann selber nur mäßig beherrschte. Immer wieder aber mußte Timmermann ihm von Hannibal, von Cäsar, von Alexander dem Großen erzählen. Timmermann, dessen Kenntnisse auf sehr schwachem Grunde ruhten, schmückte die Biographien seiner Heroen, als er sah, wie sein Zögling sich an ihnen entzündete, mit eigenen Zutaten grell und phantastisch aus. Alexander der Große, der schon eher den Beinamen »Alexander der Ungeheuerliche« verdient hätte, gelangte in seiner Geschichtsstunde weit über Indien und China bis zu einem imaginären Land, wo das bis dahin unbezwungene Volk der Riesen hauste. Alexander erschlug mit eigener Hand siebentausend Riesen und heiratete, nachdem er im Zweikampf auch den König der Riesen wie einen wilden Eber erlegt, des Riesenkönigs Tochter, von der er noch in der Hochzeitsnacht heimtückisch mit einem giftgetränkten Hemd umgebracht wurde aus Rache für die Vernichtung ihres Volkes. Der gute Timmermann geriet hier unbedenklich in die Herkulessage hinein.
Pjotrs Augen aber glänzten, seine Wangen glühten.
»Und?« fragte er leidenschaftlich – »und?« Und der brave Timmermann steigerte sich zu immer kolossalischeren Heldengemälden.
Nebel lag über Preobraschensk, das Pjotr mit einem kleinen Hofstaat nunmehr allein bewohnte. Die Regentin Sofija und der Reichsverweser Fürst Galizyn hatten das Stadtschloß in Moskau bezogen.
Pjotr sah in den Herbst hinaus. Er war ein ungeschlachter Bursche geworden, der mit seinen Gliedern nicht wußte wohin. Sofija und Galizyn ließen ihn verwildern.
Er knirschte mit den Zähnen. Oh, er fühlte das ganz genau, er wußte instinktiv um den Haß seiner Schwester Sofija. Er würde ihnen aber einen Strich durch die Rechnung machen, wenn sie es sich am wenigsten versähen. Ihre und seine Rechnung: die gingen verschieden auf. Sie addierten nur. Er aber wollte multiplizieren, ja potenzieren. Er wollte seine Fähigkeiten in die x-te Potenz erheben. Wenn sie es auch nicht wollten und ihm entgegenarbeiteten: er wollte etwas aus sich machen wie Cäsar und Alexander der Große. Pjotr der Große würde es einst heißen. Sie aber nur Sofija die Kleine und Galizyn der Winzige. Alexander hatte mit Riesen gekämpft. Waren Sofija und Galizyn Riesen? Pah: Zwerge waren es, er reckte seine Glieder, mit denen wollte er schon fertig werden.
Die kahlen Bäume draußen im Herbstnebel schlenkerten ihre Äste wie Arme. Sie schienen wie Skelette, die sich tanzend bewegten. Der Wind pfiff ihnen zum Tanz auf.
Pjotr drückte sein breites, rotes Gesicht glatt an die Scheiben:
Dieser Baum wäre so übel nicht für Galizyn – und jener für Sofija. Wenn ich sie nicht hänge, hängen sie mich. Das ist der Lauf der Welt. Hat sich Alexander besonnen, als er siebentausend Feinden eigenhändig den Kopf abschlug?
Pjotr hob den rechten Arm wie ein Schwert, da steckte Timmermann den Kopf zur Tür herein.
»Treten Sie nur näher, Timmermann, Ihnen will ich den Kopf nicht abschlagen. Was wünschen Sie?«
Timmermann hatte zwei Säbel unter dem Arm.
»Kommen Sie, Prinz. Wir wollen heute mit dem Säbelfechten beginnen. Gehen wir in den oberen Saal.«
Einige französische Schneider kamen aus der Hauptstadt. Pjotr verwunderte sich sehr. Fürst Galizyn hatte sie gesandt. Sie nahmen ihm Maß zu prunkvollen und prächtigen Festgewändern aus Seide, Damast und Atlas und vermochten, als er sie um Aufklärung ersuchte, nur mit den Achseln zu zucken. Seine Hoheit der Fürst habe sich herabgelassen, ihnen diesen Auftrag zu erteilen. Wozu und warum – sie bedauerten, keine Antwort erteilen zu können, da sie keine wußten. Bald erschien auch ein deutscher Schuster, der ihm feine Saffianschuhe anpaßte.
Timmermann erwies sich als nicht orientiert. Pjotr hatte allerlei Vermutungen, von denen ihn keine befriedigte. Sollte er auf einem Hoffest offiziell eingeführt werden?
Die Schneider kamen noch einmal zur Anprobe und empfahlen sich, ihre Künste eitel selbst bewundernd, mit vielen entzückten Ahs