Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik

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Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band - Hans  Dominik


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sechsfüßige Irländer mit Gummiknüppel und Filzhelm.

      »Hallo, Sir! Wohin?«

      Ein unwilliges Murren war die Antwort des eilig Weiterschreitenden.

      »Stop, Sir!«

      Breit und massig schob der irische Riese sich ihm in den Weg und hob den Gummiknüppel in nicht mißzuverstehender Weise.

      Heftig riß der Besucher eine Karte aus seiner Tasche und übergab sie dem Beamten.

      »Zum Chef, sofort!«

      Mehr noch als das herrisch gesprochene Wort veranlaßte der funkelnde Blick den Policeman, mit großer Höflichkeit die Tür zu öffnen und den Fremden in ein saalartiges Anmeldezimmer zu geleiten.

      »Edward F. Glossin, medicinae doctor« stand auf dem Kärtchen, das der Diener dem Polizeipräsidenten MacMorland auf den Schreibtisch legte. Der Träger des Namens mußte ein Mann von Bedeutung sein. Kaum hatte der Präsident einen Blick auf die Karte geworfen, als er sich erhob, aus der Tür eilte und den Angemeldeten in sein Privatkabinett geleitete.

      »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Doktor?«

      »Haben Sie Bericht aus Sing-Sing?«

      »Nur, was die Zeitungen melden.«

      »Bieten Sie alles auf, um der Entflohenen habhaft zu werden. Wenn die Polizeiflieger nicht ausreichen, requirieren Sie Armeeflieger! Ihre Vollmacht langt doch für die Requisition?«

      »Jawohl, Herr Doktor.«

      »Die Flüchtigen müssen vor Einbruch der Dunkelheit gefaßt sein. Das Staatsinteresse erfordert es. Sie haften dafür.«

      »Ich tue, was ich kann.« Der Polizeichef war durch den ungewöhnlich barschen Ton des Besuchers verletzt, und dies Gefühl klang aus seiner Antwort heraus.

      Dr. Glossin runzelte die Stirn. Antworten, die nach Widerspruch und Verklausulierungen klangen, waren nicht nach seinem Geschmack.

      »Hoffentlich entspricht Ihr Können unseren Erwartungen. Sonst … müßte man sich nach einem Mann umsehen, der noch mehr kann. Lassen Sie nach Sing-Sing telephonieren! Professor Curtis soll hierherkommen. Ihnen in meiner Gegenwart Bericht über die Vorgänge erstatten.«

      Der Präsident ergriff den Apparat und ließ die Verbindung herstellen.

      »Wann kann Curtis hier sein?«

      »In fünfzehn Minuten.«

      Dr. Glossin strich sich über die hohe Stirn und durch das volle, kaum von einem grauen Faden durchzogene dunkle Haupthaar, das glatt nach hinten gestrichen war.

      »Ich möchte bis dahin allein bleiben. Könnte ich …«

      »Sehr wohl, Herr Doktor. Wenn ich bitten darf …« Der Präsident öffnete die Tür zu einem kleinen Kabinett und ließ Dr. Glossin eintreten.

      »Danke, Herr Präsident … Daß ich es nicht vergesse! 200 000 Dollar Belohnung dem, der die Flüchtlinge zurückbringt. Lebendig oder tot!«

      »200 000 …?« MacMorland trat erstaunt einen Schritt zurück.

      »200 000, Herr Präsident! Genau, wie ich sagte. Anschläge mit der Belohnung in allen Städten!«

      Der Präsident zog sich zurück. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als plötzlich alle Straffheit aus den Zügen Dr. Glossins wich und einem erregten, sorgenden Ausdruck Platz machte. Mit einem leichten Stöhnen ließ er sich in einen Sessel fallen und bedeckte mit der Rechten die Augen, während die Linke nervös über das narbige Leder der Lehne glitt. Wie unter einem inneren Zwange kamen abgerissene Worte, halb geflüstert und stoßweise, von seinen Lippen.

      »Stehen die Toten wieder auf? … Bursfelds Sohn! Kein Zweifel daran … Wer rettete ihn? … Wer war dieser Williams? Der Vater selbst? … Nur der besäße die Macht, ihn zu retten … Er war es sicher nicht … Die Riegel des Towers sind fester als die von Sing-Sing … Wer wüßte noch um die geheimnisvolle Macht? … Ah, Jane! … Sie könnte es offenbaren. Der Versuch muß gemacht werden … Unmöglich, jetzt noch nach Trenton zu fahren … Ich muß bis zum Abend warten … Ein unerträglicher Gedanke. Acht Stunden in Ungewißheit …«

      Der Sprecher fuhr empor und warf einen Blick auf sein Chronometer.

