Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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konnte, ihre Zufriedenheit und ihren Dank für diese Worte aussprechen wollte, »aber für den Mann, der vor einer Stunde Ihr Haus verlassen hat, wird es dasselbe bleiben.«

      »Gehen Sie nur, gehen Sie nur, Ehrhard«, sagte sie schüchtern, »es kann mit Gottes Hilfe noch alles wieder gut werden.«

      Er blickte ratlos um sich her, als suchte er nach Worten der Verständigung, die von ihm zu dieser Frau doch nirgends in der Welt zu finden waren.

      Es war um die fünfte Stunde; die Magd brachte des Teegeschirr und auch Angelika trat wieder herein und ließ das Kind aus ihren Armen an die Erde gleiten. Ehrhard konnte sich nicht entschließen, jetzt zu gehen: er hoffte noch aus ihrem Wesen heraus eine Bestätigung seiner letzten Worte zu gewinnen. So blieb er denn und begann, so gut es gehen wollte, über andere Dinge zu sprechen, während Angelika den Tee bereitete und die Kleine zwischen ihnen hin und wider ging. Als aber jene, nachdem sie ihr häusliches Geschäft beendet, das kleine Mädchen auf den Schoß nahm und sich bald darauf mit ihr abseits unter den Akazienbaum ans Fenster setzte, flüsternd und erzählend, das Kind mit beiden Armen an sich drückend, da fühlte er wohl, sie wolle sich vor allen Ansprüchen verschließen, die er oder andere an sie machen könnten.

       Seitdem hatte Angelika die Kleine noch öfterer um sich. – Eines Abends kam Ehrhard, um sie abzuholen und dann mit ihr zu seiner Schwester zu gehen. Sie war aber schon mit dem Mädchen fortgeschickt. Angelika, die auf sein Schellen die Flurtür öffnete, sagte ihm das. Er zögerte einen Augenblick. »Willst du nicht eintreten?« fragte sie, indem sie den Türgriff in der Hand behielt.

      Er dankte. »Die Schwester wartet; ich kam nur des Kindes wegen.«

      »Du wirst sie noch einholen«, erwiderte Angelika, »sie sind erst eben fort.«

      Er sagte gute Nacht, stieg die Treppe hinab und ging eilig die Straßen entlang, bis er vor der Wohnung seiner Schwester stand. – Aber wie so oft das innere Erlebnis erst eine ganze Weile nach dem äußern eintritt, so fühlte er auch erst jetzt, daß Angelika vorhin eine andere, als sonst ihm gegenüber, gewesen sei. Nun in der Erinnerung erst hörte er deutlich den Ton ihrer Stimme und sah ihre Gestalt im trüben Schimmer des Flurlämpchens vor sich stehen. Er erschrak; denn er wußte plötzlich, daß er heute nicht willkommen gewesen wäre, wenn er Angelikas Einladung angenommen hätte.

      Als er in die Wohnung seiner Schwester kam, war die Kleine schon eine geraume Zeit zu Hause gewesen, und saß plaudernd auf dem Schoße der Mutter. Ehrhard trat zu ihnen und ließ sich erzählen.

      »Waren denn Fremde bei der Tante?« fragte er.

      Die Kleine nickte. »Ein Doktor!« sagte sie wichtig. »Der ist schön! Er hat mir Bonbons gegeben.«

      Wieder kam ein Augenblick des Alleinseins für die Liebenden. Das Gebüsch des Gartens schützte sie wieder einmal vor der Mittagssonne und vor den Augen der Welt; sie waren aber nicht wie früher Hand in Hand; es schien kein Geheimnis, das sich mit ihnen hier verbarg.

      »Und wenn er noch einmal um dich werben sollte?« fragte Ehrhard, während sie sich an dem steinernen Gartentischchen gegenüberstanden.

      »Er wird nicht wieder um mich werben.«

      »Aber wenn er es dennoch täte?«

      »Du quälst mich!« sagte sie, indem sie einen Zweig mit ihren Fingern knickte und einige Schritte von ihm abwärts ins Gebüsch ging.

      »O Angelika!« rief er, »sage, daß es nie geschehen könne! Denn wenn du es begangen, davon ist keine Rückkehr.«

      Sie sagte: »Wie ich jetzt lebe, so kann ich nicht fortleben. Was soll ich tun?«

      »Antworte mir eines: Ist jener Mann dir mehr, als einer von den andern?«

      Sie antwortete ihm nicht; aber ein Tropfen Blutes sprang zwischen den Zähnen hindurch auf ihre Lippen. – Es war wie Zorn, das ihn bei diesem Anblick überkam, und er schüttelte ihren Arm, daß sie ihm Rede stehe. Aber sie sagte nur: »Du kannst nichts für mich tun; – du darfst das nicht von mir verlangen.«

      »Angelika!« schrie er; aber sie sah ihn mit müden, ausdruckslosen Augen an; er begrub sein Gesicht in ihre Hände und sagte leise: »Du liebst mich ja, Angelika!« Aber sie hatte sich schon losgerissen; sie hörte es nicht mehr.

