Die Schlucht. Иван Гончаров

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Die Schlucht - Иван Гончаров


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nicht leben. Wenn er sie fragte: ›Liebst du mich? Wie?‹ – dann umschlang sie seinen Nacken, preßte ihn ganz fest an sich und sagte nach Kinderart: ›So liebe ich dich, siehst du!‹ Und fragte er sie: ›Wirst du je aufhören, mich zu lieben?‹ – dann sagte sie nachdenklich: ›Ja, wenn ich sterbe!‹

      Sie liebte, ohne etwas zu verlangen, ohne einen Wunsch zu äußern, sie nahm den Freund so hin, wie er war, und kam nie auch nur auf den Gedanken, daß er vielleicht anders sein könnte oder sollte. Niemals fiel es ihr ein, zu fragen, ob es nicht noch eine andere Art zu lieben gebe, oder ob alle so liebten wie sie.

      Er aber träumte von einer Leidenschaft, die sich in endlos wechselnden Formen offenbarte, von funkelnden Blitzen, von einer heißen Glut, einer starken, lodernden, eifersüchtigen Liebe, der die Zeit nichts anhaben konnte, die mit der Dauer nicht an Kraft verlor.

      Natascha war voller, schöner geworden, sie war heiter und froh – niemals jedoch erschien auf ihrem Gesichte jener geheimnisvolle Strahl verhaltenen, stillen Entzückens, nie zuckte in ihrem Auge jener süße Wahnsinn, in dem die flammende Leidenschaft aus der heiß durchloderten Seele emporschlägt.

      Und doch war alles da, was zu dauerndem Glücke gehörtet ein stiller, behaglicher Winkel, in dem das Herz sich heimisch fühlen konnte, und eine lohnende, schöne Lebensaufgabe für den Geist: an der eigenen Vervollkommnung zu arbeiten und zugleich diese junge, empfängliche Frauenseele zu entwickeln und zu leiten. Auch das war ja schöpferische Arbeit: so auf ergiebigem Boden für sich selbst zu schaffen und das lebendige Ideal des eigenen Glückes zu gestalten.

      Aber seine Phantasie hatte ein Verlangen nach dem Mannigfaltigen, dem Wechsel, der Unruhe. Rastete sie, so schlief sie ein, sein Leben kam gleichsam zum Stillstand. Sie aber wußte nichts davon, hatte nicht den geringsten Argwohn, welche böse Schlange neben der Liebe in seinem Herzen lauerte.

      Von dem Augenblick an, da sie ihn liebgewonnen hatte, war in ihren Augen und ihrem Lächeln ein stilles Paradies aufgeleuchtet: zwei Jahre lang hatte es darin gelebt, und noch jetzt strahlte es aus den sterbenden Augen. Die erkaltenden Lippen flüsterten unverändert, wie im Anfang: ›Ich liebe‹ – und die Hände wiederholten die zärtlichen Liebkosungen, die sie gewöhnt waren.

      Von ihrer Liebe ermüdet, war er zuweilen für ganze Wochen und Monate verschwunden, und als er dann wiederkam, hieß ihn dasselbe Lächeln, derselbe stille Glanz der Augen, dasselbe zärtliche Liebesgeflüster willkommen.

      Er war überzeugt, daß das immer so sein würde, und er freute sich anfangs dieses sicheren Besitzes; bald aber fand er in dieser Sicherheit ein Körnchen Langeweile, und damit begann der Zerfall seines Glückes.

      Niemals ein Vorwurf, eine Träne, ein erstaunter oder beleidigter Blick, weil er nicht mehr so war wie früher, weil er morgen wieder ein anderer sein würde als heute, weil sie ihre Tage allein und verlassen, in quälender Einsamkeit zubringen mußte.

      Ihr Herz, ihr Sinn wußte nichts von Klagen und Tränen, kein unwilliges Wort kam von ihren Lippen. Sie ahnte nicht, daß es Leid und Tränen gab für ein liebendes Herz, daß man eifersüchtig sein, Wünsche haben, ja sogar fordern dürfe auf Grund der Rechte, welche die Liebe verlieh.

      Sie kannte nur ein Recht, hatte nur einen Wunsch: zu lieben. Sie war davon überzeugt, daß man nur so lieben, nur so geliebt werden könne, und daß alle Welt so liebe und so geliebt werde.

      Seine Abwesenheit empfand sie wohl als eine unangenehme Zufälligkeit, doch nicht anders, als etwa seine zufällige Erkrankung. Und kehrte er dann zurück, so schwelgte sie in stiller, demütiger Glückseligkeit und war vollkommen überzeugt davon, daß, wenn er fortblieb, es eben nicht anders sein konnte.

      Wohl war ihr im Leben auch von anderer Seite schon Böses zugefügt worden: sie war erblaßt vor Schmerz, vor Bestürzung, war in die Knie gesunken vor Schreck und hatte unbewußt gelitten – aber voll Demut hatte sie das alles hingenommen, ohne zu wissen, daß man eine Beleidigung erwidern, daß man Böses mit Bösem vergelten könne.

      Sie hing sich gleichsam an das, was ihrem Herzen sympathisch war, und starb aus lauter Anhänglichkeit, immer in dem Glauben, daß es nur so und nicht anders sein könne.

