Die schönsten Erzählungen von Guy de Maupassant. Ги де Мопассан
Читать онлайн книгу.kamen sie ins Gespräch, eine Art schnelle Intimität bildete sich zwischen ihnen, eine Intimität, die nur täglich eine halbe Stunde dauerte, und das war die schönste halbe Stunde seines Lebens.
Die ganze übrige Zeit des Tages dachte er an sie, und während der langen Bureaustunden erblickte er sie immer vor sich; dies freundliche und doch so beharrliche Bild, das das Antlitz einer geliebten Frau in uns zurückläßt, quälte ihn fortwährend und verließ ihn nicht.
Er meinte: sie ganz zu besitzen, müßte das wahnsinnigste Glück für ihn bedeuten, ein größeres, als je einem Menschen beschieden sein könnte.
Jetzt schüttelte sie ihm jeden Morgen die Hand, und bis zum Abend fühlte er noch die Berührung, und die Erinnerung an den schwachen Druck der kleinen Finger blieb in ihm haften. Es war, als hätte ihre Hand einen Eindruck auf seiner Haut zurückgelassen.
Die ganze übrige Zeit des Tages bangte er ängstlich nach der kurzen Omnibusfahrt, und die Sonntage waren ihm gräßlich. Sie mußte ihn gewiß auch gern haben, denn eines Sonnabends im Frühling nahm sie seine Einladung an, am folgenden Tage mit ihm in Maisons-Laffitte zu frühstücken.
Sie wartete schon auf dem Bahnhof. Er war erstaunt, aber sie sagte:
– Ehe wir fahren, muß ich mit Ihnen sprechen. Wir haben zwanzig Minuten Zeit, das ist mehr als genug.
Sie zitterte, während sie sich auf seinen Arm lehnte und schlug die Augen nieder über die bleichen Wangen, dann sagte sie:
– Ich möchte, daß Sie sich über mich keiner Täuschung hingeben. Ich bin ein anständiges Mädchen, und fahre mit Ihnen nur, wenn Sie mir versprechen, wenn Sie mir schwören, mir nichts zu thun. Nichts was … nicht . . recht . . ist.
Sie war plötzlich dunkelrot geworden und schwieg. Er wußte nicht, was er antworten sollte, glücklich und doch zu gleicher Zeit niedergeschlagen. Im Grunde seines Herzens war es ihm vielleicht lieber, daß es so war und doch … doch …. hatte er diese Nacht Dinge geträumt, die ihm Feuer in die Adern gossen.
Er würde sie gewiß weniger gern haben, wenn er wußte, daß sie ein leichtsinniges Geschöpf war, aber dann wäre es doch so reizend, so köstlich für ihn gewesen. Und alle die selbstsüchtigen Ideen der Männer, im Punkt der Liebe, begannen ihn zu quälen.
Da er nichts antwortete, fing sie mit bewegter Stimme an zu sprechen, wahrend Thränen in ihren Augenwinkeln aufstiegen:
–Wenn Sie mir nicht versprechen, ganz anständig gegen mich zu sein, so kehre ich sofort nach Hause zurück.
Er drückte ihr zärtlich den Arm und antwortete:
–Das verspreche ich Ihnen, Sie sind frei zu thun, was sie wollen.
Sie schien erleichtert und fragte lächelnd:
–Ist’s auch wirklich wahr?
Er blickte ihr in die Augen:
–Mein Ehrenwort!
–Gut, nehmen wir die Billets! sagte sie.
Unterwegs konnten sie sich kaum unterhalten, denn das Coupé war voll. Als sie in Maisons-Laffitte ankamen, gingen sie sofort zur Seine.
Die laue Luft that Körper und Geist wohl, die Sonne strahlte auf den Fluß, auf das Blättermeer, auf den Rasen und zauberte tausend lichte, heitere Gedanken in Körper und Seele.
Hand in Hand gingen sie am Ufer hin und sahen zu, wie die kleinen Fischchen in Schwärmen im Wasser dahinzogen. Sie schritten in überirdischem Glück dahin, als läge die Erde tief unter ihnen. Endlich sagte sie:
–Sie müssen mich doch für verrückt halten!
–Warum denn?
Sie meinte:
–Es ist eine Tollheit, mit Ihnen so ganz allein hierherzufahren.
–Aber nein, das ist doch ganz natürlich!
