Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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Gehen, unmerklich fast, mit den Knien gegen das Gewand. Der junge Mann folgte dieser Bewegung, so wenig schön sie sein mochte, mit den glücklichsten Augen; er merkte es kaum, als die Geliebte jetzt wieder vor ihm stand. »Nun«, fragte sie, »was sagte die Frau Syndika? Oder war es eine von ihren sieben Töchtern?«

      »Sie sagte« – und er ließ seine Augen langsam an ihrer feinen Gestalt hinaufgleiten – »sie sagte: ,Die Mamsell Fränzchen ist eine angenehme Person; aber gehen tut sie wie eine Bachstelze!«

      »O du!« – – Und Fränzchen legte die Hände auf dem Rücken ineinander und sah freudestrahlend auf ihn nieder.

      »Seitdem«, fuhr er fort, »konnte ich’s nicht wieder von mir bringen; überall hab ich müssen dich vor mir gehen und hantieren sehen.«

      Sie stand noch immer vor ihm, schweigend und unbeweglich.

      »Was hast du?« fragte er. »Du siehst so stolz und vornehm aus!«

      Sie sagte: »Es ist das Glück!«

      »O, eine Welt voll!« Und er zog sie mit beiden Armen zu sich nieder.

       Es war eine andere Zeit; wohl über sechzig Jahre später. Aber es war wieder an einem Sommernachmittage, und die Rosen blühten auch wie dazumal. – In dem oberen Zimmer nach dem Garten hinaus saß eine alte Frau. Auf ihrem Schoße, den sie mit einem weißen Schnupftuch überbreitet hatte, hielt sie eine dampfende Kaffeetasse; doch schien sie heute des gewohnten Trankes zu vergessen, denn nur selten und wie in Gedanken führte sie die Tasse an den Mund.

      Nicht weit davon, dem Sofa gegenüber, saß ihr Enkel, ein Mann über die Zeit der vollsten Jugend noch kaum hinaus. Er stützte seinen Kopf in die Hand und blickte nach den kleinen Familienbildern, die in silberner Fassung über dem Sofa hingen. Der Großvater, die Urgroßeltern, Tante Fränzchen, des Großvaters Schwester, – sie waren lange tot, er hatte sie nicht gekannt. Nun ließ er seine Augen von einem zum andern gehen, wie er schon oft getan, wenn er mit der Großmutter in der stillen Nachmittagsstunde beisammensaß. Auf Tante Fränzchens Bilde schienen die Farben am wenigsten verblichen, obwohl sie vor den Eltern und lange vor dem Bruder gestorben war. Die rote Rose in der weißen Puderfrisur war noch wie frisch gepflückt; auf der amarantfarbenen Kontusche zeichnete sich deutlich ein blaues Medaillon, das an einem dunklen Bande vom Halse auf die Brust herabhing. Der Enkel konnte nicht die Augen wenden von diesen kargen Spuren eines früh dahingegangenen Lebens; er blickte fast mit Inbrunst in das feine blasse Gesichtchen. Der Garten, wie er ihn als Knabe noch gesehen, trat vor seine Phantasie; er sah sie darin wandeln zwischen den seltsamen Buchsbaumzügen; er hörte das Knistern ihres Schuhes auf den Muschelsteigen, das Rauschen ihres Kleides. Aber die Gestalt, die er so heraufbeschworen, blieb allein; gebannt in dem grünen Fleckchen, das vor seinem inneren Auge stand. Was sich um die Lebende einst mochte bewegt haben, ihre Gespielinnen, die Töchter aus den alten finsteren Patrizierhäusern, den Freund, der nach ihr spähte zwischen den Büschen des Gartens, hatte er keine Macht ihr zu gesellen. »Wer weiß von ihnen!« sprach er vor sich hin; das kleine Medaillon war ihm wie ein Siegel auf der Brust des vor so langer Zeit verstorbenen Mädchens.

      Die Großmutter setzte die Tasse auf die Fensterbank; sie hatte ihn sprechen hören. »Bist du in unserer Gruft gewesen, Martin?« fragte sie; »sind die Reparaturen bald zu Stande?«

      »Ja, Großmutter.«

      »Es muß alles in Ordnung sein; wir haben in unserer Familie immer auf Reputation gehalten.«

      »Es wird alles in Ordnung kommen«, sagte der Enkel, »aber es ist ein Sarg eingestürzt; das hat einen Aufschub gegeben.«

      »Sind denn die Eisenstangen abgerostet?«

      »Das nicht. Er stand zu hinterst neben dem Gitter; das Wasser ist darauf getropft.«

      »Das muß Tante Fränzchen sein«, sagte die Großmutter nach einigem Besinnen. – »Lag denn ein Kranz darauf?«

      Martin sah die Großmutter an. »Ein Kranz? – – Ich weiß es nicht; er mag auch wohl vergangen sein.«

