Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
Читать онлайн книгу.die notwendigsten Arbeiten zur Erhaltung der Bergwerke fortzusetzen …
Immer wieder hatte Uhlenkort genickt, zustimmend, alles bejahend, was der vorschlug. Und dann hatte er ihm die Hand gereicht, hatte gesagt:
»Sie werden alles machen, wie Sie es planen. Sie haben meine Zustimmung.«
Und dann hatte der Chefingenieur gesagt:
»Ich werde bleiben bis zur letzten Minute. Bis zu dem Augenblick, in dem der Kapitän sein Schiff verläßt«, und Uhlenkort hatte ihm die Hand gedrückt und ihm ins Gesicht gesehen.
Lange … und war gegangen …
Der Chefingenieur sah ihm nach. Was war das für ein Gesicht? Ein Rätsel … eine Sphinx …
Hatte der den Verstand verloren unter dem ungeheuren Verlust, der ihn treffen mußte, oder …
Die kommende unvermeidliche Vereisung, die über das nördliche Europa hereinbrechen mußte, unterband den Betrieb der Kohlenminen auf Spitzbergen wahrscheinlich auf ewige Zeiten. Die Belegschaften jetzt noch länger zu halten, wäre verbrecherisch. War es schon unbegreiflich, daß die völlige Zerstörung vermieden wurde, als Black Island sich hob, jetzt war sie unaufhaltsam … unabwendbar.
Der Golfstrom war die Ader, die sie hier oben am Leben erhielt. Der Golfstrom war weg … für immer. Der Minenbetrieb hier oben war zu Ende, wenigstens unter den bisherigen Verhältnissen. Ob die Minen jemals wieder in Betrieb kommen würden, ob der ruinenhafte Rest Europas sie noch benötigen würde, wer konnte das sagen?
Das Turbinenschiff »Präsident« der Reederei Uhlenkort hatte Sandy Hook hinter sich gelassen und steuerte in den Atlantik hinaus.
Der Kapitän stand neben dem Ersten Offizier im Kartenhaus. Ihre Augen ruhten auf der Tabelle, welche die Wassertemperatur seit dem Verlassen des New Yorker Hafens in viertelstündigen Intervallen enthielt.
»Nach der Karte laufen wir jetzt vierundzwanzig Stunden mit dem Golfstrom. Auf diesem Kurs haben wir noch vor vier Wochen 23,5 Grad Celsius gemessen. Heute haben wir 20,5 Grad Wassertemperatur.
Zufall? Möglich … Aber bei den Lufttemperaturen des letzten Monats nicht anzunehmen. Stromgeschwindigkeit? Wir haben die Bestecke mit größter Sorgfalt genommen … Ergebnis … unanfechtbares Ergebnis: Es fehlen uns gegen damals annähernd zehn Seemeilen … Andere Windverhältnisse? Zufall? Möglich am Ende, aber kaum noch wahrscheinlich. Zwei Zufälle? Ausgeschlossen! Der Golfstrom fehlt!
Die Drift von Süden her fehlt. Der Druck, der die Massen hier schneller trieb, sie wärmer hierher brachte.«
»Ohne Zweifel, Herr Kapitän. Die Messungen werden morgen um diese Zeit noch interessanter sein. An den Neufundlandbänken muß der ewige Kampf von Kalt und Warm noch deutlicher werden.«
»Ja, ja, ob wir da jetzt schon was merken werden? Ob der ewige Nebel da jetzt schon weniger dick sein wird?«
»Unbedingt, Herr Kapitän. Dort ist die Stelle. Dort müssen die eisigen Wasser des Baffinstromes die warme Golfströmung von Stunde zu Stunde mehr und mehr unterkriegen. Sie lahmen, schwächen, wegdrücken, ihr die Kraft nehmen, den gewohnten Weg bis zum Ende zu gehen. Da oben, im Eismeer, wie lange wird’s dauern, und es wird ein Eismeer im wirklichen Sinne des Wortes. Die Fahrten da hinauf werden wohl bald der Sage angehören.«
Der Kapitän nickte.
»Der Sage angehören wie unsere Kohlenminen in Spitzbergen. Mir ist es, als ob wir das in den nächsten Tagen wiedersehen würden.«
»Nach Spitzbergen?« Der Erste Offizier schaute ihn fragend an.
»Ja! Ich glaube es. Als wir vorgestern in New York plötzlich die Order erhielten, statt mit Ladung nach Rio de Janeiro nur mit Ballast und vollen Ölbunkern nach Hamburg zu fahren, überkam mich die Ahnung.
Warum die Order?
