Der Müller von Angibault. Жорж Санд

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Der Müller von Angibault - Жорж Санд


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hochherzigste der Geliebten! Möchtest du ein des deinigen würdiges Herz finden, einen Mann, der dich liebt, wie ich dich liebe, und nicht Trostlosigkeit und Verabscheuung des Lebens dir zur Mitgift bringt. Möchtest du glücklich sein und segenspendend, ohne die Kämpfe einer Existenz, wie die meinige ist, durchmachen zu müssen, und möchtest du endlich, wenn in der Welt, in welcher du lebst, noch ein Funke von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sich findet, denselben mit deinem göttlichen Hauch zur Flamme anblasen und vor Gott Gnade finden für deine Kaste und für dein Jahrhundert, welches zu erlösen du allein würdig bist!«

      So sprechend, stürzte Heinrich hinweg, vergessend, dass er Marcelle in Verzweiflung zurückließ. Er schien von den Furien gehetzt zu sein. Frau von Blanchemont blieb lange wie versteinert. Endlich kehrte sie in ihre Wohnung zurück und ging bis zum Morgen mit leisen Schritten in ihrem Gemach auf und ab, ohne eine Träne zu vergießen, ohne mit einem Seufzer das Schweigen der Nacht zu stören.

      Es wäre Verwegenheit, zu behaupten, dass diese junge Witwe von zweiundzwanzig Jahren, schön, reich und in der Gesellschaft durch Grazie, Talente und Geist glänzend, wie sie war, nicht tief gedemütigt und gekränkt worden wäre dadurch, dass ein Mann ohne Geburt, ohne Vermögen, ohne irgendeine Auszeichnung, ihre Hand ausgeschlagen. Der beleidigte Stolz der jungen Frau diente, statt des ihr mangelnden Mutes, trefflich dazu, sie aufrecht zu erhalten. Allein bald führte der wahrhafte Adel ihrer Gefühle sie zu viel ernsteren Gedanken, und zum ersten Mal warf sie jetzt einen tieferen Blick aus ihr eigenes Leben und aus das ihrer Umgebungen. Sich alles ins Gedächtnis zurückrufend, was Heinrich zu verschiedenen Zeiten zu ihr gesagt, als zwischen ihnen noch von nichts anderem die Rede sein konnte, als von einer hoffnungslosen Liebe, musste sie erstaunen, dass sie das nicht ernster genommen habe, was sie da, als für romanhafte Ideen des jungen, wahrhaft biedern Mannes gehalten hatte. Sie begann ihn mit jener Ruhe zu beurteilen, welche ein edler und starker Wille inmitten der heftigsten Bewegungen des Herzens wiederbringt. In dem Maße, in welchem die Nacht verlief und die Uhren der Nachbarschaft mit ihrer silbertonigen Stimme eine Stunde nach der andern über die große, schlummerbefangene Stadt hinriefen, gelangte Marcelle zu jener Erleuchtung des Geistes, womit die Sammlung einer langen Nachtwache die Stelle des Schmerzes ersetzt.

      Erzogen in ganz andern Lebensansichten als die, welche Lemor hatte, hatte es das Schicksal dennoch gefügt, dass sie die Liebe dieses Plebejers teilen und in derselben eine Zuflucht suchen sollte gegen die Langeweile und die Traurigkeit des aristokratischen Lebens. Sie war eine jener zugleich zarten und starken Seelen, welche das Bedürfnis der Hingebung empfinden und kein anderes Glück kennen, außer dem, welches sie selbst geben. Unglücklich in ihrer Ehe, gelangweilt von der Gesellschaft, hatte sie sich mit dem romanhaften Vertrauen eines jungen Mädchens dieser Liebe überlassen, welche ihr gar bald zu einer Religion geworden. Aufrichtig fromm, musste sie für einen Liebhaber, welcher ihre Skrupel achtete und ihre Keuschheit ehrte, leidenschaftlich eingenommen werden. Ihre Frömmigkeit selbst hatte sie für diese Liebe begeistert und sie zu dem Entschlusse getrieben, dieselbe durch unauslösliche Bande zu heiligen, sobald sie sich frei sah. Sie hatte mit Freude daran gedacht, die materiellen Vorteile, welche die Welt so hoch anschlägt, mutig zum Opfer zu bringen, und nicht minder die eingebildeten Vorrechte der Geburt, welche ihr Urteil nie hatten irreführen können. Sie glaubte, viel zu tun, das arme Kind, und sie hätte in der Tat viel getan, denn die Welt hätte sie entweder darob geschmäht oder verhöhnt. Sie hatte nicht vorhergesehen, dass dies alles nichts sei und dass der Stolz des Plebejers ihr Opfer fast wie eine Beleidigung aufnahm.

