THE ASCENT - DER AUFSTIEG. Ronald Malfi
Читать онлайн книгу.und schützt sich mit einer Bomberjacke vor dem Fahrtwind. Das Einzige, das jetzt noch fehlt, ist ein seidener Schal, der um seinen Hals flattert. Hannah ist auf dem Beifahrersitz. Sie lacht, und ich kann das Funkeln der Sonne auf ihren Zähnen sehen, und die schwachen Linien, die sich um ihre Mundwinkel abzeichnen. Ihr Haar ist kurz geschnitten, kräuselt sich auf Höhe der Kiefer und glänzt wie frisch poliertes Kupfer unter einer Nachmittagssonne. Als der Wagen gegen etwas auf der Piste aufschlägt – einen in die Straße hineinragenden Ast, oder einen großen Stein – reist David das Lenkrad herum, und Hannahs Lachen erstirbt. Ich sehe, wie der Wagen auf dem engen Weg ins Schlittern gerät und auf eine kleine, grasige Anhöhe zurast. Das Fahrzeug erreicht den Gipfel und in dem Moment erscheint es nur vernünftig, dass es am Scheitelpunkt zur Ruhe kommt, schaukelnd zwar auf dem Unterboden, aber trotzdem sicher. Stattdessen stürzt es unvermittelt weiter und rollt auf der anderen Seite wieder hinab. Der Wagen kippt nach vorn und kracht in das gebirgige Terrain weiter unten, wo er dann in einem explodierenden Kelch aus Feuer in Flammen aufgeht. Diese Vorstellung geistert beständig durch meinen Kopf, während ich im Sterben liege.
– 2 –
Zumindest dachte ich, dass ich mich im Sterben befände …
Meine Augen blinzelten, sehen konnte ich aber dennoch nicht. Pure Finsternis umgab mich. Meine Hand tauchte durch das kalte Wasser, bis sie die zylindrische Form der Taschenlampe ertastet hatte. Ich schlug sie ein paarmal in meine Handfläche, bis der Lichtstrahl anging. Im Schein der Lampe konnte ich eine Wand aus Kalkstein sehen, weniger als zwei Meter von meinem Gesicht entfernt. Ich befand mich in einer Art Höhlenkammer, lag ausgebreitet in knöcheltiefem Wasser, 1.100 Fuß unter der Erdoberfläche, und verlor langsam die Orientierung.
Beim Versuch, mich aufzusetzen, schoss ein sägender Schmerz durch mein linkes Bein, raste an den Nervenbahnen hoch ins Gehirn und detonierte in einem Farbenrausch hinter meinen Augen. Ich richtete den Strahl auf eine der Höhlenwände und schloss die Augen, bis sich meine Atmung halbwegs beruhigt hatte. Die Dummheit, allein aufgebrochen und hergekommen zu sein, traf mich wieder mit aller gebührenden Wucht. Es verstieß einfach gegen die allgemeingültigen Regeln. Mindestens zu zweit eine Expedition begehen; Bekannten davon berichten, wohin man unterwegs ist, sodass sie deine Rückkehr abschätzen können. Dämlich, wie ich war, hatte ich mich an keinen der aufgestellten Leitfäden gehalten.
»Scheiße«, stieß ich zwischen zusammengepressten Lippen heraus. Ich streckte den Arm aus und konnte die Stelle an meinem Bein spüren, wo ein schartiges Stück meines Schienbeins die Haut und den Stoff der Hose durchstoßen hatte. Um nicht den Verstand und das Bewusstsein zu verlieren, weigerte ich mich, die Taschenlampe auf die Wunde mit dem offenen Bruch zu richten, sondern führte den Strahl der Lampe an den Wänden der Höhle entlang. Das Licht wurde von den wie zu Wurfspeeren gefrorenen Formationen reflektiert und gebrochen. An einer Stelle brach sich der Schein in einem Regenbogen und ich versuchte, ihn in dieser Position zu halten, regungslos und den Atem anhaltend.
Trotz der Kälte schwitzte ich in meinem Anorak. An meiner Hüfte hingen Metallhaken, die sich langsam in mein Fleisch bohrten. Ich korrigierte meine Haltung und wischte mir mit einer stark zitternden Hand den Schweiß von den Augenbrauen. Ich sah nach oben. Die Decke der Höhle schien sich direkt auf mein Gesicht zu legen. Darin eingebettet waren die Kalziumablagerungen und der zu verschieden glänzenden Mustern angeordnete Glimmer zu sehen. Ich entdeckte auch wieder das schmale Loch; das Loch, durch welches ich so fahrlässig hinuntergestürzt war, und in diesem Moment ging der Strahl der Taschenlampe ein weiteres Mal aus.
Absolute Schwärze …
»Mach schon, du verdammtes Scheißding …«
Wieder schlug ich einige Male gegen die Lampe, aber diesmal blieb sie aus. Sekunden waren inzwischen vergangen, aber sie kamen mir wie Stunden vor. Der Schmerz schien in der Dunkelheit zuzunehmen und pochte synchron mit dem Blut aufgerissener Kapillaren in meinen Augen. Ich konnte meinen eigenen, abgestandenen Atem riechen, der wie ein Hall in der engen Höhle auf mich zurückgeworfen wurde. Wie viel Luft verblieb mir hier unten? Wie lange mochte es dauern, bis ich schließlich ausbluten würde.
