Der Katzenschatz. Hanna Nolden

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Der Katzenschatz - Hanna Nolden


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zu dürfen. Delilah liebte das Getuschel der Omis.

      „Dann lass uns gleich aufbrechen!“, rief sie.

      Auf den Straßen war nicht viel los. Es waren Ferien, und die meisten Erwachsenen, die nicht gerade arbeiteten, waren mit ihren Kindern in den Urlaub gefahren. Delilah war heute wenig gesprächig. Sie tauschten bloß ein paar Belanglosigkeiten aus. Jonas kaute unentwegt an seiner Unterlippe Er war nervös wegen der Katzenfrau. Er wusste nicht genau, warum, aber die Frau war ihm unheimlich. Delilah hingegen zeigte keinerlei Nervosität. Manchmal glaubte Jonas, sie hatte vor gar nichts Angst. Vielleicht lag das an ihrer Kostümierung, die sie schützte. Wie eine Rüstung gegen die Welt. Jonas betrachtete seine Freundin heimlich. Sie lächelte vor sich hin und checkte die Bürgersteige, um doch noch ein paar entsetzte Blicke zu erhaschen. Noch vor einem oder zwei Jahren hatte sie ganz anders ausgesehen. Lange, nussbraune Haare hatte sie gehabt und sich auch noch nicht geschminkt. Da hatte er sie auch noch Tabea nennen dürfen. Sie hatte mit ihren Eltern und einigen Katzen in einem schönen Haus mit großem Garten gelebt. Aber ihr Vater war irgendwann ausgezogen. Über Nacht. Einfach weg. Und Tabea war mit ihrer Mutter in eine kleine Wohnung gezogen. Eine Sozialwohnung, denn Tabeas Mutter war arbeitslos. Katzen waren dort nicht erlaubt. J-Pop schon. So hatte alles angefangen. Tabea war in dem Haus mit dem Garten geblieben. Und hier kam Delilah und hatte vor nichts mehr Angst.

      Sie blieben vor dem Haus von Frau Rigby stehen. Ein alter Jägerzaun, windschief und morsch, umgab einen verwilderten Garten. Zwei Katzen saßen auf der Türschwelle und sahen die nahenden Gäste an, als wären sie die Torwächter. Aus dem Haus war Radau zu vernehmen. Es wimmelte darin nur so vor Katzen, das wusste Jonas, der schon ein paar Mal mit seiner Mutter hier gewesen war. Es klang so, als würde ein regelrechter Krieg im Haus toben. Delilah schien davon nichts zu bemerken. Schon hatte sie die Pforte aufgeschoben und ging auf die beiden Katzen zu.

      „Hallo ihr Schönen!“, sagte sie freundlich und ging in die Hocke. Die erste Katze, schneeweiß und bildschön, kam und schnüffelte an ihrer Hand, so wie die Ratten es am Morgen mit Jonas getan hatten. Sie maunzte leise und stieß Delilah mit dem Köpfchen an. Delilah strahlte. Sie öffnete die Hand und streichelte die Weiße, die sich gleich hinlegte, um sich noch ausgiebiger verwöhnen zu lassen. Die andere Katze, schwarz bis auf eine weiße Pfote, und struppig obendrein, rührte sich nicht. Sie starrte Jonas unverwandt an, als würde sie ihm misstrauen. Jonas bekam eine Gänsehaut. Oh ja! Er wusste schon, warum er Katzen nicht mochte!

      „Die haben bestimmt Flöhe“, sagte er und setzte sich ruckartig in Bewegung, um zu klingeln. Delilah erwiderte nichts. Die Weiße schnurrte unter ihren liebkosenden Händen.

      Auf das Klingeln folgte eine kurze Stille, dann ging der Radau weiter. Die Stimme der alten Frau Rigby mischte sich unter die der Katzen.

      „Komm ja schon. Komm ja schon.“

      Die Tür ging auf und da stand sie. Eine kleine alte Frau mit schlohweißen, wirren Haaren. Sie trug ein quietschgelbes Hauskleid mit weißen Blümchen darauf und darüber eine fadenscheinige, weiße Schürze mit tiefen, ausgebeulten Taschen. Frau Rigby musterte Jonas so skeptisch, wie die schwarze Katze es zuvor getan hatte. Delilah schien sie gar nicht zu bemerken. Die alte Dame war allerdings auch ziemlich kurzsichtig, und schwerhörig obendrein.

      „Jonas“, sagte sie. „Hallo! Deine Mutter hat schon angekündigt, dass du wohl kommen würdest.“

      Sie nahm eine Liste und ein paar Geldscheine aus ihrer Schürze und drückte sie Jonas in die Hand.

      „Hier ist die Liste und hier ist das Geld.“

      Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, ging wieder ins Haus und schlug die Tür zu, so heftig, dass Jonas zusammenzuckte.

      „War's das schon?“, fragte Delilah verwundert und kam langsam in die Höhe. Jonas zuckte die Achseln. „Offenbar.“

      Delilah stöhnte, als sie beide mit Tüten beladen vom Supermarkt zurückkamen. Das größte Gewicht hatten die Dosen mit dem Katzenfutter. Jonas fragte sich, warum die Alte sich das Zeug nicht liefern ließ. Er selbst bestellte das Stroh und das Knabberzeug für seine Ratten im Internet. Klar, auf den Namen seines Vaters – aber die Rigby hatte doch gewiss ein Bankkonto. Aber nein, obwohl sie schlecht zu Fuß war und immer andere einspringen mussten, holte sie das Futter beim Supermarkt – der, nebenbei bemerkt, auch einen Lieferdienst hatte. So führte die gut gemeinte Nachbarschaftshilfe von Jonas’ Mutter und anderen zu einer zunehmenden Abhängigkeit der Frau und verhinderte ihre Selbstständigkeit und ihr Ankommen in der Gegenwart. Jonas grinste. Das hätte sich im Ethikunterricht bestimmt gut gemacht. Aber jetzt waren ja Ferien. Er beschleunigte seinen Gang.

      „Komm schon, De – wir haben es ja gleich geschafft.“

      Er stieß die Gartenpforte mit dem Knie auf. Auf dem Absatz vor der Haustür saßen wieder die beiden Katzen. Die Weiße maunzte freundlich in Delilahs Richtung zur Begrüßung. Die Schwarze starrte Jonas nur wieder misstrauisch an. Darauf schien sie sich der Weißen zuzuwenden und ihr etwas zu sagen. So klang es zumindest. Dann setzten sich beide Katzen in Bewegung und verschwanden durch die Katzenklappe ins Haus. Drinnen verstummte der Lärm und nur wenige Sekunden später ging die Tür auf. Frau Rigby stand dort und beäugte sie mit gerunzelter Stirn. Jonas bekam erneut eine Gänsehaut. Delilah ließ die Taschen sinken.

      „Kommt rein, Kinder. Ich habe euch Limonade gemacht.“

      Jonas konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. Limonade machen – schon wieder so ein altmodisches Zeug! Wer machte denn schon selber Limonade? Trotzdem: Durst hatte er. Er durchquerte hinter Delilah und Frau Rigby das Wohnzimmer. Überall saßen Katzen, aber sie schwiegen alle, starrten ihn an und ihm wurde trotz der Hitze eiskalt. Sie saßen auf Kratzbäumen, auf den Schränken, in den Regalen, auf dem Sofa, auf dem Couchtisch, sogar auf dem Fernseher. Aber unordentlich war es trotzdem nicht. Irgendwie hatte es Frau Rigby geschafft, trotz der vielen Katzen ein omamäßiges, gemütliches Zuhause zu behalten – bloß, dass alle Sitzmöglichkeiten bereits belegt waren … Das heißt: nicht ganz. Merkwürdigerweise war ein abgewetzter Ohrensessel aus bordeuxrotem Leder mit einem weißen Häkeldeckchen auf der Rückenlehne gänzlich unbesetzt von Katzen. Vermutlich war das der Platz, auf dem Frau Rigby immer saß. Es war seltsam, dass die Katzen ihn nicht einnahmen, wenn die alte Frau nicht da war – aber was verstand Jonas schon von Katzen. Vielleicht hatte sie ihnen irgendwie klar gemacht, dass das ihr Platz war.

      Die Küche war sehr ordentlich. Zwei Katzen fraßen aus Näpfen am Boden, aber hier tummelte sich niemand auf den Küchenschränken oder den Borden. Jonas atmete auf. Mit den Tiermessies aus dem Fernsehen hatte Frau Rigby offenbar nichts gemein. Sie schien tatsächlich alles im Griff zu haben.

      Sie stellten die Tüten am Boden ab und Frau Rigby begann, sie auszuladen.

      „Setzt euch an den Küchentisch, Kinder. Und nehmt euch.“

      Sie folgten der Anweisung. Die selbst gemachte Limonade befand sich in einer großen Bowlenschale und Delilah musste zum Einschenken eine Kelle benutzen. Entgegen Jonas’ Erwartungen war die Limonade köstlich! Und tatsächlich kein Vergleich zu dem Zeug aus Flaschen. Überrascht sah er zu Frau Rigby auf, die ihn belustigt ansah.

      „Da staunst du, was? Jaja, ich hatte auch mal kleine Kinder.“

      Jonas nahm noch etwas nach. Delilah schaute sich um und meinte: „Nett haben Sie es hier, Frau Rigby.“

      Jonas staunte immer wieder darüber, wie höflich sie sein konnte, und wie gut sie es verstand, mit Erwachsenen Smalltalk zu betreiben.

      „Danke, mein Schatz.“

      Delilah lächelte. Während Jonas sie betrachtete, kam sie ihm unglaublich zerbrechlich vor. Er wusste, wie sehr seine Freundin die letzten Jahre gelitten hatte und wie empfänglich sie für freundliche Worte war. Manchmal hätte er sie am liebsten einfach in die Arme genommen oder ihr über die Haare gestrichen, aber das konnte sie nicht leiden. Freundliche Worte dagegen schon, und er gab sich immer Mühe, ihr Komplimente zu machen.

      Als Frau Rigby die Einkäufe wegsortiert hatte, drückte sie ihm und Delilah jeweils einen 5-Euro-Schein in die Hand.

      „Vielen


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