Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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die­ses jun­ge Mäd­chen, das mit je­dem Au­gen­bli­cke schö­ner und in sei­nen Au­gen wie ver­wan­delt wur­de.

      Es ist wohl mög­lich, dass er nicht bis zu die­ser Stun­de ganz und gar blind ge­we­sen; denn viel­leicht war es das ers­te­mal dass Con­sue­lo, ohne es zu wis­sen, jene un­be­küm­mer­te Mie­ne ab­ge­legt hat­te, wel­che nur bei voll­komm­ner Ruhe der Züge mög­lich ist. Noch zit­ter­te die Be­we­gung in ih­rem schmerz­haft ge­trof­fe­nen Her­zen nach; sie war schon wie­der na­tür­lich und zu­trau­lich ge­wor­den, je­doch eine un­merk­li­che Ver­le­gen­heit war ge­blie­ben, wel­che nicht ein Er­wa­chen der Ko­ket­te­rie, son­dern des emp­fun­de­nen und be­grif­fe­nen Schaam­ge­füh­les war; eine durch­sich­ti­ge Bläs­se über­zog in die­sem Au­gen­bli­cke ihr Ge­sicht und in ih­ren Au­gen leuch­te­te ein rei­ner und hei­te­rer Glanz, der sie ge­wiss je­ner hei­li­gen Cä­ci­lia der Non­nen von San­ta-Chia­ra voll­kom­men ähn­lich mach­te.

      An­zo­le­to konn­te sei­ne Au­gen nicht mehr von ihr wen­den. Die Son­ne war un­ter­ge­gan­gen; es wur­de in dem großen Zim­mer, wel­ches nur aus ei­nem ein­zi­gen Fens­ter sein Licht er­hielt, schnell dun­kel und in die­ser Halb­be­leuch­tung noch ver­schönt, schi­en Con­sue­lo von ei­nem Duf­te geis­ter­haf­ter Won­nen um­flos­sen. An­zo­le­to war einen Au­gen­blick ge­neigt, sich den Be­gier­den wi­der­stand­los hin­zu­ge­ben, die in ihm mit ei­ner ganz neu­en Hef­tig­keit er­wach­ten, aber die Glut der Lei­den­schaft, wel­che ihn fort­riss, un­ter­brach blitz­wei­se die Käl­te der Über­le­gung. Er mein­te an der Stär­ke sei­ner Glut er­pro­ben zu kön­nen, ob Con­sue­lo’s Schön­heit so viel über ihn ver­möch­te wie die an­de­rer an­er­kann­ter Schö­nen, wel­che er be­ses­sen hat­te. Und dann wie­der wag­te er es nicht, sich die­sen Ver­su­chun­gen zu über­las­sen, weil sie des We­sens, wel­ches sie er­reg­te, un­wür­dig er­schie­nen. Un­merk­lich wur­de sei­ne Be­we­gung tiefer, und voll Furcht, dass sich ihr selt­sam sü­ßer Reiz bald ver­lö­re, wünsch­te er sie zu ver­län­gern.

      Con­sue­lo ver­moch­te nicht län­ger ihre Ver­le­gen­heit zu er­tra­gen. Sie sprang auf und gleich­sam um sich mit Ge­walt in ihre Hei­ter­keit zu­rück­zu­ver­set­zen, fing sie an im Zim­mer auf und ab­zu­ge­hen, ver­schie­de­ne Opern­sät­ze mit ma­nie­rier­ter Über­trei­bung sin­gend und den Ge­sang mit großen, tra­gi­schen Ge­bär­den be­glei­tend, als ob sie aus der Büh­ne wäre.

      – Schau, das ist pracht­voll! rief An­zo­le­to voll Ent­zücken, als er sie ei­ner Char­la­ta­ne­rie fä­hig sah, wel­che sie ihm nie ge­zeigt hat­te.

      – O, es ist gar nicht pracht­voll, sag­te Con­sue­lo, sich nie­der­set­zend, und du hast das hof­fent­lich nur aus Spaß ge­sagt.

      – Es wür­de pracht­voll auf der Büh­ne sein. Ich gebe dir mein Wort, nichts gin­ge dar­über. Die Co­ril­la wür­de vor Neid bers­ten, denn sie hat noch nichts schla­gen­de­res ge­macht in al­len den Mo­men­ten, wo ge­klatscht wird, dass das Haus ein­bre­chen möch­te.