      Sie war wie ein reines, leuchtendes Bild, wie eine der Greuzeschen Gestalten, voll einfältiger, unbewußter Lieblichkeit und Liebessehnsucht, liebend in die Welt gekommen und liebend, mit einem stillen, demütigen Gebet auf den Lippen aus der Welt scheidend.

      Das Leben und die Liebe hatten ihr ihre Hymnen gesungen, und sie hatte ihnen nachdenklich, in süßem Sinnen gelauscht, und mit Tränen der Rührung und des Glaubens, ohne Vorwurf, daß ihr ein Schmerz, ein Leid angetan worden, schied sie aus dem Dasein.

      Sie starb als ein Opfer mangelhafter Erziehung und Aussicht, als ein Opfer der dumpfen Enge, in der sie ihre Kindheit verbracht hatte, und des ererbten Krankheitskeimes, der sich in ihrem Organismus weiter entwickelt hatte – starb, weil dieses ewige ›Es muß so sein‹, ob sie gleich keinen Widerstand leistete, sich doch schwerer und schwerer auf ihre schwache, junge Brust legte und sie erdrückte.

      Sie hätte, selbst wenn sie alt geworden wäre, niemals das Leben oder den Freund angeklagt, hätte ihm wegen seiner unbeständigen Liebe nie Vorwürfe gemacht noch überhaupt jemandem an ihrem Schicksal Schuld gegeben, wie sie auch jetzt niemandem die Schuld an ihrem Tode zuschrieb. Für ihr ganzes schmerzensreiches, martervolles Leben wie für ihren vorzeitigen Tod hatte sie nur das eine Wort: ›Es muß so sein.‹

      Sie fragte niemals, was diese Apathie, diese Langeweile, dieses Schweigen bedeute, das im Wesen des Freundes oft zutage trat, wenn er bei ihr weilte. Sie ahnte nicht, daß seine Liebe sich überlebt hatte, und was der Grund davon war.

      Er aber dachte oft, wenn er so mürrisch und schweigend neben ihr saß, ohne auf ihr harmloses Liebesgestammel zu hören oder ihre zärtlichen Liebkosungen zu beachten: ›Nein – das ist nicht das Weib, das wie ein kräftiger Strom in mein Leben einbricht und, alle Hindernisse hinwegreißend, sich breit über die Fluren ergießt. Oder das wie eine Feuersäule meinen Weg erhellt, meine Kräfte hervorlockt, ihre Energie entflammt und jeden Augenblick, jeden Gedanken mit zitternder Glut, mit Schönheit und Leidenschaft erfüllt . . . Nein, das ist nicht jene, die mein Leben zu lenken vermöchte, die mir helfen könnte, seinen Sinn und sein Ziel zu ergründen und die Aufgabe, die es mir stellt, zu erfüllen. Wo finde ich eine solche Löwin? Denn dieses Lämmchen da ist zufrieden, wenn es sein Gras zupfen, sich mit dem Schwanze die Fliegen jagen und sich an mich wie an eine Mutter anschmiegen kann . . . Das ist das Vegetieren einer Pflanze – das ist kein Leben mehr, sondern ein Träumen . . .

      Er beantwortete ihr verliebtes Geflüster und ihre Zärtlichkeiten mit einem breiten Gähnen, nahm den Hut und verschwand für Wochen und Monate, um sich entweder in seine Kunststudien zu vertiefen oder an den geräuschvollen Schmausereien im Freundeskreise zu betäuben.

      Jetzt saß er an ihrem Sterbebett – die Geschichte Nataschas und seiner Liebe zu ihr zog an seinem Geiste vorüber, und als nun das Bild der Sterbenden mit stummem Vorwurf vor sein geistiges Auge trat, da erbleichte er.

      Er erinnerte sich der schweren Vernachlässigung, deren er sich ihr gegenüber schuldig gemacht hatte. Es war ja die einzige Art von Kränkung, die er ihr zugefügt hatte; aber selbst der Teufel wäre in die Knie gesunken vor dem stillen, sanften Blick dieser blauen Augen. Er hätte sich selbst verfluchen mögen, weil er als Entgelt für dieses junge Leben, das sich ihm – nur ihm allein – ganz und gar hingegeben, nicht einen ganzen Ozean von Liebe dargeboten hatte, daß er sie nicht mit aller Zärtlichkeit eines Vaters, eines Bruders, eines Gatten umgeben, nicht alle Widerwärtigkeiten, jeden Windhauch und vollends den Tod von ihr ferngehalten hatte.

      ›Den Tod! O Gott, gib ihr das Leben und das Glück und nimm dafür alles hin, was ich habe!‹ tönte es in ihm wie ein verzweiflungsvolles Gebet. Er sah sich in Gedanken zum Schafott emporsteigen und den Kopf auf den Richtblock legen, und er schrie:

      ›Ich bin ein Verbrecher! . . . Wenn ich sie auch nicht getötet habe, so ließ ich es doch zu, daß sie getötet ward. Ich wollte sie nicht verstehen – ich suchte Höllenflammen und Blitze dort, wo nur das stille, holde Leuchten eines Lämpchens war. Wer bin ich denn nur, o mein Gott? Bin ich wirklich ein Bösewicht? Habe ich wirklich? . . .‹

      Er


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