Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte. Marie von Ebner-Eschenbach

Читать онлайн книгу.

Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte - Marie von  Ebner-Eschenbach


Скачать книгу
was die Gleichberechtigung aller Konfessionen im Königreiche Polen betrifft,“ sagte Aniela, „so ist sie bereits im Prinzip festgestellt. Mit den Modalitäten wird man sich beschäftigen. Bis jetzt hatte man aber noch nicht Zeit, auf Details einzugehen.“

      „Ich falle Ihnen zu Füßen!“ sprach Rosenzweig. „Um die Sache der Juden ist mir nicht mehr bang.“

      „Ihre Verheißung macht ihn lachen, so groß ist sein Vertrauen –,“ nahm Roswadowski wieder das Wort. „Er, dessen ganzes Leben nur eine Übung im Dienste der Pflicht gegen uns ist, erwartet von uns – nichts.“

      „Herr, wenn ich meine Pflicht nicht täte, käm ich um mein Amt,“ fiel der Doktor ein, im Tone eines Menschen, der einer unangenehmen Erörterung ein Ende machen will.

      Sein unberufener Parteigänger jedoch entgegnete:

      „Wenn ich von Pflicht sprach, so hatte ich eine höhere im Auge, als die, die Ihr Amt Ihnen auferlegt. Von Amts wegen sind Sie ein tüchtiger Kreisphysikus, zum Samariter macht Sie Ihr eigenes Herz.“

      „Samariter!... Ich?“

      „Jawohl, Sie! Der des Evangeliums pflegte des Sterbenden an der Heerstraße und übergab ihn dann fremder Hut. Sie haben den Sterbenden, den Sie auf Ihrem Wege fanden, in Ihr Haus aufgenommen, das dem verwaisten Christenknaben ein Vaterhaus geworden ist.“

      Der Doktor deprezierte:

      „– Wie man's nimmt,“ und dachte im stillen ganz grimmig: „Du bist gut unterrichtet, Lobhudler! Mein Haus ein Vaterhaus für einen solchen Chamer!“

      Und in dem Augenblick beantwortete sich ihm eine Frage, die er oft erwogen hatte, die Frage: ob man wohl zwei Gedanken auf einmal haben könne, denn wahrhaftig, er hatte zugleich auch den: ich will dem Chamer, bevor ich ihn wegschicke, doch einen neuen Anzug machen lassen.

      „So hat ein Jude getan,“ wandte der Redner sich an die Gesellschaft, „aus freiem Willen für einen Andersgläubigen, und was haben wir Andersgläubigen jemals aus freiem Willen für einen seines Volkes getan? Leset eure Geschichte und fragt euch selbst, ob ein Jude die Tage herbeiwünschen kann, in denen in Polen wieder Polen herrschen?“

      Olga und Aniela erhoben Einwendungen; was die Herren betraf, so waren die meisten von ihnen dem Grafen W. in das Nebenzimmer gefolgt und hatten dort an Spieltischen Platz genommen. Nur der ehrwürdige Schlachziz und der Ankömmling aus Paris hielten ritterlich bei den Damen aus, und der erste versicherte, er habe sich in seiner Jugend auch mit der Geschichte seines Landes beschäftigt, darin jedoch niemals andre als glorreiche Dinge gelesen.

      Jetzt wurde die Tür aufgerissen, ein Diener stürzte herein und meldete:

      „Der Herr Kreishauptmann. Er wird gleich in den Hof fahren.“

      Die mutigen Damen stießen einen Schrei des Entsetzens aus:

      „Um Gottes willen, der Kreishauptmann!“

      Voll Todesangst ergriff die Hausfrau die Hand ihres Vetters: „Fort! fort! verbergen Sie sich!“

      „Ich denke nicht daran,“ erwiderte er ganz ruhig, „ich bleibe; ich freue mich sehr, die Bekanntschaft eines liebenswürdigen Mannes zu machen.“

      „Sie bleiben nicht! Sie gehen – weil Ihre Gegenwart uns kompromittiert,“ rief Graf W., der mit bestürzter Miene in den Salon zurückgekehrt war.

      Ein Wortwechsel entspann sich ...

      „Doktor, ich beschwöre Sie, eilen Sie dem Kreishauptmann entgegen, suchen Sie ihn so lange als möglich auf der Treppe aufzuhalten,“ flehte die Herrin des Schlosses und drängte Rosenzweig zur Tür.

      „Ich werde tun, was ich kann; ich empfehle mich, meine Herrschaften!“ antwortete er und verließ den Salon, im Grund der Seele höchlich ergötzt über das Ende, das die Versammlung der Verschwörer genommen hatte.

