Gabriel Schillings Flucht: Drama. Gerhart Hauptmann

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Gabriel Schillings Flucht: Drama - Gerhart Hauptmann


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Brett an einem Ende mit zwei Händen an.) Komm, faß mal die andre Seite an, Ottfried!

      Kühn:

      Sie sind ja zu gütig! Recht scheenen Dank, meine Herren!

      Mäurer

      (springt herzu, faßt die andere Seite des Brettes und er und Schilling fangen an, damit zu wippen):

      Na also, da sind wir ja wieder mal drei vergnügte Berliner zufälligerweise auf einer unentdeckten, einsamen Insel zusammengeschneit.

      Schilling

      (wippend):

      »Berlin, Berlin, du dauerst mir!«

      (Sie legen dem Tischler das Brett auf die Schulter)

      Mäurer:

      Das ist nämlich 'n richtiger Berliner, mein Sohn.

      Kühn:

      Ich habe nämlich, wie dat so is, und dat mein Metier so mit sich bringt, een jroßes Pläsier an d' Särge machen. Särge hab ick sehr jern, bloß meinen eignen nich. Und wie nu mal, draußen am schlesischen Bahnhof hab ick jetischlert, der Fremde kam, der wo so klapprige Beene hat, und uzte mir, dat ick ma nu sollte meinen eignen hölzernen Schlafrock machen, da dachte ick mir, vorwärts, nu aber raus aus Berlin. Jawoll, de Ärzte hatten mir uffgegeben, und hier bin ick wieder fuchsmunter jeworn. (Er nickt und geht mit seinen Brettern auf der Schulter ab.)

      Schilling

      (stutzt, betrachtet abwechselnd seine offenen Hände, die er sich harzig gemacht hat, und sieht dem Tischler nach):

      Komisch, wie so ne Stimme hier anders klingt, und wie so'n gleichgültiger Kerl hier anders aussieht, als wie in Berlin — und wie so'n Brett sich anders anfaßt. (Er ruckt sich zusammen und nimmt seinen Malkasten wieder auf.)

      Mäurer:

      Mensch, es war der allerschlauste Gedanke, den du seit Jahren gehabt hast, daß du gekommen bist.

      Schilling

      (kurz, befremdlich):

      Es hat sich gemacht.

      Mäurer:

      Na also, es mußte sich auch mal machen. Das war doch zum Beinausreißen mit uns; man konnte deiner ja gar nicht mehr habhaft werden. Wie geht's, wie steht's?

      Schilling:

      Wie du siehst, famos!

      Mäurer:

      Wirklich, du siehst ausgezeichnet aus. Etwas spack natürlich, das macht die Stadt; aber wie du daherkamst, mit Jünglingsschritten, da sahst du wie 'n mittlerer Zwanziger aus.

      Schilling:

      Ja, das macht das geregelte Leben, mein Sohn. Hübsch ausschlafen, nachts! Keine gegipsten Weine trinken! Nimm dir ein Beispiel, wenn du kannst, denn deine Nase hat etwas Verdächtiges.

      Mäurer

      (faßt sich an die Nase):

      Stimmt! Aber sage, Junge, was soll man tun? Unsereiner, der wie ein Maurer arbeitet, kann ohne was Geistiges eben nicht sein. Du hast dir das Trinken abgewöhnt?

      Schilling:

      Das will ich nicht grade behaupten, Ottfried.

      Mäurer:

      Nanu, Augen grad aus! Ist das nu was oder nicht? Ist so'n Anblick die acht Stunden Bummelzug etwa nicht wert, mein Sohn?

      Sie vertiefen sich beide in den Anblick der See, die man laut und gleichmäßig rauschen hört, und in das Leuchten des blutroten Abendhimmels.

      Schilling

      (dem die Augen vor Erschütterung überlaufen):

      Es ist verflucht, wie unsereiner nervös auf dem Hunde ist. Man merkt das vor so einem plötzlichen Eindruck.

      Mäurer:

      Das ging Lucie und mir nicht anders, Schilling. Als plötzlich die langen Schaumlinien auftauchten — wir kamen zu Fuß vom Fährhaus herüber zum westlichen Strand! — das hat uns beide höllisch überrumpelt; und ich glaube, wir haben beide, ich weiß nicht wieso, wie Kinder geflennt. Übrigens weißt du ja wohl, ist im Frühjahr Luciens Mutter gestorben.

      Schilling

      (sonderbar ängstlich):

      So? Ist sie gestorben? Ach! Woran?

      Mäurer:

      Hat dir Rasmussen nicht davon gesprochen?

      Schilling:

      Rasmussen hab ich jetzt nicht gesehen ... wie lange? — Gut anderthalb Jahre nicht.

      Mäurer:

      Er hat Frau Heil zuletzt noch behandelt.

      Schilling

      (nach längerem Stillschweigen):

      Ja, wie das mit einem so eigensinnigen, in seinem Fach bornierten Menschen, wie Rasmussen, eben ist. Wessen unsereiner bedarf, das begreift er nicht. Ich hasse auch alle Moralphilister! Und er hat einen förmlichen Haß auf die Kunst. Wissenschaft! Nur immer Wissenschaft! Wissenschaft hier und Wissenschaft dort! Und im Namen der Wissenschaft jeglichen Unsinn. Und nun erst in Geschmacksdingen — : hottentottenhaft! Ich mußte mal mit ihm reinen Tisch machen.

      Mäurer:

      Du, du, vermiese mir unsern Rasmussen nicht. Ein Kerl ... na, mit einem Wort: nicht zu spaßen. Solid! Wo man ihn anfaßt, ist auch was.

      Schilling:

      Sag mal, an was ist Frau Heil gestorben?

      Mäurer:

      Ein Herzleiden scheint es gewesen zu sein.

      Schilling

      (tief atmend):

      Kein Wunder, wenn man bedenkt, in welch stickige Atmosphäre die Menschen der Großstadt lebenslang eingekerkert sind. Leben heißt ihnen, sich aufregen, und an diesem ununterbrochenen Überreizungen sterben sie dann natürlich frühzeitig scharenweise elend hin! — Du kannst dir nicht denken, Ottfried, wie sehr ich diesmal nach dem Anblick gelechzt habe.

      Mäurer:

      Warum nicht? Es ging mir genau so wie dir.

      Schilling:

      Unmöglich! Ich habe mitten im Lärm und Asphaltgestank der Friedrichstraße schon immer das Meer vor Augen gesehen, tatsächlich, als richtige Luftspiegelung. Ich habe immer danach gegriffen! — Ich bin wie ein Seehund! Ich möchte gleich Hals über Kopf mitten hinein.

      Mäurer:

      Das finde ich schließlich auch weiter nicht merkwürdig. Du solltest mal Lucie reden hören in ihrer fanatischen und direkt waghalsigen Badewut.

      Schilling:

      Das ist auch was andres, das meine ich nicht. Ich glotze diesmal die See mit Augen an ... wovon ihr keine Ahnung habt, Kinder. Als wenn einem der Star gestochen worden ist. Dort stammen wir her, dort gehören wir hin.

      Mäurer

      (lachend):

      Du bist Wasser und sollst zu Wasser werden! — Wie geht's deiner Frau? Willst du was rauchen, Schilling?

      Schilling

      (fahrig, zerstreut):

      Wie Pauken und Zymbeln klingt das im Kopf! — Rauchen? — Eveline ist munter, Gott sei Dank! Soweit das bei ihr überhaupt möglich ist, nämlich. Eigentlich hab ich sie, ehrlich gestanden, nie wirklich bei guter Laune gesehn. (Er läßt sich auf der Düne nieder.) Sprechen wir lieber von was andrem. — Es kommt nämlich immer darauf an, wenn es sich um Miseren handelt, ob man imstande ist, sie zu beheben. Hat man das aber bis zur Verblödung auf jede erdenkliche Weise vergeblich


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