Nach einer Weile stellte ich fest, dass ich trotz der Dunkelheit meine blassen Hände sehen konnte – offenbar war die Finsternis doch nicht so absolut, wie ich es zunächst befürchtet hatte. Aus zusammengekniffenen Augen konnte ich einen äußerst schwachen Lichtstreif erkennen, eine etwa münzgroße Öffnung weit über meinem Kopf. Ich wusste nicht, ob es sich hierbei um Tageslicht oder um die Reflexion von einer mit Eis überzogenen Oberfläche handeln mochte. Es war, als ob ich inmitten eines Spiegelkabinetts nach der echten Welt suchen würde. Plötzlich ging die Taschenlampe in meiner Hand wieder an und ließ mich erschrocken zusammenfahren. Ich richtete den Strahl hinauf zu der unscheinbaren kleinen Öffnung über mir, wo er in der Entfernung zunächst abgedämpft und dann von einer milchigen Dunkelheit verschluckt wurde. Ich musste an die 20 bis 30 Fuß tief gefallen sein, war mir aber nicht sicher über die tatsächliche Höhe.
Im Licht der Lampe konnte ich an den Wänden der Kammer vage Strukturen ausmachen, die mir womöglich als Kerben für meine Hände dienen könnten, aber der Schacht an sich wirkte erschreckend schmal. Wie um alles in der Welt war es mir nur gelungen, so einen engen Schacht hinunterzustürzen?
Du bist auf diesem Weg runtergekommen, sagte ich mir. Und du kannst auch auf demselben Weg wieder nach oben.
Ich tat einen tiefen Atemzug und versuchte mich auf meinem unverletzten Bein aufzurichten. Die Hose um meine Schenkel, die praktisch die ganze Zeit in dem Wasser gelegen hatten, waren vollgesogen und taub. Der Schaft war schmal genug, um mich gegen die Wand zu lehnen und die Belastung von meinem gebrochenen Bein zu nehmen, obwohl die geringste Veränderung meiner Körperhaltung unsägliche Schmerzen mit der Wucht eines Wirbelsturms durch meinen Körper fegte. Ich biss die Zähne so fest aufeinander, dass ich sie beinahe zu Pulver zermahlen konnte. Aber es gelang mir trotz der Widrigkeiten, mich auf ein Bein aufzustützen, und meinen Kopf und die Schultern den schmalen Schacht aufwärts zu schieben. Ich hörte meinen Anorak reißen und die Metallhaken entlang der Eiswände reiben. Jedes Mal, wenn ich ausatmete, wurde mir die verbrauchte Luft im Schacht zurückgeworfen. Die Öffnung war so schmal, dass ich meine Arme nicht anheben konnte. Für eine panikerfüllte Sekunde war ich davon überzeugt, hier drinnen festzustecken. Irgendwie schaffte ich es aber, freizukommen und mich durchzuschieben. Ich musste die Muskeln anspannen, wodurch sich der ohnehin knappe Raum noch weiter um mich schloss und ich mit einer an meine Brust gehobenen Hand in meiner Bewegung erstarrte. Die Hand mit der Taschenlampe hing immer noch an meiner Seite, zu klobig, um sie im Schacht anzuheben, und so orientierte ich mich an dem kleinen, verschwindend geringen Lichtpunkt weit über mir. Mein verletztes Bein ließ sich nicht strecken, doch ohne die Beine auszustrecken, würde es unmöglich werden, aus dem Schaft zu klettern. Sogleich verwarf ich diesen Gedanken und versuchte, die freie Hand nach unten zu bringen, schaffte es aber nicht – ich klemmte fest.
Jesus …
Ich dachte über meinen SUV nach und das war kein gutes Zeichen. Mein metallisch-grüner Jeep war abseits der Hauptstraße geparkt und nur sichtbar, wenn man auch wirklich danach Ausschau halten würde. Nicht, dass jemand auf diesen Gedanken kommen würde. Aus meinen zahlreichen Unterhaltungen mit Höhlenforschern wusste ich, dass man ganz schön in der Scheiße saß, wenn man sich Gedanken darüber machte, ob das eigene Fahrzeug vom Highway aus zu sehen war oder nicht; hing man erst mal dieser Überlegung nach, hatte man bereits die berühmt-berüchtigte Arschkarte gezogen.
Fünf Jahre alt, ging es mir plötzlich durch den Kopf. Schwimmunterricht. Dad sagt dir, dass du deinen Kopf unter Wasser halten sollst, halt den Kopf unter Wasser, halt den Kopf unter Wasser. Ein tiefer Atemzug, und dann halte den Kopf …
»Unter Wasser«, flüsterte ich.
Ich sprach es nicht aus, um es zu hören, vielmehr, um die Luft aus meiner Lunge zu atmen und den Brustkorb so weit wie möglich einzuziehen. Der Fels lockerte seinen eisernen Griff um mich und nun gelang es mir wieder, die festgeklemmte Hand zu bewegen. Ich zog meinen Arm den engen Spalt zwischen meinem Körper und der Wand hoch und tastete mit der gefühllosen Handfläche nach einer der Kerben, die ich vorher im Schein der Taschenlampe gesehen hatte, und die mir möglicherweise