Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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hat­te Con­sue­lo sei­nen Na­men zehn Mal auf den Lip­pen, um ihn zu­rück­zu­ru­fen. Sie woll­te sich eben durch einen he­ro­i­schen Ent­schluss dazu er­man­nen, als ihr plötz­lich ein­fiel, dass die Über­ra­schung dem Un­glück­li­chen auf die­ser schwie­ri­gen und ge­fähr­li­chen Stie­ge ein Strau­cheln, einen Schwin­del, der hier töd­lich wäre, ver­ur­sa­chen könn­te. Sie un­ter­ließ es da­her und ver­sprach sich, am nächs­ten Tage, zur ge­le­ge­nen Zeit, mu­ti­ger zu sein.

      Sie er­war­te­te noch die Wie­der­kehr des Was­sers und die­ses Mal hat­te das Phä­no­men einen ge­schwin­de­ren Ver­lauf. Kaum war eine Vier­tel­stun­de ver­gan­gen, seit sie Zden­ko nicht mehr hör­te und kei­nen Licht­schein mehr sah, als sich ein dump­fes Geräusch, dem fer­nen Rol­len des Don­ners ähn­lich, ver­neh­men ließ, und das Was­ser mit Hef­tig­keit em­por­schoss, bro­delnd auf­stieg und mit wir­beln­der Wut die Wän­de sei­nes Ker­kers peitsch­te. Die­ses ra­sche Her­vor­bre­chen des Was­sers hat­te et­was so Er­schre­cken­des, dass Con­sue­lo für den ar­men Zden­ko zit­ter­te und sich frag­te, ob er nicht, mit sol­chen Ge­fah­ren spie­lend und so mit den Kräf­ten der Na­tur schal­tend, leicht eine Beu­te des wü­ten­den Ele­men­tes wer­den könn­te und er­tränkt und zer­schmet­tert auf der Ober­flä­che des Was­sers mit den schlam­mi­gen Pflan­zen, die sie her­auf­ge­spült sah, wie­der er­schei­nen wür­de.

      In­des­sen muss­te das Mit­tel sehr ein­fach sein: es konn­te nur dar­auf an­kom­men, eine Schleu­se nie­der­zu­las­sen und auf­zu­zie­hen, viel­leicht her­kom­mend einen Stein zu le­gen, und zu­rück­ge­hend wie­der weg­zu­neh­men. Aber konn­te sich die­ser Mensch, der im­mer zer­streut und in sei­ne wun­der­li­chen Fan­tasi­en ver­lo­ren war, nicht ein­mal ir­ren und den Stein zu früh ent­fer­nen? Kam er denn wohl durch den näm­li­chen Kanal, wel­cher dem Was­ser der Quel­le zum Durch­gang diente? Wie dem sei, ich muss hin­durch, mit ihm oder ohne ihn, sag­te sich Con­sue­lo, und das spä­tes­tens in der nächs­ten Nacht, denn es ist da un­ten eine See­le in Leid und Müh, die mei­ner harrt und war­tens­mü­de ist. Dies ist nicht zu­fäl­lig ge­sun­gen wor­den, und es ist nicht ohne Ab­sicht ge­sche­hen, dass Zden­ko, der das Deut­sche hasst und nur mit Mühe spricht, sich heu­te in die­ser Spra­che aus­ge­drückt hat.

      Sie ging end­lich zu Bett, aber sie ver­brach­te den Rest der Nacht un­ter schwe­ren, be­ängs­ti­gen­den Träu­men. Das Fie­ber mach­te Fort­schrit­te. Sie be­merk­te es nicht, so sehr fühl­te sie sich noch voll Kraft und Ent­schlos­sen­heit; aber je­den Au­gen­blick fuhr sie aus dem Schlum­mer auf, dünk­te sich noch auf den Stu­fen der furcht­ba­ren Brun­nen­stie­ge, und als könn­te sie nicht wie­der hin­auf­ge­lan­gen, wäh­rend das Was­ser sich un­ter ihr mit Ge­brüll und Stur­mesei­le hob.

      Sie war am an­de­ren Mor­gen so ver­wan­delt, dass je­der­mann die Ver­stö­rung ih­rer Züge be­merk­te. Der Ka­plan hat­te sich nicht ent­hal­ten kön­nen, ge­gen das Stifts­fräu­lein im Ver­trau­en zu äu­ßern, dass ihm »die­se an­ge­neh­me und dienst­fer­ti­ge Per­son« et­was kopf­ver­wirrt schie­ne, und die gute Wences­la­wa, die in ih­rem Krei­se nicht ge­wohnt war, so viel Mut und Auf­op­fe­rung zu se­hen, fing zu glau­ben an, dass die Por­po­ri­na we­nigs­tens ein sehr ex­al­tier­tes jun­ges Frau­en­zim­mer von großer Reiz­bar­keit der Ner­ven sei. Sie ver­ließ sich zu sehr auf ihre gu­ten ei­sen­be­schla­ge­nen Tü­ren und auf ihre treu­en, stets an ih­rem Gür­tel klir­ren­den Schlüs­sel, um an Zden­ko’s Er­schei­nen und Ver­schwin­den in der vor­letz­ten Nacht lan­ge zu glau­ben. Sie re­de­te da­her der Con­sue­lo freund­lich und teil­neh­mend zu, be­schwor sie, sich die Lei­den der Fa­mi­lie nicht der­ge­stalt zu Her­zen zu neh­men, dass es ih­rer Ge­sund­heit scha­den könn­te, und gab sich Mühe, ihr auf die bal­di­ge Rück­kehr Al­ber­t’s Hoff­nun­gen zu ma­chen, wel­che sie selbst im Stil­len schon zu ver­lie­ren an­fing.

