Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding
Читать онлайн книгу.Ministerpräsident stand unbeweglich. Breiter wölbte sich seine Brust, straffer spannten sich die mächtigen Muskeln seines Armes, flammender leuchteten die Blitze, die seine Augen emporschossen und die durch die Decke des Salons den dunkeln Nachthimmel mit seinen Sternen zu suchen schienen.
Da noch einmal klangen jene tiefen Trompetenstöße, die hellen Tonsalven sprühten auf und nach einer kurzen Pause ging Herr von Keudell zu dem Finale der As-Dur-Sonate über.
Herr von Bismarck blickte um sich, als ob er aus einem Traum erwache. Einen Augenblick stand er noch still und wie unbewußt flüsterte er die Worte:
»Und wenn ich untergehen soll, so soll auf solchen Tönen meine Seele aufsteigen. Würde je ein Dichter am Grabe eines Helden das fühlen können, was hier in Tönen wiederklingt, wenn es keine Männer gäbe, deren Herz die Zweifel zu bannen vermöchte? Jacta est alea!«
Und ohne an seine Umgebung zu denken, verließ er geräuschlos den Salon.
Herr von Keudell spielte die Sonate zu Ende.
Frau von Bismarck blickte ihrem Gatten ängstlich nach.
Als die Musik beendet, sagte sie zu dem Legationsrath, der den Flügel verlassen hatte und wieder zu ihr getreten war:
»Ich bin überzeugt, mein armer Mann ist krank, suchen Sie ihn doch zu überreden, daß er mehr an seine Gesundheit denkt!«
»Ich thue was ich kann, gnädigste Frau,« erwiederte Herr von Keudell — »allein Sie wissen, er ist schwer zu überreden in diesem Punkt. Uebrigens glaube ich nicht,« fügte er hinzu, »daß er jetzt leidend ist, oft kommen ihm Gedanken während der Musik, es wird ihm etwas eingefallen sein, und er wird sich entfernt haben, um es zu notiren.«
Herr von Bismarck war indeß festen Schrittes in sein Kabinet zurückgekehrt und hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Unentschlossenheit oder Bewegung, über der kalten Ruhe seiner Züge lag nur, wie ein ruhiges Licht, der klare Ausdruck eines festen, unbeugsamen Willens.
Er ergriff eine Feder und schrieb, ohne zu zögern und anzuhalten, eine Reihe von Notizen auf einen der auf seinem Tische bereit liegenden Bogen.
Nachdem er ungefähr eine halbe Stunde geschrieben, schellte er mit der neben ihm stehenden Glocke.
Sein Kammerdiener erschien an der Thüre.
»Ist Herr von Keudell noch im Hause?«
»Zu Befehl, Excellenz.«
»Ich lasse ihn bitten, einen Augenblick herüberzukommen.«
Einige Minuten später trat der Legationsrath herein.
»Lieber Keudell,« sagte Herr von Bismarck, »ich habe hier die Notizen für eine Instruktion an die Gesandten in Wien, Frankfurt und Paris aufgesetzt, wollen Sie so gütig sein, für deren schleunige Expedition Sorge zu tragen. Abeken wird mit seiner gewohnten Gewandtheit die Fassung ganz in meinem Styl machen. Usedom muß dieselbe Instruktion mit dem Zusatz erhalten, den ich am Rande bemerkt.«
»Ich werde Alles so schnell als möglich besorgen,« sagte Herr von Keudell sich verbeugend, »und morgen sollen die Expeditionen abgehen.«
Er hatte inzwischen einen Blick auf den Bogen geworfen, den er in seiner Hand hielt.
»Excellenz,« sagte er fast erschrocken, »das ist der Krieg.«
»Er ist es,« sagte Herr von Bismarck, — »und nun gute Nacht, lieber Keudell, — auf morgen; wir müssen schlafen, — ich bin wirklich sehr müde und meine Nerven verlangen Ruhe.«
Herr von Keudell zog sich zurück.
Eine halbe Stunde später lag das Hotel des auswärtigen Amtes in tiefer Stille, bedeckt von der nächtlichen Dunkelheit, wie die Hand der Vorsehung ihren dichten Schleier über die Geschicke der zukünftigen Tage legt.
Zweites Kapitel.
In der Gegend der hannöverischen Stadt Lüchow liegt jener reiche und eigenthümliche Landstrich, den man — abgesehen von den offiziellen Landeseintheilungen — allgemein mit dem Namen »das Wendland« bezeichnet. Es ist dieß einer jener Striche in Deutschland, in welchen der alte Wendenstamm mit der ihm eigentümlichen Zähigkeit sich rein erhalten hat und in seiner besonderen Art und Sitte fortlebt.
