Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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gestellt. Es entging mir nicht, daß sie ein weißes Krägelchen umgetan hatte; auch meinte ich die Ohrringe mit den roten Korallenknöpfchen vorhin nicht an ihr gesehen zu haben.

      »Was meinst du, Lore?« sagte Fritz, während die Mutter noch immer nachdenklich und unschlüssig dreinsah, »hast du Lust mit uns zu tanzen!«

      Sie antwortete nicht; aber sie faßte die Mutter mit beiden Händen um den Hals und flüsterte ihr zu, während ihr Antlitz mit immer tieferm Rot überzogen wurde.

      »Fritz«, sagte die Alte, indem sie sich sanft des ungestümen Mädchens erwehrte, »ich wollte, Sie hätten mir die Geschichte erst allein erzählt; es wäre dann nichts daraus geworden. So habt ihr mir nun einmal das Mädel auf den Hals gehetzt; ich weiß es schon, sie läßt mir keine Ruh!« – –

      Wir hatten also gesiegt. »Mittwoch abend um sieben Uhr!« rief Fritz noch im Fortgehen; dann traten wir, von Mutter und Tochter zur Tür begleitet, aus dem Hause. – Als wir uns nach einer Weile umblickten, stand nur noch unsere junge Freundin da; sie nickte uns ein paarmal zu und lief dann rasch ins Haus zurück.

       Inhaltsverzeichnis

      Am Tage darauf war, wie mir Fritz vertraute, die Frau Beauregard bei seiner Mutter gewesen, hatte mit ihr eine geraume Zeit in der Kleiderkammer gekramt und dann mit einem wohlgefüllten Päckchen das Haus verlassen.

      Am Mittwoch abend war die Tanzstunde. Ich hatte mir die lackierten Schuhe mit Stahlschnallen und die neue Jacke erst im letzten Augenblick von Schuster und Schneider herausgepocht und fand schon alles versammelt, als ich in den Saal trat. Meine Kameraden standen am Fenster um den alten Tanzmeister, der mit den Fingern auf seiner Geige klimperte und dabei die Wünsche seiner jungen Scholaren entgegennahm. Unsere Tänzerinnen gingen in Gruppen, die Arme ineinander verschränkt, im Saale auf und ab.

      Lenore war nicht unter ihnen; sie stand allein unweit der Tür und blickte finster zu den lebhaft plaudernden Mädchen hinüber, die sich so frei und unbehindert in dem fremden vornehmen Hause zu fühlen schienen und sich so gar nicht um sie kümmerten.

      Nichts ist selbstsüchtiger und erbarmungsloser als die Jugend. Aber gleich nach mir war die Bürgermeisterin eingetreten. Nachdem sie die junge Gesellschaft begrüßt und, wie Fritz sich ausdrückte, einen ihrer Generalsblicke im Saal umhergeworfen hatte, schritt sie auf Lore zu und nahm sie bei der Hand. »Damit die Pärchen zueinander passen!« sagte sie zu dem Tanzmeister. »Rangieren Sie einmal die Kavaliere!« – Dann, während dieser ihrem Auftrage Folge leistete, wandte sie sich zu den Mädchen und begann mit ihnen dieselbe Prozedur. Die blonde Postmeisterstochter war die Längste, fast um einen Kopf höher, als alle übrigen. Sie wurde uns gegenüber an der Wand aufgestellt; dann aber war die Sache zweifelhaft. »Ich weiß nicht, Charlott’«, sagte die Bürgermeisterin, »du oder Lore! Ihr scheint mir ziemlich egal zu sein!«

      Die Angeredete, die Tochter des Kammerherrn und Amtsmanns, retirierte einen Schritt. »Mamsell Lore wird wohl die größere sein«, sagte sie leichthin.

      »Ei was, kleine Gnädige«, rief die Mutter meines Freundes, »komm nur heraus aus deiner Ecke, und miß dich einmal mit der Mamsell Lore!«

      Und die kleine Dame mußte hervor und sich dos-à-dos mit der Schneidertochter messen; aber – ich hatte ein scharfes Auge darauf – sie wußte es dennoch so zu machen, daß sie den dunkeln Kopf der Handwerkertochter mit dem ihrigen kaum berührte.

      Das junge Fräulein war in lichte Farben gekleidet; Lenore trug ein schwarz und rot gestreiftes Wollenkleid, um den Hals einen weißen Florschal. Die Kleidung war fast zu dunkel; sie sah fremdartig aus; aber es stand ihr gut.

      Die Bürgermeitserin musterte die beiden Mädchen. »Charlott’«, sagte sie, »du bist sonst immer die Meisterin gewesen; nimm dich in acht, daß die dir nicht den Rang abläuft; sie sieht mir grade danach aus.«

      Mir war, als sah’ ich bei diesen Worten die schwarzen Augen des Mädchens blitzen.