      Die Greisin nickte langsam mit dem Kopf und sah eine Weile schweigend vor sich hin. »Ja, ja!« sagte sie dann, fast wie beschämt, »es ist nun freilich schon über funfzig Jahre her, daß sie begraben wurde. Ihr Fächer, der mit Schmelz und Füttern, liegt noch drüben im Saal in der Spiegelkommode; ich habe ihn aber gestern nicht finden können.«

      Der Enkel vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken. Die Großmutter bemerkte es und sagte: »Deine Braut, der Wildfang, ist mir wohl wieder über meinem Kram gewesen. Ihr sollt mir das nicht zu euren Possen gebrauchen!«

      »Aber Großmutter, wie sie neulich abends in deinem Reifrock durch den Garten promenierte – ihr wäret alle eifersüchtig geworden, wenn sie Anno neunzig so in eure Laube getreten wäre.«

      »Du bist ein eitler Junge, Martin!«

      »Freilich«, fuhr er fort, »die fremden braunen Augen hat sie nun einmal; die kommen jetzt ohne Gnade in die Familie!«

      »Nun, nun«, sagte die Großmutter, »die braunen Augen sind schon gut, wenn nur ein gutes Herz herausschaut. – Aber den Fächer soll sie mir in Ehren halten! Tante Fränzchen trug ihn auf deines Großvaters Hochzeit, und mich dünkt, ich seh sie noch mit der dunkelroten Rose in den Haaren. Nachher hat sie dann nicht gar lange mehr gelebt. – Es war eine große Liebe zwischen den Geschwistern; sie hat ihrem Bruder dazumalen auch ihr Porträt geschenkt, und dein Großvater hat es, so lange er lebte, bei sich in seiner Schreibschatulle gehabt. – Später hingen wir es denn hierher, zu ihm und zu den Eltern.«

      »Sie ist wohl schön gewesen, Großmutter?« fragte der Enkel, indem er nach dem Bilde hinüberblickte.

      Die Großmutter schien ihn nur halb zu hören. »Sie war ein kluges Frauenzimmer«, sagte sie, »und sehr geschickt in der Feder. Während dein Großvater in Marseille war, und auch wohl später noch, hat sie dem alten Vater alle Jahr die Klosterrechnungen ausgeschrieben; denn er war Klostervorsteher und dann Ratsverwandter, ehe er zweiter Bürgermeister wurde. – Sie hatte auch eine schlanke, wohl proportionierte Figur, und dein Großvater pflegte sie wohl mit ihren feinen Händen zu necken. Aber heiraten hat sie niemalen wollen.«

      »Gab es denn derzeit keine jungen Männer in der Stadt, oder haben ihr die Freier nicht gefallen?«

      »Das«, sagte die Großmutter, indem sie mit den Händen über ihren Schoß strich, »das, mein liebes Kind, hat sie mit sich in ihr Grab genommen. – Man sagte wohl, sie hab einmal einen leiden können; – Gott mag es wissen! Es war ein Freund deines Großvaters und ein reputierlicher Mensch. Aber er war Offizier und Edelmann; und dein Urgroßvater war immer sehr gegen das Militär. – Auf deines Großvaters Hochzeit tanzten sie miteinander, und ich entsinne mich wohl, sie machten ein schönes Paar zusammen. Unter den Leuten nannten sie ihn nur den Franzosen; denn er hatte rabenschwarzes Haar, das er nur selten pudern ließ, wenn er nicht just im Dienst war. Es ist aber das letzte Mal gewesen; er nahm bald darauf seinen Abschied und kaufte sich weit von hier einen kleinen Landsitz, wo er noch einige Zeit nach deines Großvaters Tode mit einer unverheirateten Schwester gelebt hat.«

      Der Enkel unterbrach sie. »Es muß damals ein anderes Ding gewesen sein um die Herzensgeschichten«, sagte er nachdenklich.

      »Ein anderes Ding?« wiederholte die Großmutter, indem sie ihrem Körper für einen Augenblick die Haltung der Jugend wiederzugeben suchte. »Wir hatten so gut ein Herz wie ihr, und haben unser Teil dafür leiden müssen. – Aber«, fuhr sie beruhigter fort, »was wißt ihr junges Volk auch, wie es dazumalen war. Ihr habt die harte Hand nicht über euch gefühlt; ihr wißt es nicht, wie mäuschenstille wir bei unsern Spielen wurden, wenn wir den Rohrstock unseres Vaters nur von ferne auf den Steinen hörten.«

      Martin sprang auf und faßte die Hände der Großmutter.

      »Nun«, sagte sie, »es mag vielleicht besser sein, so wie es jetzo ist. Ihr seid glückliche Kinder; aber deines Großvaters Schwester lebte in den alten Tagen. – Seit wir nach unserer Hochzeit das untere Stockwerk hier im Hause bewohnten, kam sie gern zu uns herunter; manchmal auch saß


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