Es ist ein schönes, reiches, blühendes Land, dieses Wendland; nicht schön im Sinne pittoresker Landschaften, welche durch den Wechsel der Höhen und Tiefen überraschende Gruppirungen dem Auge darbieten — aber wohlthuend durch die reiche Ruhe, welche auf den weiten Ebenen liegt. Hohe und schöne Baumgruppen sind die einzige Abwechslung, welche die Gleichmäßigkeit der Wiesen und Felder unterbrechen, aus diesen Baumgruppen von seltener Schönheit und Mächtigkeit glänzt im gelblichen Sonnenstrahle, der diesen Gegenden eigen ist, hier die einfache Kirche eines stillen Dorfes, dort das Dach eines alten Edelsitzes, weiterhin der Umriß einer kleinen Stadt hervor, von welcher man schon beim fernen Anblick das Gefühl hat, es müsse sich friedlich da wohnen lassen, fern vom Geräusch der Welt, deren brausende und rauschende Wellen nur im langsamen Abrollen hier an diese ruhigen Wohnstätten stiller Menschen heranspülen. Dazwischen breiten sich große sandige Flächen mit gewaltigen Föhrenwaldungen aus, — eintönig und einsam, haben sie etwas voll der Schönheit des Meeres — weithin zieht sich der sandige einsame Weg, das Wild nähert sich weniger scheu den Landstraßen, eine neugierige Dohle begleitet den Wagen, die starken Pferde ziehen im langsamen, aber kräftigen Schritt dahin, man sieht nichts als Himmel, Föhren und Sand, und wenn man einem anderen Wagen begegnet, der in entgegengesetzter Richtung den Weg verfolgt, und den man schon aus der Ferne erblickt, so grüßt man die Reisenden, wechselt auch wohl ein paar Worte und freut sich der Begegnung. Naht man dann dem Ende der Föhrenwaldung und senkt sich der Schatten des reichen Laubholzes auf das sonnenmüde Haupt, zeigt sich die frische Fülle der bewohnten Gegenden dem Auge, so richtet man sich froher auf, tiefer athmet die Brust die weiche Luft ein, die Pferde schütteln die Köpfe und beginnen von selbst einen munteren Trab, und der Kutscher lockt durch sein fröhliches und kunstreiches Peitschenknallen die Dorfhunde aus den Gehöften hervor.
Kurz es ist ein Land, in dem noch das Reisen seine alten Mühen und Strapazen und seine alte Poesie erhalten hat, in dem noch in den Städten die alte Sitte, die alten Gewohnheiten leben, in dem auf den Edelsitzen die alte Gastfreundschaft Thor und Thür weit aufthut, wenn ein Reisender sich naht — bringt er doch einen Athemzug frischen Lebens aus jener großen Welt mit, der man so fern ist und deren Ereignisse nur wie Sagen herüberklingen in den ruhigen Kreislauf des friedlichen Lebens im Hause.
So ist das alte, einfache, schöne und treue Wendland. Seine Bewohner sind wie das Land. Gesund und kräftig wie die Natur, in der sie leben, einfach wie diese, reich, weil sie haben, was sie bedürfen, und keine Bedürfnisse suchen, die sie nicht befriedigen können, stark in ihren einfachen Gefühlen, klar in ihrem einfachen Denken, voll natürlicher, unbewußter Poesie, in ihren Herzen voll warmen reinen Blutes.
In einer jener langgedehnten einsamen Föhrenwaldungen ritt um die untergehende Sonne eines der ersten Tage des April 1866 auf der sandigen Landstraße ein junger Offizier in der Interimsuniform des hannöverischen Cambridge-Dragoner-Regiments. Er ließ sein schönes, schlankgebautes Pferd im langsamen Schritt vorwärts gehen und saß selbst nachlässig und gedankenvoll im Sattel, ohne auf den Weg zu achten, den das Pferd zu kennen schien. Ein leichter hellblonder Schnurrbart bedeckte die Oberlippe des jungen Mannes, sein blaues Auge sah träumerisch in die Ferne, als suchte es in den hellgoldenen Abendwolken, welche die untersinkende Sonne umlagerten, die Bilder, welche sein Inneres erfüllten und beschäftigten. Das kurzgeschnittene, leicht gelockte Haar quoll mit einer gewissen Koketterie unter der leichten Dienstmütze hervor und sein etwas bleiches Gesicht zeigte bei der Kraft jugendlicher Gesundheit jene eigentümliche Zartheit, welche jungen Leuten, die sehr schnell hoch aufgeschossen sind, noch einige Jahre nach vollendetem Wachsthum anhaftet.
Der junge Offizier mochte etwa eine Viertelstunde