      »Ruhe, Ruhe! Noch zehn Minuten für mich.«

      Einem kleinen Glasröhrchen entnahm er sorgfältig abgezählt zwei winzige weiße Pillen und verschluckte sie. Beinahe momentan wich die nervöse Spannung aus seinen gequälten Zügen und machte einer friedlichen Ruhe Platz. Seine Gedanken wanderten rückwärts. Bilder aus einer ein Menschenalter zurückliegenden Vergangenheit zogen plastisch an seinem Geiste vorüber … Die großen Bahnbauten damals in Mesopotamien im ersten Jahrzehnt nach dem Weltkriege. Ein kleines Landhaus am Ausläufer der Berge … Eine blonde Frau in weißem Kleide mit einem spielenden Knaben im Arm … Wie lange, wie unendlich lange war das her, daß er Gerhard Bursfeld, den ehemaligen deutschen Ingenieuroffizier, aus seinem kurdischen Zufluchtsort hervorgelockt und für die mesopotamischen Bahn- und Bewässerungsbauten gewonnen hatte. Damals, als Hände und Köpfe im Zweistromlande knapp waren.

      Gerhard Bursfeld war dem Rufe zu solcher Arbeit gern gefolgt. Mit ihm kamen sein junger Knabe und sein blondes Weib Rokaja Bursfeld, die schöne Tochter eines kurdischen Häuptlings und einer zirkassischen Mutter.

      Ein glückliches Leben begann. Bis Gerhard Bursfeld die große gefährliche Erfindung machte. Bis Edward Glossin, in Liebe zu der blonden Frau entbrannt, den Freund und seine Erfindung an die englische Regierung verriet … Gerhard Bursfeld verschwand hinter den Mauern des Towers. Sein Weib entfloh mit dem dreijährigen Knaben. In die Berge nach Nordosten. Ihre Spur war verloren. Und Edward Glossin war der betrogene Betrüger. Mit ein paar tausend Pfund speiste ihn die englische Regierung für ein Geheimnis ab, dessen Wert ihm unermeßlich schien …

      Die Züge des Träumers nahmen wieder die frühere Spannung an. Der Klang einer elektrischen Glocke ertönte. Der Doktor erhob sich und ging straff aufgerichtet in das Kabinett des Polizeichefs.

      Kurz begrüßte er den Ankömmling Professor Curtis aus Sing-Sing und fragte: »Wie ist es möglich gewesen, daß die Apparatur versagte?«

      Stockend und nervös gab der Professor seinen Bericht.

      »Uns allen ganz unbegreiflich! Auf 5 Uhr 30 Minuten war die Elektrokution des Raubmörders Woodburne angesetzt. Sie ging glatt vonstatten. Um 5 Uhr 40 Minuten lag der Delinquent bereits auf dem Seziertisch. Die Maschine wurde stillgesetzt und um 5 Uhr 55 Minuten wieder angelassen. Punkt 6 Uhr brachte man den zweiten Delinquenten und schnallte ihn auf den Stuhl. Er trug den vorschriftsmäßigen Hinrichtungsanzug mit dem Schlitz im rechten Beinkleid. Die Elektrode wurde ihm um den Oberschenkel gelegt. Zwei Minuten nach sechs senkte sich die Kupferhaube auf seinen Kopf. Im Hinrichtungsraum stand der Gefängnisinspektor mit den zwölf vom Gesetz vorgeschriebenen Zeugen. Der Elektriker des Gefängnisses hatte seinen Platz an der Schalttafel, den Augen des Delinquenten verborgen. 6 Uhr 3 Minuten schlug er auf einen Wink des Scherifs den Schalthebel ein … Ich will gleich bemerken, daß dies die letzte authentische Zeitangabe aus Sing-Sing ist. Um 6 Uhr 3 Minuten sind alle Uhren in der Anstalt mit magnetisierten Eisenteilen stehengeblieben. Die weiteren Zeitangaben in den Zeitungen stammen vom Neuyorker Telegraphenamt …«

      Dr. Glossin wippte nervös mit einem Fuß. Der Professor fuhr fort.

      »In dem Augenblick, in dem der Elektriker den Strom auf den Delinquenten schaltete, blieb die Dynamomaschine, wie von einer Riesenfaust gepackt, plötzlich stehen. Sie stand und hielt ebenso momentan auch die mit ihr gekuppelte Dampfturbine fest. Mit ungeheurer Gewalt strömte der Frischdampf aus dem Kessel gegen die stillstehenden Turbinenschaufeln. Es war höchste Zeit, daß der Maschinenwärter zusprang und den Dampf abstellte.

      Während alledem saß der Delinquent ruhig auf dem Stuhl und zeigte keine Spur einer Stromwirkung. Erst später ist mir das eigenartige Verhalten des Verurteilten wieder in die Erinnerung gekommen. Er schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Aber sobald er in den Hinrichtungsraum geführt wurde, kehrte


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