Die Kapuzinergruft. Joseph Roth

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Die Kapuzinergruft - Joseph  Roth


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und während er sich bedankte, machte er den Eindruck eines Jünglings, der einen Vorwurf vorzubringen hat. Er sprach polnisch, ich verstand, dank meinem Slowenisch, nur jedes dritte Wort. Aber ich begriff, nach den Mienen und den Blicken des Grafen Chojnicki, daß ihm die vorwurfsvolle und eigentlich arrogante Haltung des Jungen gefiel.

      »Das ist was!«, sagte er, nachdem der Junge gegangen war. »Bei uns zu Lande sagen die Leute einem nicht: Danke schön! – sondern eher das Gegenteil. Es sind stolze Menschen, die galizischen Juden, meine galizischen Juden! Sie leben in der Vorstellung, daß ihnen alle Vorzugsstellungen einfach gebühren. Mit dem großartigen Gleichmut, mit dem sie auf Steinwürfe und Beschimpfungen reagieren, nehmen sie die Vergünstigungen und Bevorzugungen entgegen. Alle anderen empören sich, wenn man sie beschimpft, und ducken sich, wenn man ihnen Gutes tut. Meine polnischen Juden allein berührt weder ein Schimpf noch eine Gunst. In ihrer Art sind sie Aristokraten. Denn das Kennzeichen des Aristokraten ist vor allem anderen der Gleichmut; und nirgends habe ich einen größeren Gleichmut gesehen als bei meinen polnischen Juden!«

      Er sagte: meine polnischen Juden in dem gleichen Ton, in dem er mir gegenüber so oft gesagt hatte: meine Güter, meine van Goghs, meine Instrumentensammlung. Ich hatte die deutliche Empfindung, daß er die Juden zum Teil deshalb so schätzte, weil er sie als sein Eigentum betrachtete. Es war, als wären sie nicht nach Gottes Willen in Galizien zur Welt gekommen, sondern als hätte er sie sich beim Allmächtigen persönlich bestellt, wie er sich persische Teppiche bei dem bekannten Händler Pollitzer zu bestellen pflegte, Papageien bei dem italienischen Vogelhändler Scapini und alte, seltene Instrumente bei dem Geigenmacher Grossauer. Und mit der gleichen Sorgfalt, mit der gleichen umsichtigen Noblesse, mit der er Teppiche, Vögel, Instrumente behandelte, kam er auch seinen Juden entgegen; dermaßen, daß er es für seine selbstverständliche Pflicht hielt, dem Vater des ziemlich arroganten Jungen, dem braven Fiaker Manes, einen Brief zu schreiben, einen Glückwunsch zur Aufnahme des Ephraim im Konservatorium. Denn Chojnicki hatte Angst, der Fiaker Manes könnte ihm mit einem Dankbrief zuvorkommen.

      Der Fiaker Manes Reisiger aber, weit davon entfernt, Dankesbriefe zu schreiben, und vollkommen unfähig, die Gunst des Schicksals zu ermessen, die ihn und seinen Sohn in des Grafen Chojnicki und in meine Nähe gebracht hatte, vielmehr zu der Annahme geneigt, daß seines Sohnes Ephraim Talent so übermäßig groß war, daß ein Wiener Konservatorium beglückt sein müßte, einen solchen Sohn zu beherbergen, besuchte mich zwei Tage später und begann folgendermaßen: »Wenn einer etwas kann in dieser Welt, wird er etwas. Ich habe das meinem Sohn Ephraim immer gesagt. Es ist auch so gekommen. Es ist mein einziger Sohn. Er spielt großartig Geige. Sie müssen ihn einmal bitten, daß er Ihnen etwas vorspielt. Und er ist stolz. Wer weiß, ob er es wirklich tut!« – Es war so, als hätte ich dem Fiaker Manes dafür zu danken, daß es mir vergönnt gewesen war, seinem Sohn einen Platz im Konservatorium zu verschaffen. »Ich habe gar nichts mehr hier in Wien zu suchen«, fuhr er fort, »ich werde morgen nach Hause fahren.«

      »Sie müssen«, sagte ich ihm, »noch dem Grafen Chojnicki einen Besuch machen, um sich bei ihm zu bedanken.«

      »Ein feiner Herr Graf!« sagte Manes, mit Anerkennung. »Ich werde ihm adieu sagen. Hat er meinen Ephraim schon spielen gehört?«

      »Nein!« sagte ich, »Sie sollten ihn darum bitten!«

      Der Zug des Fiakers Manes Reisiger ging um elf Uhr abends, gegen acht Uhr kam er zu mir und bat mich, das heißt: er befahl mir beinahe, ihn in das Hotel des Grafen Chojnicki zu führen.

      Gut, ich führte ihn hin. Chojnicki war dankbar und fast entzückt. Ja, er war sogar gerührt. »Wie großartig«, rief er, »daß er zu mir kommt, um mir zu danken. Ich habe Ihnen gleich gesagt: so sind unsere Juden!«

      Schließlich dankte er dem Fiaker Manes dafür, daß dieser ihm Gelegenheit gegeben hatte, ein Genie der Welt erhalten zu haben. Es hörte sich an, als ob Chojnicki seit zehn oder seit zwanzig Jahren auf nichts anderes gewartet hätte, als auf den Sohn des Manes Reisiger und als sei ihm nunmehr ein längst gehegter und sorgsam gepflegter Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Er bot sogar Manes Reisiger aus lauter Dankbarkeit Geld für die Rückreise an. Der Fiaker Manes lehnte ab, aber er lud uns beide ein, zu ihm zu kommen. Er hätte ein Haus, sagte er, drei Zimmer, eine Küche, einen Stall für sein Pferd und einen Garten, wo sein Wagen und sein Schlitten stünden. Oh, er sei gar kein armer Fiaker. Er verdiente sogar fünfzig Kronen im Monat. Und wenn wir zu ihm kommen wollten, würde es uns großartig ergehen. Er würde schon dafür sorgen, daß wir nichts zu entbehren hätten.