      – Lie­ber An­zo­le­to, ant­wor­te­te Con­sue­lo, ich möch­te nicht, dass um sol­che Gau­ke­lei­en die Co­ril­la vor Neid bers­ten müss­te, und vor ei­nem Pub­li­kum, das mir ap­plau­dier­te, weil ich ihr nach­zuäf­fen wüss­te, wür­de ich ge­wiss nicht wie­der auf­zu­tre­ten wün­schen.

      – Du wirst es also noch bes­ser ma­chen?

      – Das hof­fe ich, sonst wäre die Sa­che nicht wert, sich da­mit zu be­fas­sen.

      – Wie wirst du es denn wohl ma­chen?

      – Ich habe mir’s noch nicht be­dacht.

      – Ver­su­che doch.

      – Nein, denn das al­les ist nur erst ein Traum und be­vor nicht ent­schie­den ist, ob ich häss­lich bin oder nicht, müs­sen wir sol­che schö­ne Luft­sch­lös­ser gar nicht bau­en. Vi­el­leicht sind wir bei­de in die­sem Au­gen­bli­cke To­ren, und die Con­sue­lo, wie der Graf ge­sagt hat, ist ab­scheu­lich.

      Die­se letz­te­re Hy­po­the­se gab dem An­zo­le­to die Kraft sich zu ent­fer­nen.

      9.

      In die­ser, den Bio­gra­fen fast un­be­kann­ten Epo­che sei­nes Le­bens, schmach­te­te Por­po­ra, ei­ner der bes­ten Kom­po­nis­ten Ita­li­ens und der größ­te Ge­sang­leh­rer des 18. Jahr­hun­derts, Schü­ler Scar­lat­ti’s und Leh­rer Has­se’s, Fa­ri­nel­li’s, Caf­fa­rel­li’s, Salim­be­ni’s, Hu­ber­t’s (ge­nannt il Por­po­ri­no), der Ga­bri­el­li, der Mol­te­ni, kurz der Va­ter der be­rühm­tes­ten Sän­ger­schu­le sei­ner Zeit, – schmach­te­te, sag’ ich, in Ve­ne­dig, un­be­ach­tet und in ei­nem Zu­stan­de, wel­cher an Elend und Verzweif­lung gränz­te.

      Von die­sen har­ten Schlä­gen, wel­che sein Ge­nie tra­fen, hät­te er sich durch Glück und Ruhm wie­der er­ho­len kön­nen, al­lein die Un­dank­bar­keit Has­se’s, Fa­ri­nel­li’s und Caf­fa­rel­li’s, die ihn ver­leug­ne­ten, kam hin­zu, um vollends sein Herz zu bre­chen, sein Ge­müt zu ver­bit­tern, sein Al­ter zu ver­gäl­len. Es ist be­kannt, dass er in sei­nem acht­zigs­ten Jah­re, ver­las­sen und dürf­tig in Nea­pel starb.

      Zu je­ner Zeit, als Graf Zus­ti­nia­ni die Co­ril­la zu er­set­zen such­te, de­ren Ab­fall er vor­aus­sah und fast wünsch­te, war Por­po­ra eine Beu­te hef­ti­ger und fins­te­rer Stim­mun­gen, und sein Är­ger war nicht im­mer ohne ge­nug­sa­men Grund; denn es wur­de zwar in Ve­ne­dig die Mu­sik ei­nes Jo­mel­li, Lot­ti, Ca­ris­si­mi, Gas­pa­ri­ni und an­de­rer treff­li­cher Meis­ter ge­liebt und ge­sun­gen, je­doch un­ter­schied­los schätz­te man da­ne­ben die Buf­fo­stücke ei­nes Coc­chi, Bui­ni, Sal­va­tor Apol­li­ni und an­de­rer mehr oder min­der ein­hei­mi­scher Kom­po­nis­ten, de­ren ge­mei­ner und tri­via­ler Styl den Ge­schmack mit­tel­mä­ßi­ger Geis­ter kit­zel­te. Has­se’s Opern konn­ten sei­nem mit Recht er­zürn­ten Leh­rer nicht lieb sein.


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