      Nach einer Weile wurden die Paare formiert. Ich war der zweite in der Reihe der Knaben, und Lore wurde meine Dame. Sie lächelte, als sie ihre Hände in meine legte. »Wir wollen sie um und um tanzen!« sagte ich. – Und wir hielten Wort. Es sollte zunächst eine Mazurka eingeübt werden, und schon zu Ende dieser ersten Lehrstunde, da eine Tour nicht gehen wollte, klopfte unser alter Maestro mit dem Bogen auf den Geigendeckel: »Kleine Beauregard! Herr Philipp! Machen Sie einmal vor!« und während er die Melodie zugleich geigte und sang, tanzten wir. – Es war keine Kunst mit ihr zu tanzen, ich glaube, es hätte niemandem mißglücken können; aber der alte Herr rief ein begeistertes »Bravo!« nach dem andern, und die wackere Frau Bürgermeisterin lehnte sich vor Behagen lächelnd weit zurück in ihrem Sofa, wo sie seit Beginn des Unterrichts als aufmerksame Zuschauerin Platz genommen hatte.

      Fräulein Charlotte war meinem Freunde Fritz als Partnerin zugefallen, und ihr lebhaftes Wesen schien, wie ich gern bemerkte, ihn bald seine anfängliche Begeisterung für die Schneidertochter vergessen zu machen. Da ich die letztere aber jetzt gewissermaßen als mein Eigentum betrachtete, so war ich eifersüchtig auf die Schönheit und Eleganz meiner Dame; und ein verweilender Blick ihrer tadellos gekleideten Nebenbuhlerin, dem meine Augen gefolgt waren, hatte mich belehrt, daß die Beschützerin des schönen Mädchens dennoch eines nicht genügend bedacht hatte. Die Handschuhe waren zu groß für diese schmalen Hände; sie waren offenbar auch schon gewaschen.

      Am andern Morgen, sobald ich aus der Klasse kam, ließ es mir keine Ruhe mehr. Ich machte mich über den Schrank, worin meine blecherne Sparbüchse aufbewahrt wurde, und grub und schüttelte so lange, bis ich aus dem Spalt einen harten Taler neben der roten Tuchzunge hervorgearbeitet hatte. Dann rannte ich in einen Kaufladen. – »Ich wollte kleine weiße Handschuhe!« sagte ich nicht ohne Beklommenheit.

      Der Ladendiener warf einen sachverständigen Blick auf meine Hand. »Nummer sechs!« meinte er, während er die Handschuhschachetl auf den Tisch stellte. »Geben Sie mir Nummer fünf!« bemerkte ich kleinlaut.

      »Nummer fünf? – Wird wohl nicht passen!« und er machte Anstalt die Handschuhe über meine Hand zu spannen.

      Es stieg mir siedend heiß ins Gesicht. »Sie sollen nicht für mich!« sagte ich, und bedauerte mehr als jemals den Mangel einer Schwester, auf die ich den Handel hätte bringen können. Aber ich war entzückt von den kleinen Handschuhen mit den weißen seidenen Bändchen, die nun vor mir ausgebreitet lagen. Ich kaufte zwei Paar, und bald nachdem ich den Laden verlassen; hatte ich einen Jungen von der Straße aufgefischt. »Bring das an die Lore Beauregard«, sagte ich, »einen Gruß von der Frau Bürgermeisterin, hier wären die Handschuhe für die Tanzstunde! Und dann bring mir Bescheid; ich warte hier an der Ecke auf dich.«

      Nach zehn Minuten war der Junge wieder da.

      »Nun?«

      »Ich hab sie der Alten gegeben.«

      »Was sagte die Alte?«

      »Es wäre zu viel; die Frau Bürgermeisterin hätte diesen Morgen ja schon ein Paar geschickt.«

      »Gut!« dachte ich; »so merkt sie nichts.«

      In der nächsten Tanzstunde trug Lore die neuen Handschuhe ; ich weiß nicht, ob die meinen oder die von der Bürgermeisterin; aber sie lagen wie angegossen um das schlanke Handgelenk; und nun sah keine vornehmer aus als Lore in ihrem dunkeln Kleide.

      Die Lehrstunden gingen nun ihren ebenen Lauf. Nachdem die Mazurka eingeübt war, kam ein Contretanz an die Reihe, in welchem Fritz und Lore zusammen tanzten. – Ein Verhältnis dieser zu den andern Mädchen wollte sich indessen nicht herausstellen; nur mit der langen Jenni, welche die älteste und, wie ich glaube, die klügste von ihnen war, sah ich sie ein paarmal im Gespräch zusammensitzen; auch auf dem Heimwege, der beiden bis auf eine kleine Strecke gemeinschaftlich war, legte Jenni wohl einmal ihren Arm auf den der Schneidertochter. Sonst stand diese zwischen dem Tanzen meist allein, wenn nicht der alte Lehrer mit seiner Geige


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