Spitzbergen ist uns verloren. Was dort ist, Menschen, Maschinen, muß fort. In Spitzbergen ebenso wie an all den anderen Orten, die durch den Golfstrom leben. Der Schiffsraum wird knapp werden, alles rechtzeitig zu bergen. Die Messungen werden in jedem Falle fortgesetzt, einerlei, wohin der Kurs geht … auch wenn wir das Ende schon jetzt wissen.«
Auf dem fünfzigsten Grad östlicher Länge traf den »Präsident« der Funkbefehl: Direkter Kurs nach Wibehafen!
Knapp vierzehn Tage waren seitdem vergangen. Der »Präsident«
lichtete in Wibehafen die Anker, zweitausend Seelen an Bord.
Erst die Menschen, dann die Maschinen! lautete die Order. Nach Hamburg stand der Kurs. Nach Hamburg vorerst … der Heimat der meisten.
Und dann? Die Frage lag auf den Lippen dieser Tausende, auf den Lippen derer, die auf anderen Schiffen folgten. Bewegte die Herzen der Millionen, die früher oder später das gleiche Schicksal teilen mußten.
Flucht aus der Heimat! Wohin? Schon flüchteten sie aus Hamburg, von der Küste nach Süden … der Sonne zu. Der Schiffsraum war knapp … ja, er war knapp geworden.
Sinnlos, regellos trieb die Furcht vor dem eisigen Tod das Volk aus Norden zur Flucht. In den Hafenstädten sammelten sich die Massen, wurden größer von Tag zu Tag.
Die Schiffe, die da lagen, wurden gestürmt. Die Führer zur Abfahrt gezwungen. Wohin? Nach Süden, der Sonne zu. Nur die eine Losung in aller Munde. Die Verwirrung wuchs ins Unendliche. Das Chaos stand vor der Tür. Die Schiffsführer wußten nicht, was anfangen. Ihre Reeder waren ebenso ratlos … die Regierungen?
Da, in letzter Stunde setzten ihre Anordnungen ein. Ein großzügig angelegter Organisationsplan, zu dessen Durchführung Polizei und Militär zu Hilfe genommen wurden. Die Verbände der Industrie und der Landwirtschaft erhielten genaue Richtlinien. Alle Transportunternehmungen zu Wasser, Luft und Lande wurden unter behördliche Kontrolle gestellt. Nie bisher war ähnliches geschehen, seitdem Menschen Geschichte schrieben. Nur in großen, in allgemeinen Zügen konnten Vorschriften gegeben werden.
Halt für alle, deren Leben nicht unmittelbar bedroht war. Zuerst die, denen das Verderben am nächsten war, denen im hohen Norden.
Mit eiserner Strenge wurde es erzwungen. Nur das eine Ziel wurde verfolgt, das Leben der Bedrohten zu retten. Der wirtschaftliche Ruin war unabwendbar. Für jene Menschen … die Gemeinden … die Staaten … Europa.
Und die Kunde drang in alle Welt und beherrschte aller Herzen.
Überall da, wohin das Unheil nicht treffen konnte, wo man über den möglichen Eintritt der Katastrophe und ihre Auswirkungen kaum nachgedacht hatte, sah man jetzt die Schreckensbilder, die sich in Europa abspielen mußten, klar vor Augen.
Die Verantwortung für das Fürchterliche wurde bedingungslos Amerika zugeschoben. Die gereizte Stimmung machte sich vielerorts in drastischer Weise Luft. Die Weltpresse erging sich in den heftigsten Schmähungen gegen dieses von einem ausgearteten Kapitalismus beherrschte, verderbte Land.
Soziale Unruhen, Revolten in den Industrieländern häuften sich. Ein Weltboykott amerikanischer Waren drohte als Vergeltung.
Und dann setzte überall in der Welt spontan ein großzügiges Hilfswerk ein. Überall und am schnellsten und besten in den USA. Der Kongreß, der unmittelbar nach der Katastrophe am Isthmus einberufen worden war, stellte als erster Europa einen Riesenkredit zur Verfügung.
Sammlungen im ganzen Lande wurden veranstaltet. Mit einer Milliarde Dollar stand die New Canal Company obenan. Jede Tonne entbehrlichen Schiffsraums, große Lastflugzeuge wurden nach Europa dirigiert. Arbeitsgelegenheit und Platz für Millionen sollten frei gemacht werden. Alles wurde getan, um das Odium zu mildern, das auf dem Lande lastete.
Die Schreckensszenen, die in Wort und Bild dem amerikanischen Publikum Tag für Tag vorgeführt wurden, trugen das Ihre dazu bei, die Hilfsbereitschaft zu steigern. Ergreifende, entsetzliche Bilder brachten die Filmstreifen und Fernsehbilder aus dem sterbenden Europa.
Ein freundliches Dorf in blühender Landschaft … eine Industriestadt mit Hunderten von Fabriken. Einen Tag