–O, bitte, bitte, gar nicht natürlich, für mich nicht. Ich will keine Dummheit machen und so kommt man doch dazu. Aber wenn Sie wüßten, wie traurig die Tage dahingehen, einer wie der andere, jeder Tag im Monat, jeder Monat des Jahres. Ich bin ganz allein mit meiner Mutter, und da sie viel Kummer in ihrem Leben gehabt hat, ist sie nicht gerade lustig. Ich sehe zu, wie es geht, ich versuche trotzdem zu lachen, aber es glückt nicht immer. Wissen Sie, es ist doch falsch, daß ich hierher gekommen bin, aber Sie müssen mir nicht böse sein.
Als Antwort küßte er sie schnell aufs Ohr, aber sie riß sich mit heftiger Bewegung von ihm los und ward plötzlich böse:
–Aber Herr Franz, denken Sie an Ihr Wort!
Und sie kehrten nach Maisons-Laffitte zurück. Sie frühstückten im Kleinen-Hafen, einem niedrigen Hause, das ganz unter vier Pappeln an der Straße versteckt lag.
Die frische Luft, die Wärme, ein paar Gläser Wein und das seltsame Gefühl, sich eng beieinander zu befinden, trieb ihnen die Röte ins Gesicht und machte sie schweigsam. Aber nachdem sie ihren Kaffee getrunken, kam jähe Heiterkeit über sie. Sie gingen über die Seine, strichen wieder längs des Flusses hin dem Dorf La Frette zu. Plötzlich fragte er:
– Wie heißen Sie?
– Louise.
Er wiederholte:
– Louise?
Dann schwieg er.
Der Fluß beschrieb einen großen Bogen, lief am Strande in der Ferne an einer Reihe weißer Häuser hin, die sich umgekehrt im Wasser spiegelten.
Das junge Mädchen pflückte Gänseblümchen, machte einen großen Strauß aus Feldblumen, und er sang laut voller Lebensfreude, wie ein Füllen auf der Koppel.
Links von ihnen zogen rebenbekränzte Hügel am Flusse hin, und Franz blieb plötzlich stehen und sagte ganz erstaunt:
– O, sehen Sie einmal!
Die Weinberge hatten aufgehört, und der ganze Abhang war jetzt mit blühendem Flieder bedeckt, wie ein lila Wald. Gleich einem über die Erde gebreiteten Riesen-Teppich, der bis zum Dorfe reichte dort drüben, zwei oder drei Kilometer entfernt.
Auch sie blieb ganz bewegt und gepackt stehen und rief:
– Ach, ist das hübsch!
Sie durchschritten ein Feld, und dann liefen sie jenem seltsamen Hügel zu, der jährlich all den Flieder liefert, den in Paris die fliegenden Händler auf ihren kleinen Handwagen verkaufen.
Ein schmaler Weg verlor sich unter den Bäumen; sie wählten ihn, und dann setzten sie sich auf einen Rasenfleck. Milliarden von Fliegen summten über ihnen, daß man in der Luft unausgesetzt ein leises Surren hörte, und die Sonne, die heiße Sonne eines windstillen Tages, lag auf dem blühenden Uferrand und entlockte diesem blühenden Walde einen starken Duft, diesen Schweiß der Blumen.
In der Ferne klang eine Glocke.
Und ganz allmählich begannen sie, sich zu küssen, umarmten sich, im Grase ausgestreckt und dachten nur an ihre Zärtlichkeit.
Sie hatte die Augen geschlossen und umklammerte ihn, preßte ihn an sich, sie hatte die Besinnung verloren, von Kopf bis zu Fuß in Liebesleidenschaft, und ohne zu wissen, was sie that, überließ sie sich ihm, ja fast ohne zu verstehen, daß sie es gethan.
Sie erwachte voller Verzweiflung, begann zu weinen, stöhnte vor Schmerz und versteckte das Gesicht in ihren Händen. Er versuchte sie zu trösten, aber sie wollte fort, fort, gleich nach Hause, und sie klagte immer, indem sie eilig davonlief:
– Mein Gott! Mein Gott!
Er sagte:
– Louise, Louise, warte doch, bitte, bitte!
Sie hatte hohle Augen und glühend rote Wangen, und sobald sie in Paris auf dem Bahnhof waren, lief sie ihm davon, sogar ohne Lebewohl zu sagen.
Als er sie am nächsten Tage im Omnibus wieder traf, schien sie ihm verändert, abgemagert, und sie sagte: