Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky
Читать онлайн книгу.behandelten wir gut und nannten ihn Joachim. Und wir spielten ihm Grammophon vor … »Spiel mal büschen was aus Kaahmen –«, sagte die Prinzessin. »Nein! Spiel das mit die kleinen Gnomens …!« Da war ein Musikstück, das hatte so einen kleinen, hüpfenden Marschrhythmus, und die Prinzessin behauptete, dazu müßte eine Pantomime vonstatten gehn, in der kleine Zwerglein mit Laternlein über die Bühne huschten. Ich drehte die Platte mit den Gnomen an, der Apparat lief, der Esel fraß Gras dazu, wir tranken Whisky, und: – »Mir auch noch einen Zahn voll!« sagte Karlchen. Und die Prinzessin aß zum Nachtisch Käse mit Sellerie, das hatte ihr ein großer Gourmet empfohlen. »Wie schmeckt es?« fragte Karlchen. »Es schmeckt –«, die Prinzessin probierte langsam und sorgfältig – »es schmeckt wie schmutzige Wäsche.« Mißbilligend schlug selbst Joachim mit dem Schweife.
Und dann sangen wir ihm alles vor, was wir wußten, und das war eine ganze Menge.
»For that is the Whisky
that makes me bright and brisky!«
– »Muh!« machte der Esel und wurde verwarnt, denn er war doch keine Kuh, Karlchen blies stille Weisen auf einem Kamm mit Seidenpapier und begehrte stürmisch, im Chantant zu gehen … die Prinzessin lachte viel und manchmal würdelos laut, und ich war, wie jeder von uns, der einzig Nüchterne in diesem Hallo.
Bevor wir zu Bett gingen: »Lydia – er soll nicht wieder Postkarten schreiben! Immer schreibt er Karten.« – »Was für …?« fragte sie. – »Wenn er abreist, dann kommen am nächsten Tag ganz wahnwitzige Postkarten an, die schreibt er im Zug – das ist so seine Art, Abschied zu nehmen. Er soll das nicht; es regt mich so auf!« – »Herr Karlchen, schwören Sie, daß Sie uns diesmal keine Karten schreiben werden?« – Er gab sein kleines Gießener Ehrenwort. Wir trollten in die Heija. Und brachten ihn am nächsten Abend an den Bahnhof, zu dem kleinen Schnaufewagen, und die beiden gaben sich einen Abschiedskuß, der mir reichlich lang erschien. Und dann mußte er einsteigen, und wir standen am Wagen und gaben ihm durch das Fenster kluge Ratschläge auf den Weg, und er fletschte uns an, und als der Wagen anfuhr, sprach er freundlich: »Fritzchen, ich habe deine Zahnpaste mitgenommen!«, und ich warf vor Aufregung meinen Hut nach ihm, und der trudelte beinahe unter die Räder, und dann winkte er, und dann verschwand das Bähnlein um die Ecke, und dann sahen wir gar nichts mehr.
Und am nächsten Mittag trafen vier Postkarten ein: von jeder größeren Station eine – bis nach Stockholm. Auf der letzten stand Folgendes:
»Liebe Toni!
Laß dich auf keinen Fall auf die Polizei bestellen wegen der falschen Eintragung im Hotel – vom 15.! Bleibe eventuell fest und steif dabei, daß Du meine Tochter wärst!
Lieber Freund, ehe ich heute abend fortfuhr, habe ich Dich noch einmal von der Seite angesehn und muß sagen, daß ich aufrichtig erschrocken war. Ich glaube, Dir fallen die Haare aus. Lieber Freund! Das ist mehr als ein Anzeichen – das ist ein Symptom!
Sucht nicht vergeblich nach dem zweiten Kanarienvogel – ich habe ihn für meine lieben Kinderchen mitgenommen. Wo ist der Esel?
Liebe Marie, sieh doch bitte sofort nach, wo mein Siegelring geblieben ist – er muß unter Deinem Kopfkissen liegen. Ich weiß es bestimmt.
Schade um meinen vertanenen Urlaub!
Ich bin immerdar
Euer liebes
Karlchen.«
Viertes Kapitel
Wennt unse Paster man nich süht,
mit unsen Herrgott will ick
woll färdig werden, sä de Bur –
dor makt he sin Heu an Sünndag.
»Wie ist denn das alles so plötzlich gekommen?« fragte die Prinzessin, als ich aus der Kerze seitlich umfiel.
Wir turnten. Lydia turnte, ich turnte – und hinten unter den Bäumen kugelte sich Billie umher. Billie war kein Mann, sondern hieß Sibylle und war eine Mädchenfrau. »Junge, ja …«, sagte die Prinzessin und ließ sich hochatmend zu Boden fallen, »wenn wir davon nicht klug und schön werden …« – »Und dünn«, sagte ich und setzte mich neben sie. »Wie findest du sie?« fragte die Prinzessin und deutete mit dem Kopf nach den Bäumen hinüber.
»Gut«, sagte ich. »Das ist mal ein nettes Mädchen: lustig; verspielt; ernst, wenn sie will – komm an mein Herz!« – »Wer?« – »Sie.« – »Daddy, mit dem Herzen … diese Dame hat sich eben ierst von ihren Freund gietrennt, abers ganz akrat un edel und in alle Freundlichkeit.« – »Wer war das doch gleich?« – »Der Maler. Ein anständiger Junge – aber es ging nicht mehr. Frag sie nicht danach, sie mag nicht davon sprechen. Solche Suppen soll man allein auslöffeln.« – »Wie lange kennt ihr euch eigentlich?« – »Na, gut und gern zehn Jahre. Billie … das ist eben mein Karlchen, weißt du? Ich mag sie. Und zwischen uns hat noch nie ein Mann gestanden – das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Sieh mal, wie sie läuft! Se löpt, as wenn er de Büx brennt!«
Sibylle kam herüber.
Es war schön, sie laufen zu sehn; sie hatte lange Beine, einen gestrafften Oberkörper, und ihr dunkelblaues Schwimmkostüm leuchtete auf dem rasigen Grün.
»Na, ihr Affen«, sagte Billie und ließ sich neben uns nieder. »Wie war’s?« – »Gedeihlich«, sagte die Prinzessin. »Der Dicke hat geturnt, gleich kommen ihm die Knie zum Halse heraus … er ist sehr brav. Wie lange springst du jetzt Seilchen?« – »Drei Minuten«, sagte ich und war furchtbar stolz. »Wie haben Sie geschlafen, Billie?«
»Ganz gut. Wir dachten doch erst, als uns die Frau das kleine Zimmer ausgeräumt hatte, es wäre zu heiß wegen der Sonne, die da den ganzen Tag drin ist … Aber so heiß ist das hier gar nicht. Nein, ich habe ganz gut geschlafen.« Wir sahen alle aufmerksam vor uns hin und wippten hin und her.
»Hübsch, daß du hergekommen bist«, sagte die Prinzessin und kitzelte Billie mit einem langen Halm am Nacken, ganz leise. »Wir hatten vor, hier wie die Einsiedler zu leben – aber dann war erst sein Freund Karlchen da, und jetzt du – aber es ist doch so schön still und friedlich … nein … wirklich …« – »Sie sind sehr gütig, mein Frollein«, sagte Billie und lachte. Ich liebte sie wegen dieses Lachens; manchmal war es silbern, aber manchmal kam es aus einer Taubenkehle – dann gurrte sie, wenn sie lachte. »Was haben Sie da für einen hübschen Ring, Billie«, sagte ich. »Nichts … das ist ein kleiner Vormittagsring …« – »Zeigen Sie mal … ein Opal? Der bringt … das wissen Sie doch … Opale bringen Unglück!« – »Mir nicht, Herr Peter, mir nicht. Soll ich vielleicht einen Diamanten tragen?« – »Natürlich. Und mit dem müssen Sie dann im Schambah Zepareh Ihren Namen in den Spiegel kratzen. Das tun die großen Kokotten alle.« – »Danke. Übrigens hat mir Walter erzählt: da ist er in Paris in einem cabinet particulier gewesen, und da hat auch eine etwas an den Spiegel gekratzt. Raten Sie, was da gestanden hat!« – »Na?« – »Vive l’anarchie! Ich fand das sehr schön.« Wir freuten uns. »Gymnastizieren wir noch ein bißchen?« fragte ich. »Nein, meine Herrschaften, was ich bün, ick hätt somit gienug«, sagte die Prinzessin und reckte sich. »Mein Pensum ist erledigt. Billie, deine Badehose geht auf!« Sie knöpfte ihr das Trikot zu.
Billies Körper war braun, von Natur oder von der Sonne der See, woher sie grade kam. Sie hatte zu dieser getönten Haut rehbraune Augen und merkwürdigerweise blondes Haar – echtes blondes Haar … es paßte eigentlich gar nicht zu ihr. Billies Mama war eine … eine was? Aus Pernambuco. Nein, so war das nicht. Die Mama war eine Deutsche, sie hatte lange mit ihrem deutschen Mann in Pernambuco gelebt, und da muß einmal irgend etwas gewesen sein … Billie war, vorsichtig geschätzt, ein Halbblut, ein Viertelblut … irgend so etwas war es. Eine fremde Süße ging von ihr aus; wenn sie so dasaß, die Beine angezogen, die Hände unter den Knien, dann war sie wie eine schöne Katze. Man konnte sie immerzu ansehn.
»Was war das gestern abend für ein Schnaps, den wir getrunken haben?« fragte Billie langsam und verwandte kein Auge von dem, was in einer nur ihr erreichbaren Ferne vor sich ging. Die Frage war ganz in Ordnung – aber sie machte ein falsches Gesicht dazu, in leis verträumter Starre,