Die Ratten: Berliner Tragikomödie. Gerhart Hauptmann

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Die Ratten: Berliner Tragikomödie - Gerhart Hauptmann


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man so aus der prallen Sonne ins Finstere kommt ... in diese muffigen Kammern hinein, da ist man wie von Gespenstern umgeben.

      Frau John

      Na, kleenet Jespenst, weshalb kommen Se denn? — Sind Se alleene oder is noch jemand? — Kommt am Ende Papa noch nach?

      Walburga

      Nein! Papa ist heute zu einer wichtigen Audienz nach Potsdam hinaus.

      Frau John

      Und wat suchen denn also Sie nu woll hier?

      Walburga

      Ich? Ich bin einfach spazieren gewesen.

      Frau John

      Na, denn sehn Se man wieder, det Se fortkomm. In Papa’n seine Rumpelkammer scheint keene Pfingstsonne nich.

       Walburga

      Sie sollten auch, so grau wie Sie aussehen, mal lieber ’raus an die Sonne gehn.

      Frau John

      I, Sonne is bloß for feine Leite! Wenn ick man alle Tache meine paar Pfund Staub und Dreck uf de Lunge krieje. — Jeh man, Kindken, ick muß an de Arbeet! — mehr brauch ick nich: ick lebe von Müllstob und Mottenpulver. —

      Sie hustet.

      Walburga

       ängstlich.

      Sie brauchen Papa nicht sagen, daß ich hier oben gewesen bin.

      Frau John

      Ick? Ick habe woll sonst nischt besseret zu tun.

      Walburga

       scheinbar leichthin.

      Und sollte Herr Spitta nach mir fragen ...

      Frau John

      Wer?

      Walburga

      Der junge Herr, der bei uns im Hause Privatstunde gibt ...

       Frau John

      Na, und?

      Walburga

      Sind Sie so freundlich und sagen Sie ihm, daß ich hier gewesen aber gleich wieder gegangen bin.

      Frau John

      Also Herrn Spitta soll ick et sagen, Papa’n nich?

      Walburga

       unwillkürlich.

      Um Gottes willen nicht, liebste Frau John.

      Frau John

      Na wacht du, wacht! Jib du bloß man Obacht. Manch eene hat ausjesehn, wie du, und is aus die Jejend jekomm wie du, wo nachher in de Drajonerstraße in Rinnsteen oder jar in de Barnimstraße hinter schwedsche Jardinen zujrunde jejangen is.

      Walburga

      Sie werden doch damit nicht sagen wollen, Frau John, oder glauben wollen, daß in meiner Beziehung zu Herrn Spitta etwas Unerlaubtes oder Ungehöriges ist?

      Frau John

       in höchstem Schreck.

      Mund zu! — Et hat jemand dem Schlüssel im Schloß jestochen.

       Walburga

      Auslöschen!

      Frau John

       bläst schnell die Lampe aus.

      Walburga

      Papa!

      Frau John

      — Freilein, ruf uf’n Oberboden.

      Sie und Walburga verschwinden über die Treppe durch den Bodenverschlag, der verschlossen wird.

      Zwei Herren, der Direktor Harro Hassenreuter und der Hofschauspieler Nathanael Jettel, erscheinen durch die Flurtür im Gange. Der Direktor ist mittelgroß, glattrasiert, fünfzig Jahre alt. Er pflegt große Schritte zu nehmen und bekundet ein lebhaftes Temperament. Sein Gesichtsschnitt ist edel, das Auge von kühnem Ausdruck. Sein Betragen ist laut. Sein Wesen überhaupt durchaus feurig. Er trägt einen hellen Sommerüberzieher, den Zylinder nach hinten gerückt und übrigens Frackanzug und Lackschuhe. Der leger geöffnete Paletot enthüllt eine mit Ordensternen überdeckte Brust. — Hofschauspieler Jettel trägt unter dem leichtesten Sommerüberzieher einen weißen Flanellanzug. Er hat einen Strohhut nebst elegantem Stock in der linken Hand, gelbe Schuhe an den Füßen. Er ist ebenfalls glattrasiert und über die fünfzig alt.

