Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
Читать онлайн книгу.Die Festhalle in Gunnars Hause. Die Eingangstür befindet sich im Hintergrunde, kleinere Türen an den Seitenwänden. Im Vordergrunde links der große Hochsitz, ihm gegenüber, rechts, der kleinere. Mitten in der Halle brennt ein Reisigfeuer auf einem gemauerten Herd. Im Hintergrunde zu beiden Seiten der Tür sind Erhöhungen für die Frauen des Hauses. An den Wänden entlang zwei mächtige Tische mit Bänken zu beiden Seiten; sie reichen von den zwei Hochsitzen bis zum Hintergrunde. Draußen ist es finster; das Feuer erhellt die Halle.
Dagny und Hjördis kommen von rechts herein.
Dagny. Ich verstehe Dich nicht, Hjördis. Du hast mich nun auf dem ganzen Hof herumgeführt. Ich wüßte nicht, was Dir fehlt – und was Du hast, ist schön und herrlich – wie kannst Du klagen?
Hjördis. Hm! Setz' einen Aar in den Käfig, und er wird in die Stäbe beißen, seien sie nun von Eisen oder von Gold.
Dagny. In einem bist Du doch reicher als ich; Du hast Egil, Deinen kleinen Sohn.
Hjördis. Besser keinen Sohn als einen, der unehrlich geboren ist!
Dagny. Unehrlich?
Hjördis. Hast Du die Worte Deines Vaters vergessen? – Egil ist ein Bankert, – so sagte er.
Dagny. Ein Wort im Zorn gesprochen – wie magst Du das Dir zu Herzen nehmen!
Hjördis. Ja, ja, Oernulf hatte recht; Egil ist schwächlich; man merkt ihm an, daß er unfrei geboren.
Dagny. Hjördis, wie kannst Du –
Hjördis, ohne auf sie zu hören. So saugt sich die Schande ins Blut, wie Gift vom Schlangenzahn. In freigebornen Heldensöhnen ist andres Mark. Ich hab' von einer Königin gehört, die ihrem Sohn das Wams fest ins Fleisch genäht, ohne daß er mit den Augen zuckte. Mit einem boshaften Gesichtsausdruck. Dagny, das will ich bei Egil versuchen!
Dagny empört. Hjördis! Hjördis!
Hjördis lacht. Haha! Du denkst, es sei mein Ernst? Mit verändertem Ton. Doch ob Du mir nun glaubst oder nicht – bisweilen kommt eine unwiderstehliche Lust über mich, dergleichen zu vollführen. Es muß wohl im Blute liegen; es heißt ja, ich stamme vom Geschlechte Jötuns. – Da, setz' Dich, Dagny! Weit herum bist Du gekommen in diesen fünf langen Jahren – sag', an Königshöfen warst Du wohl oft zu Gast?
Dagny. Gewiß! Zumal bei Aedhelstan in England.
Hjördis. Und warst überall hoch geehrt und saßest zu oberst an der Tafel?
Dagny. Das sollt' ich meinen. Als Sigurds Ehefrau –
Hjördis. Fürwahr, ein gepriesener Held ist Sigurd – steht auch Gunnar über ihm.
Dagny. Gunnar?
Hjördis. Eine Tat vollbrachte Gunnar, deren Sigurd sich nicht erkühnte – Doch genug! – Und nun sag' mir: wenn Sigurd auf Wikingsfahrten war und Du ihm folgtest; wenn Du die Schwerter sausen hörtest in wildem Spiel; wenn das rote Blut auf dem Schiffsdeck dampfte – überkam Dich da nicht eine unbändige Lust, unter den Männern zu streiten, das Kriegskleid anzulegen und zur Waffe zu greifen?
Dagny. Nie! Wo denkst Du hin? Ich – ein Weib!
Hjördis. Ein Weib, ein Weib! – Es gibt niemand, der weiß, was ein Weib vermag! – Nun, – eines wirst Du mir doch sagen können, Dagny; denn das mußt Du sicher wissen: wenn ein Mann das Weib umfängt, das er liebt – ist es wahr, daß alsdann ihr Blut brennt, daß ihre Brust pocht, daß ihr die Sinne vergehen vor seliger Lust?
Dagny errötend. Hjördis, wie kannst Du –
Hjördis. So sag' mir's –
Dagny. Das, denk' ich, hast Du wohl selbst erfahren.
Hjördis. Ja, ein Mal, nur ein einzig Mal! Es war in jener Nacht, da Gunnar bei mir saß in der Kammer. Er umfing mich so heftig, daß der Harnisch barst, und da, da –
Dagny erregt. Wie? Sigurd?
Hjördis. Sigurd? Wer spricht von Sigurd? Von Gunnar red' ich und von jener Nacht, da der Weiberraub –
Dagny faßt sich. Ja, ich erinnere mich, – ich weiß wohl –
Hjördis. Es war das erste und das einzige Mal in meinem Leben – Mir war, als hätt' ein Zauber mich gebannt. Denn daß Gunnar ein Weib so umfahen könne, das – Sie hält inne und blickt Dagny an. Bist Du krank? – Bald wirst Du bleich, bald rot –
Dagny. Ich? O nein!
Hjördis ohne Dagnys zu achten. Hinaus aufs Meer in den lustigen Kampf hätt' ich ziehen sollen! Das wäre besser gewesen, für mich und vielleicht auch – für uns alle! Das war' ein Leben gewesen, voll und reich! – Wunderst Du Dich nicht, Dagny, mich lebend hier zu finden? Wird Dir nicht bange, nun es finster worden, allein in einer Stube mit mir zu sein? Kommt Dir nicht der Gedanke, ich wär' all die Zeit über tot gewesen, und die hier vor Dir steht, sei nur ein Geist?
Dagny in unheimlicher Stimmung. Komm – laß uns gehen – zu den andern!
Hjördis faßt sie beim Arm. Nein, bleib! Begreifst Du, Dagny, wie ein Mensch, der fünf Nächte hier geweilt hat, noch leben kann?
Dagny. Fünf Nächte?
Hjördis. Hier im Norden ist jede Nacht einen Winter lang. – In schnellem Wechsel der Stimmung. Aber nein, – es ist auch schön hier! Du sollst hier sehen, was Du nie an Englands Königshof erschaut. Die Zeit, da Du bei mir bist, wollen wir miteinander wie Schwestern sein. Zum Meer hinunter wollen wir gehen, wenn das Unwetter tobt; Du sollst die Wogen sehen, wie sie ans Land fliegen gleich wilden weißmähnigen Rossen. Und weit draußen die Walfische! Sie gehen aufeinander los wie Kämpen in Panzer und Stahl! – Ha, welche Wonne, reitend auf des Walfischs Rücken als Unhold vor den Schiffen einherzuziehen, den Sturm zu wecken und durch süße Zauberweisen die Menschen in die Tiefe zu locken!
Dagny. Pfui, Hjördis, wie kannst Du nur so sprechen!
Hjördis faßt sie bei der Hand. Kannst Du Zauberlieder singen?
Dagny mit Abscheu. Ich?!
Hjördis. Ich glaubte es. Denn wodurch sonst hättest Du Sigurd an Dich gelockt?
Dagny. Schändlich ist Deine Rede. Ich gehe!
Hjördis hält sie zurück. Weil ich scherze? – Hör' nur weiter! Wie herrlich, Dagny, am Abend hier an der Luke zu sitzen, – zuzuhören dem Meergespenste, das im Bootshaus unten jammert – hier zu weilen und zu lauschen auf die Heimfahrt der Toten – denn hier oben im Norden müssen sie vorbei. Die Recken sind's, die im Streite gefallen, die gewaltigen Weiber, die ihr Leben nicht tatenlos verbracht, wie Du und ich. In Sturm und Ungewitter sausen sie durch die Lüfte – auf schwarzen Rossen und mit hellem Schellenklang! Schlingt ihre Arme um Dagny und drückt sie wild an ihre Brust. Ha! Stell' Dir vor, Dagny, die letzte Fahrt auf so herrlichem Renner zu tun!
Dagny, indem sie sich losreißt. Hjördis! Hjördis! Laß mich! Ich will nichts hören!
Hjördis lacht. Weich ist Dein Sinn und schreckhaft.
Gunnar kommt vom Hintergrunde her mit Sigurd und Thorolf.
Gunnar. Ja wahrhaftig, zu meinem Glücke fehlt mir nun nichts mehr. Dich, Sigurd, meinen tapfern Bruder, hab' ich wiedergefunden, ganz so treu wie in früheren Tagen; ich habe Oernulfs Sprossen unter meinem Dach, und er selbst, der Greis, wird später kommen – ist's nicht so?
Thorolf. Er versprach es.
Gunnar. Wäre nur auch klein Egil hier!
Thorolf. Den Knaben hast Du wohl sehr lieb, denn Du sprichst so oft von ihm?
Gunnar. Wie sollt' ich nicht! Er ist ja doch mein einziges Kind und verspricht hold und liebreich zu werden.
Hjördis. Aber kein Kämpe.
Gunnar. Je nun, das wird sich zeigen.
Sigurd. Daß Du ihn aber fortbrachtest