      Mit einmal von Schrecken und Schmerz, sowie von dem Widerstand Lemors erleuchtet, wiederholte sich Marcelle alles, was sie von der sozialen Krise vernommen, welche unser Jahrhundert in Bewegung setzt. Es ist dieser Gegenstand dem Gedankenkreis hochgestellter Frauen dermalen kein fremder mehr und kann es nicht sein. Sie alle können, je nach dem Grade ihrer Bildung und ihrer Einsicht, ohne affektiert zu erscheinen, ohne lächerlich zu werden, unter allen möglichen Formen, in Journalen und Revuen, in philosophischen, politischen und poetischen Werken immer wieder das große, traurige, widerspruchsvolle und doch so tiefe und bedeutungsvolle Buch der Gegenwart und ihrer Probleme wiederfinden und lesen. Marcelle wusste also ebenso gut, wie wir alle, dass unsere schlaffe und kranke Gegenwart im Streite liegt mit der Vergangenheit, von welcher sie rückwärts gezogen, und mit der Zukunft, von welcher sie vorwärts gerufen wird. Sie sah gewaltige Blitze über ihrem Haupt sich kreuzen und vermochte eine große Umwälzung in näherer oder entfernterer Zeit vorauszusehen. Sie war keine kleinmütige Natur, sie hatte keine Furcht und schloss nicht die Augen. Die Klagen, die Schrecken, die Vorwürfe und Beschuldigungen ihrer Großeltern hatten sie so sehr unempfänglich für die Furcht gemacht! Die Jugend ist nicht gewillt, ihre Blütezeit zu verwünschen, und die Jahre ihrer Reize sind ihr teuer, seien sie auch von Stürmen getrübt. Die zärtliche und mutvolle Marcelle sagte sich, dass man bei Donner und Hagel unter dem Schutz des ersten besten Strauches lächeln könne, so einem das Wesen, das man liebe, zur Seite wäre. Der drohende Kampf der materiellen Interessen erschien ihr demzufolge nur als ein Spiel. ›Was tut es, ruiniert, exiliert, eingekerkert zu werden?‹ fragte sie sich, wenn sie in ihrer Umgebung den ahnungsvollen Schrecken über den anscheinend Glücklichen des Jahrhunderts schweben sah; die Liebe wird man nicht verbannen können und, ›was mich betrifft, so liebe ich ja, Dank dem Himmel! einen Proletarier, welcher verschonet bleiben wird.‹ Nur daran hatte sie nicht gedacht, dass durch diesen dumpfen und geheimnisvollen Kampf, welcher sich vollenden wird, allen offiziellen Gewaltmaßregeln einerseits und aller scheinbaren Entmutigung andererseits zum Trotz, ihre Neigungen bis ins innerste Mark getroffen werden könnten.

      In diesem Kampf der Gefühle und der Gedanken, welcher gegenwärtig bereits heftig sich entfacht hat, sah sich Marcelle mitten aus ihren Illusionen herausgestürzt, so plötzlich, wie man aus einem Traum auffährt. Der intellektuelle und moralische Krieg war zwischen den verschiedenen, von entgegengesetzten Überzeugungen und Leidenschaften geleiteten Klassen erklärt und Marcelle sah in dem Manne, welcher sie anbetete, eine Art von unversöhnlichem Feind. Anfangs in Schrecken gejagt von dieser Entdeckung, machte sie sich vertraut mit den neuen Ideen, welche ihr dann vorher ungeahnte, noch edlere und romantischere Aussichten eröffneten als die, welche sie sich seit einem Monat geschaffen, und als sie endlich den langen nächtlichen Spaziergang durch ihre einsamen und schweigenden Gemächer beendigte, hatte sie die Ruhe zu einem Entschluss gewonnen, welchen vielleicht nur sie allein ohne ein Lächeln der Bewunderung oder des Mitleids ins Auge fassen konnte.

      Dies ereignete sich vor nicht gar langer Zeit, möglicherweise im vergangenen Jahre.

      Da Marcelle ihres Vaters Brudersohn geheiratet hatte, so trug sie vor, wie nach ihrer Verehelichung, den Namen Blanchemont. Das Gut und das Schloss Blanchemont machten einen Teil ihrer Erbschaft aus. Die Besitzung war sehr bedeutend, allein das Schloss, schon seit mehr als hundert Jahren den Pächtern überlassen, wurde nicht einmal mehr von diesen bewohnt, weil es einzustürzen drohte und seine Wiederherstellung als zu kostspielig erschien. Früh verwaist, zu Paris in einem Kloster erzogen, sehr jung verheiratet und von ihrem Gatten nicht in die Verwaltung ihres Vermögens eingeweiht, hatte Frau von Blanchemont diese Besitzung ihrer Ahnen nie gesehen. Jetzt, da sie entschlossen war, Paris zu verlassen und auf dem Lande ein den von ihr gefassten Entschlüssen zuständiges Leben zu führen, wollte sie ihre Pilgerschaft mit einem Besuch auf Blanchemont beginnen, um sich, wenn ihr der Aufenthalt gefiele, später dort niederzulassen. Sie wusste um den Verfall ihres Schlosses und es war dies ein Grund mehr für sie, ihre Blicke auf diesen Ort zu richten. Die Verwirrung, in welcher ihr Mann ihre Angelegenheiten hinterlassen, und die Unordnung, in welcher sich nach seinem Tode seine eigenen vorfanden, dienten ihr zum Vorwand, diese Reise zu unternehmen, deren Dauer, wie sie sagte, sich auf wenige Wochen beschränken sollte, während sie in ihren Gedanken weder einen bestimmten Zweck, noch eine bestimmte Frist festsetzte. Ihre wahre Absicht war, Paris zu verlassen und die Lebensweise zu beginnen, welche sie sich vorgesetzt. Zum Glück für ihre Absichten, hatte sie niemand in ihrer Familie, welcher sich’s in den Kopf setzen konnte, sie begleiten zu wollen. Als einzige Tochter brauchte sie sich nicht gegen den unerwünschten Schutz einer Schwester oder eines älteren Bruders zu verteidigen. Die Eltern ihres Mannes waren sehr betagt und, nicht wenig erschrocken über die Schulden des Verstorbenen, welche nur durch kluge Anordnungen getilgt werden konnten, waren sie zugleich erstaunt und erfreut, als sie eine Frau von zweiundzwanzig Jahren, welche bisher wenig Geschick und Geschmack für Geschäfte verraten, den Entschluss fassen sahen, ihre


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