      Direktor Hassenreuter

       ruft.

      John! — Frau John! — Ja, das sind nun hier meine Katakomben, lieber Jettel! Sic transit gloria mundi! Hier hab ich nun alles, mutatis mutandis, untergebracht, was von meiner ganzen Theaterherrlichkeit übrig geblieben ist: alte Scharteken! alte Lappen und Lumpen! — John! John! Sie ist hier gewesen, denn der Lampenzylinder ist heiß! — (Er zündet mit einem Streichholz die Lampe an.) — Fiat lux pereat mundus! So! Jetzt können Sie mein Motten-, Ratten- und Flohparadies bei Lichte besehen.

      Nathanael Jettel

      Haben Sie also meine Karte bekommen, bester Direktor?

      Direktor Hassenreuter

      Frau John! — Ich werde mal sehn, ob sie auf dem Boden ist. — (Er steigt sehr gewandt die Treppe hinauf und rüttelt an der Bodenklappe.) — Verschlossen! Den Schlüssel hat die Kanaille natürlich am Schürzenband. — (Er pocht wütend mit der Faust gegen die Klappe.) — John! John!

      Nathanael Jettel

       etwas ungeduldig.

      Direktor, geht es nicht ohne die John?

      Direktor Hassenreuter

      Was? Glauben Sie, daß ich Ihnen den miserablen Lappen, den Sie gerade da für Ihr Gastspiel brauchen, aus meinen dreihundert Kisten und Kasten, ohne die John, im Frack und mit sämtlichen Orden, so wie ich vom Prinzen komme, selber heraussuchen kann.

      Nathanael Jettel

      Erlauben Sie mal! In Lappen absolviere ich meine Gastreisen nicht.

      Direktor Hassenreuter

      Mensch, spielen Sie doch in Unterhosen! meinethalben! Mich stört das nicht! Nur vergessen Sie nicht, wer vor Ihnen steht. Deshalb, wenn der Hofschauspieler Jettel — na wenn schon! — gnädigst zu pfeifen geruhen, springt der Direktor Harro Hassenreuter noch lange nicht. Sapristi! wenn irgendein Komödiant einen schäbigen Turban oder zwei alte Transtiefel braucht, muß sich ein pater familias, ein Familienvater den einzigen Sonntagnachmittag unter den Seinen abknapsen? Soll womöglich wie ’n Tackel auf allen Vieren in alle Bodenwinkel hinein? Nein, Freundchen, da müßt Ihr Euch andere aussuchen.

      Nathanael Jettel

       sehr ruhig.

      Könnten Sie mir nicht sagen, Direktor, wer Ihnen in Gottes Namen auf die Krawatte getreten hat?

      Direktor Hassenreuter

      Mein Junge, ich habe noch vor kaum einer Stunde die Beine unterm Tisch eines Prinzen gehabt: post hoc, ergo propter hoc! — Ich setze mich Ihretwegen in einen verfluchten Omnibus und kutsche in diese verfluchte Gegend ... wenn Sie meine Gefälligkeit nicht zu würdigen wissen: scheren Sie sich!

      Nathanael Jettel

      Sie haben mich auf vier Uhr hierher bestellt. Sie haben mich eine volle geschlagene Stunde in dieser entsetzlichen Mietskaserne, auf diesem lieblichen Korridore unter dem Kinderpöbel warten lassen ... Ich habe gewartet, Ihnen nicht den geringsten Vorwurf gemacht! und jetzt sind Sie geschmackvoll genug, mich als eine Art Spucknapf zu betrachten ...

      Direktor Hassenreuter

      Mein Junge ...

      Nathanael Jettel

      In’s Teufels Namen, der bin ich nicht! Eher mache ich Sie zu meinem Hanswurst und lasse Sie für sechs Groschen Purzelbaum schießen!


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