       Währenddessen näherten sich ihr manche, die sie sonst fern gehalten, die sich instinktmäßig nicht in ihre Nähe gewagt hatten. Sie neigte sich dem und jenem; nicht weil ihr Herz seiner Liebe oder ihre Sinne ihrem Herzen treulos geworden wären; sondern weil sie es so wollte, weil sie glaubte, das Leben weise sie auf diesen Weg.

      So zersplitterte sie allmählich ihr schönes festes Herz, so verlor sich bei ihr das Gefühl, daß Liebe nichts wollen dürfe, als nur dem Geliebten angehören, daß in ihm das kleinste Regen der Neigung Anfang und Ende haben müsse.

      Auch in ihrem Äußern wurde es andres; sie hatte sich früher in Farben und Stoffe gekleidet, hatte solche Kleinigkeiten zu ihrem Putze genommen, von denen sie wußte, daß sie ihm an ihr gefielen, und dann die Freude über dieses ihr Verständnis in seinen Augen nachgesucht. Nun sah er Bänder und Farben, von denen er ihr gesagt hatte, sie seien ihm leid an ihrem Körper; ihre Hände, die sie ihm zuliebe sonst gepflegt hatte, wurden jetzt vernachlässigt.

      Sie sah ihn dabei leiden; das schlimmste Leiden, das eines Menschen Brust zerreißen kann; sie sah es, aber sie änderte nichts, denn sie hatte schon nicht mehr das Bedürfnis, für sein Herz zu sorgen. Der Reiz der Neuheit, der stets mit dem Alltäglichen sich einstellt, kam an sie heran; ein Ausdruck von Mißbehagen oder Trauer, den sie auf dem Gesichte eines fremden Menschen wahrnahm, wenn seine Huldigungen nicht von ihr erwidert wurden, konnte ihr Herz zu einer Art mitleidiger Liebe bewegen, während sie in demselben Augenblicke übersah, wie auf dem Antlitz des geliebten, ihr ganz gehörenden Mannes die tödlichsten Qualen zu kämpfen begannen.

      War dann ein Abend in seiner stummen verzweifelnden Gegenwart dahingegangen, so sprach er später wohl zu ihr; schmerzlich oder heftig, wie eines Menschen Brust in solchem Weh bewegt wird. Sie schwieg meistens ganz darauf, oder antwortete ebenfalls heftig; aber das Verständnis der Liebe war von ihnen gewichen. Sie konnten sich anschauen mit unendlichem Groll, aber mit noch unendlicherem Schmerz; sie vergingen in Qual, daß sie nicht eins im andern selig sein konnten, wie sie es einst gekonnt; das erlösende Wort schwebte auf ihren Lippen, in ihren Augen; aber sie fanden es nicht mehr. So entstand allmählich eine doppelte Angelika; beide hatten sie die zarte schmächtige Gestalt, das sonnenblonde Haar, das er vor allem liebte; aber die eine hing an seinen Augen, seinen Lippen und hatte nichts, was nicht auch ihm gehörte; die andere wußte nichts von seinem Herzen, sie wandte, wenn er ihren Arm, ihren Nacken berührte, sich unwillig von ihm ab, wie von einem Frechen, und er, mit ersticktem Wehschrei in der Brust, erkannte das fremde Wesen in der geliebtesten Gestalt.

      Spät abends vor der Abreise nach seinem neuen Bestimmungsorte sah er Angelika noch einmal in ihrer Wohnung. Als sie ihn beim Abschiede, wie sie es seit ihren Kinderjahren gewöhnt war, die Treppe hinunter und bis vor die Haustür begleitet hatte, – noch dieses Mal, zum letzten Male Hand in Hand – und als er schon, ehe sie sich dessen recht bewußt geworden, »Leb wohl, Angelika!« gesagt hatte, und während sie ihm nachschaute, vor ihr im Dunkel verschwunden war, kam er plötzlich noch einmal zurück, als wolle er etwas sagen, das er vergessen habe und das sie dennoch wissen müsse. Aber er bat sie nur: »Bleib noch ein Weilchen stehen, Angelika! – und«, fügte er leise hinzu, »wenn du hineingehst, zieh nicht zu hart die Tür hinter dir zu!« Sie nickte, und nun ging er wirklich fort.

      In den meisten Häusern waren schon die Lichter ausgetan; nur seine Schritte hallten noch auf den Steinen. – Da er tief unten in der Straße war, hörte er die Hausglocke. Er schrak zusammen, als sei hinter ihm die Tür seines Glückes zugefallen.

       In dem Jahre, welches diesen Vorgängen folgte, war in den öffentlichen Dingen eine Sturm-und Drangperiode eingetreten, welche jede bisherige Berechnung in den Verhältnissen der einzelnen über den Haufen warf. Ehrhard, der in seiner neuen Heimat nur seltene und allgemeine Kunde über Angelika erhalten hatte, mühte sich einer Zukunft zu gedenken, an der sie keinen Anteil


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