      Vom Gange aus sah er den Kreishauptmann soeben in das Haus treten. Ein behäbiger, feiner, mit äußerster Sorgfalt gekleideter Herr. Der Deckel seines Zylinders glänzte in der Vogelperspektive, in der er sich zuerst dem Doktor zeigte, wie die Mondesscheibe. Nicht minder glänzte der Lackstiefel an dem kleinen Fuße, den der Beamte auf die erste Stufe der niederen Treppe setzte, als Rosenzweig bei ihm anlangte.

      „Ich habe die Ehre, Euer Hochwohlgeboren zu begrüßen!“ sprach der Doktor, seinen Hut feierlich schwenkend.

      „Wie, mein lieber Doktor? Sind Sie es wirklich? Was?“ sprach der Beamte mit dem gnädigsten Lächeln, „auch Sie im Neste der Verschwörer?“

      „– Herausgefallen, als ein noch nicht flügges Vöglein! – Wie befinden sich Euer Gnaden?“

      „Gut. Dank Ihren Ordonnanzen.“

      „Und der Pünktlichkeit, mit der Euer Gnaden ihnen nachkommen. Sie sind ein so vortrefflicher Patient, daß Sie verdienen würden, immer krank zu sein.“

      „Sehr verbunden für den christlichen Wunsch ... Entschuldigen Sie – da habe ich mich versprochen.“ Und nun kam die Frage, die der Kreishauptmann dem Doktor auch bei der flüchtigsten Begegnung nicht erließ. „Aber, mein lieber Doktor, wann werden Sie sich denn endlich taufen lassen?“

      Auf die stehende Frage erfolgte die stehende Antwort:

      „Ich weiß es noch nicht genau.“

      „Entschließen Sie sich! Sie sind ja ohnehin nur ein halber Jude.“

      „Ich würde vermutlich auch nur ein halber Christ sein.“

      „Oho! das ist etwas andres!“ entgegnete der Beamte streng. „Wir sprechen noch davon; jetzt sagen Sie mir –“ seine Miene blieb unverändert, aber seine kleinen klugen Augen blickten den Doktor durchdringend an: „Ist er oben, der Sendbote? Haben Sie ihn gesehen?“

      „Welchen Sendboten?“

      „Hier im Hause wird er als Herr von Roswadowski vorgestellt.“

      Auf dem Gesichte Rosenzweigs malte sich ein so aufrichtiges Erstaunen, daß der Beamte ausrief:

      „Sie sind nicht eingeweiht! – Nun, ich will Ihnen Ihre politische Unschuld nicht rauben ... Ganz scharmant, diese Konspiranten! besonders die Damen. Übrigens haben wir uns weniger in acht vor ihnen zu nehmen, als sie sich selbst vor – andern. Es ballt sich ein Gewitter über ihren Häuptern zusammen, von dessen Aufsteigen sie keine Ahnung haben. Diese harmlosen Unzufriedenen, die sich für bedrohlich halten, sind selbst von ganz anders Unzufriedenen, in ganz anders gefährlicher Weise bedroht.“

      Rosenzweig konnte eine Erklärung dieser Worte nicht mehr erbitten. Auf der Höhe der Treppe erschien soeben die Hausfrau, strahlend vor Freundlichkeit, und der Kreishauptmann schwebte ihr in zierlichen Schritten eiligst entgegen.

       Inhaltsverzeichnis

      Rosenzweig ließ seinem Kutscher den Befehl erteilen, anzuspannen und ihm auf der Straße nachzufahren. Er selbst ging zu Fuße voraus und schlug bald einen schmalen Weg ein, der, die Felder quer durchschneidend, in der Nähe eines steinernen Kreuzes in die Landstraße ausmündete. Dort wollte er seinen Wagen erwarten.

      Er sehnte sich danach, tüchtig auszuschreiten, frische, freie Luft zu atmen und den gesunden Erdgeruch einzuziehen, der aus den aufgerissenen Schollen emporstieg. Nur Wunder nahm es ihn, daß er die Wonne und Wohltat, der parfümierten Salonluft und Gesellschaft entronnen zu sein, nicht so recht zu empfinden vermochte.

      Ein tiefinnerliches Unbehagen erfüllte ihn; ein unbestimmtes Etwas ging ihm nach, von dem er sich keine andre Rechenschaft zu geben wußte, als daß es sehr quälend sei.

      Plötzlich rief er mehrmals hintereinander laut aus: „Narr! Narr!“

      Die


Скачать книгу