      Aber sie wur­de von Furcht und Hoff­nung zu­gleich be­wegt, als Con­sue­lo ihr mit ei­nem von Zufrie­den­heit leuch­ten­den Bli­cke und mit ei­nem mil­den stol­zen Lä­cheln zur Ant­wort gab:

      – Sie ha­ben sehr Recht zu ver­trau­en und mit Zu­ver­sicht zu hof­fen, teu­re Frau! Graf Al­bert lebt und be­fin­det sich, hof­fe ich, nicht zu schlecht, denn er küm­mert sich noch von dem Scho­ße sei­nes Zuf­luchtsor­tes aus um sei­ne Bü­cher und um sei­ne Blu­men. Ich weiß es ge­wiss, und könn­te Ih­nen die Be­wei­se lie­fern.

      – Was mei­nen Sie da­mit, lie­bes Kind? rief das Stifts­fräu­lein, durch Con­sue­lo’s zu­ver­sicht­li­che Mie­ne be­siegt; was ha­ben Sie er­fah­ren? was ha­ben Sie ent­deckt? Re­den Sie, um Got­tes wil­len! ge­ben Sie ei­ner trost­lo­sen Fa­mi­lie das Le­ben wie­der!

      – Sa­gen Sie dem Gra­fen Chris­ti­an, sein Sohn lebt und ist nicht fern von hier. Dies ist so wahr, als ich Sie lie­be und Sie hoch­ach­te.

      Das Stifts­fräu­lein stand auf, um zu ih­rem Bru­der zu ei­len, der noch nicht in den Saal her­un­ter­ge­kom­men war. Aber ein Blick und ein Seuf­zer des Ka­plans hiel­ten sie zu­rück.

      – Re­gen wir in mei­nem ar­men Chris­ti­an nicht leicht­sin­ni­ger­wei­se eine sol­che Freu­de auf! sag­te sie, nun auch seuf­zend. Wenn viel­leicht Ihre sü­ßen Ver­hei­ßun­gen bald zu Schan­den wür­den, ach, mein lie­bes Kind, dann hät­ten wir die­sem un­glück­li­chen Va­ter den To­dess­toß ge­ge­ben.

      – Sie miss­trau­en also mei­nem Wor­te? sag­te Con­sue­lo er­staunt.

      – Gott be­wah­re mich, edel­mü­ti­ge Nina! aber Sie kön­nen sich selbst täu­schen! Mein Gott! wie oft ist das uns be­geg­net! Sie sa­gen, dass Sie Be­wei­se ha­ben, mei­ne lie­be Toch­ter; kön­nen Sie sie uns nicht nam­haft ma­chen?

      – Ich kann nicht … we­nigs­tens scheint mir, dass ich es nicht darf, sag­te Con­sue­lo ein we­nig ver­le­gen. Ich habe ein Ge­heim­nis ent­deckt, wor­auf Graf Al­bert ge­wiss eine große Wich­tig­keit legt, und ich glau­be, es nicht ohne sei­ne Be­wil­li­gung ver­ra­ten zu dür­fen.

      – Ohne sei­ne Be­wil­li­gung! rief das Stifts­fräu­lein, in­dem sie den Ka­plan un­schlüs­sig an­sah. Soll­te sie ihn ge­se­hen ha­ben?

      Der Ka­plan zuck­te un­merk­lich mit den Ach­seln, ohne zu emp­fin­den, wel­chen Schmerz er durch sei­ne Ungläu­big­keit dem ar­men Stifts­fräu­lein ver­ur­sach­te.

      – Ich habe ihn nicht ge­se­hen, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, aber ich wer­de ihn bald se­hen und Sie auch, hof­fe ich. Ich bin da­her be­sorgt, sei­ne Rück­kehr viel­leicht zu ver­zö­gern, wenn ich un­be­hut­sa­mer Wei­se ge­gen sei­nen Wil­len han­del­te.

      – Möge die himm­li­sche Wahr­heit in dei­nem Her­zen woh­nen, herr­li­ches Ge­schöpf, und durch dei­nen Mund re­den! sag­te Wences­la­wa, sie mit be­sorg­ten und sehn­süch­ti­gen Bli­cken be­trach­tend. Be­hal­te dein Ge­heim­nis, wenn du ei­nes hast, und gib uns Al­bert wie­der, wenn du die Macht be­sit­zest. Ich weiß nur, wenn das ge­schä­he, so wür­de ich dei­ne Füße küs­sen, wie jetzt dei­ne arme Stirn … die so brennt und so feucht ist, füg­te sie, nach­dem sie die schö­ne, glü­hen­de Stirn des Mäd­chens mit ih­ren Lip­pen be­rührt hat­te, zu dem Ka­plan ge­wen­det mit be­weg­ter Mie­ne hin­zu.

      Wenn sie när­risch ist, sag­te sie zu dem letz­te­ren, so­bald sie ohne Zeu­gen wa­ren, ein En­gel von Güte ist sie im­mer, und sie scheint mit un­se­ren Lei­den mehr be­schäf­tigt als wir selbst. Ach, Va­ter! es ruht ein Fluch auf die­sem Hau­se.


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