      Er vergaß auch nicht, Chojnicki und mich daran zu erinnern, daß wir geradezu die Pflicht hätten, uns um seinen Sohn Ephraim zu kümmern. »So ein Genie muß man pflegen!« sagte er beim Abschied.

      Chojnicki versprach es; und auch, daß wir im nächsten Sommer bestimmt nach Zlotogrod kommen würden.

      7

      Hier, an dieser Stelle, muß ich von einer wichtigen Angelegenheit sprechen, von der ich, als ich dieses Buch zu schreiben anfing, gehofft hatte, ich könnte sie umgehen. Es handelt sich nämlich um nichts anderes als die Religion.

      Ich war ungläubig, wie meine Freunde, wie alle meine Freunde. Ich ging niemals zur Messe. Wohl aber pflegte ich meine Mutter bis vor den Eingang zur Kirche zu begleiten, meine Mutter, die zwar vielleicht nicht gläubig war, wohl aber »praktizierend«, wie man sagt. Damals haßte ich die Kirche geradezu. Ich weiß heute, da ich gläubig bin, zwar nicht mehr, warum ich sie haßte. Es war »Mode« sozusagen.

      Ich hätte mich geschämt, wenn ich meinen Freunden hätte sagen müssen, daß ich zur Kirche gegangen sei. Es war keine wirkliche Feindseligkeit gegen die Religion in ihnen, sondern eine Art Hochmut, die Tradition anzuerkennen, in der sie aufgewachsen waren. Zwar wollten sie das Wesentliche ihrer Tradition nicht aufgeben; aber sie – und ich gehörte zu ihnen –, wir rebellierten gegen die Formen der Tradition, denn wir wußten nicht, daß wahre Form mit dem Wesen identisch sei und daß es kindisch war, eines von dem andern zu trennen. Es war kindisch, wie gesagt: aber wir waren damals eben kindisch. Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken, fröhlich und kindisch. Wir fühlten ihn nicht, den Tod. Wir fühlten ihn nicht, weil wir Gott nicht fühlten. Unter uns war Graf Chojnicki der einzige, der noch an den religiösen Formen festhielt, aber auch nicht etwa aus Gläubigkeit, sondern dank dem Gefühl, daß die Noblesse ihn dazu verpflichtete, die Vorschriften der Religion zu befolgen. Er hielt uns andere, die wir sie vernachlässigten, für halbe Anarchisten. »Die römische Kirche«, so pflegte er zu sagen, »ist in dieser morschen Welt noch die einzige Formgeberin, Formerhalterin. Ja, man kann sagen, Formspenderin. Indem sie das Traditionelle des sogenannten ›Althergebrachten‹ in der Dogmatik einsperrt wie in einem eisigen Palast, gewinnt und verleiht sie ihren Kindern die Freiheit, ringsum, außerhalb dieses Eispalastes, der einen weiten, geräumigen Vorhof hat, das Lässige zu treiben noch das Verbotene zu verzeihen, beziehungsweise zu führen. Indem sie Sünden statuiert, vergibt sie bereits diese Sünden. Sie gestattet geradezu keine fehlerlosen Menschen: dies ist das eminent Menschliche an ihr. Ihre tadellosen Kinder erhebt sie zu Heiligen. Dadurch allein gestattet sie implicite die Fehlerhaftigkeit der Menschen. Ja, sie gestattet die Sündhaftigkeit in dem Maße, daß sie jene Wesen nicht mehr für menschlich hält, die nicht sündhaft sind: die werden selig oder heilig. Dadurch bezeugt die römische Kirche ihre vornehmste Tendenz, zu verzeihen, zu vergeben. Es gibt keine noblere Tendenz als die Verzeihung. Bedenken Sie, daß es keine vulgärere gibt als die der Rache. Es gibt keine Noblesse ohne Großzügigkeit, wie es keine Rachsucht gibt ohne Vulgarität.«

      Er war der Älteste und Klügste unter uns, der Graf Chojnicki; aber wir waren zu jung und zu töricht, um seiner Überlegenheit jene Verehrung zu zollen, die sie gewiß verdiente. Wir hörten ihm eher gefällig zu, und obendrein bildeten wir uns noch ein, daß wir ihm eine Liebenswürdigkeit erwiesen, indem wir ihm zuhörten. Er war für uns sogenannte Junge ein älterer Herr. Später erst, im Kriege, war es uns beschieden zu sehen, um wieviel jünger er in Wahrheit war als wir.

      Aber spät erst, viel zu spät, sahen wir ein, daß wir zwar nicht jünger waren als er, sondern einfach ohne Alter, sozusagen unnatürlich ohne Alter. Dieweil er natürlich war, würdig seiner Jahre, echt und gottgesegnet.


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